Tonda Knorr

Totenwache


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Wagner.“ Frank erwiderte den Händedruck.

      „Lassen Sie mich wissen, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann.“ Herbert machte sich niedergeschlagen auf den Weg zu seinem Auto.

      „Sie können mir als erstes sagen, wer der ältere Herr dort ist.“ Frank zeigte auf Gustav.

      „Gustav, ein Angestellter von mir. Ein alter Griesgram. Den Rest kann Ihnen meine Tochter erzählen.“

      Ohne sich noch mal umzuschauen, ging er weiter.

      „Herbert?“ Sarah stand auf und sah ihren Vater mitleidvoll hinterher. Der winkte nur ab und ging.

      „Herbert?“, wiederholte Sarah in einem sorgenvollen Flüsterton.

      „Ist schon gut, lassen Sie ihn“, redete Frank mitfühlend auf sie ein. „Was ich wissen muss, hat Zeit.“

      „So habe ich ihn noch nie gesehen.“ Sarah fühlte einen Kloß im Hals.

      „Ist er krank?“

      „Na ja, er ist nicht mehr der Jüngste, und welcher Mann gibt das schon gerne zu?“

      „Tut mir leid. Ich wollte ihn nicht verärgern.“

      Sarah, die immer noch ihrem Vater hinterher schaute, drehte sich zu Frank um: „Das hat nichts mit Ihnen zu tun.“

      „Eine Frage habe ich noch“, tönte plötzlich Herberts Stimme aus der Ferne.

      Überrascht drehten sich die beiden zu ihm um. Er brüllte über den halben Hof.

      „Ja?“

      „Wie lange?“

      Frank blickte fragend rüber zu den Männern der SOKO.

      „Lubowski?“ Ein kleiner Mann in einem weißen Kittel schaute verdutzt hoch.

      „Mensch Wagner. Wieder im Einsatz?“

      „Wieder im Einsatz?“, wiederholte Sarah neugierig Lubowskis Frage. Frank ignorierte sie.

      „Wie lange braucht ihr?“

      Der Mann streifte seine Handschuhe ab und bewegte sich auf Frank zu. Auf Höhe von Sarahs Vater deutete er einen kurzen Gruß an und nickte. Herbert Fender erwiderte das Nicken.

      „Wie lange? Ein, zwei Wochen?“

      Lubowski lächelte, reichte Sarah höflich die Hand und wandte sich an den Kommissar: „Wer hat dich denn wieder losgelassen?“

      „Mensch, wie lange, will ich wissen.“

      „Also wie ich das jetzt sehe, drei bis vier Wochen, Minimum.“ Wagner sah wortlos zu, wie Herbert Fender enttäuscht mit der Hand abwinkte, sich umdrehte und vom Hof ging. Auch Gustav verdrehte die Augen.

      „Ein einziger Albtraum“, flüsterte er.

      Frank schaute zu Lubowski runter. Mindestens zwei Köpfe kleiner stand der immer noch neben ihm.

      „Weißt du eigentlich, warum aus dir nie ein richtiger Polizist geworden ist?“

      Verärgert blickte Lubowski zu Frank hoch. „Na?“

      „Weil du einfach zu langsam und zu klein für diese Welt bist.“

      Lubowski hob mahnend den Zeigefinger. „Wenigstens renn ich nicht schießwütig durch Berlin.“

      Frank beobachtete aus den Augenwinkeln Sarahs Reaktion. Ihre Blicke trafen sich.

      „Wieso so lange?“

      Lubowski drehte sich wieder in die Richtung, wo seine Kollegen ihre Arbeit unterbrochen hatten und aufmerksam zu den beiden rüberschauten.

      „Siehst du die Haufen mit den Tüten?“ Fragend blickte Lubowski den Kommissar an. Der nickte nur.

      „Wie viele?“

      „Acht, ne neun.“

      „Siehste. Wir haben auf alle Fälle schon mal von neun Toten jeweils mindestens ein Knochenteil gefunden.“ Lubowski machte eine Pause, schaute in die Runde und genoss kurz seine Wichtigkeit.

      „Neun Tote? Woher weißt du das?“

      „Weil das mein Job ist, und wenn du neun gleiche Knochen findest, heißt das nun mal …“

      Lubowski überließ es großzügig Frank, den Satz zu vollenden. „Na was heißt das?“ Frank schien verärgert.

      „Das heißt, dass wir auf alle Fälle den Rest zu den bisher neun Toten suchen müssen.“ Wieder schaute er triumphierend zu Frank. „Nebenbei bringen wir das Zeug nach Berlin ins Labor und untersuchen es, damit du so schnell wie möglich weißt, von wie vielen Toten du hier genau ausgehen kannst und überhaupt ...“

      „Gibt es schon einen Anhaltspunkt, mit dem ich arbeiten kann?“

      „Komm mit.“

      Frank und Sarah folgten Lubowski langsam in Richtung der Tüten.

      „Interessiert?“

      Sarah ignorierte Franks Frage mehr oder weniger. Lubowski wedelte beim Laufen mit den Armen in Richtung seiner Kollegen. Zwei machten sich daran, die Tüten zu öffnen. Sarah beobachtete nicht nur, dass ihr Vater im Auto saß und ihnen zuschaute. Kurz bevor sie hinter der Scheunenecke verschwanden, sah sie auch die alte Frau, die mit weit aufgerissenen Augen zu ihr rüberschaute.

      „Siehst du das hier?“

      Lubowski, der die Handschuhe wieder übergestreift hatte, hielt Frank einen Knochen vors Gesicht.

      „Na du pickst ihn mir ja fast ins Gesicht.“

      „Tschuldigung.“

      „Ne Kugel?“

      „Mensch, du kannst ja glatt bei uns anfangen.“

      Strahlend blickte Lubowski zu Frank hoch. „In fast jedem Knochen steckt so ein Ding, und nun schau dir mal die Wand da an.“

      „Oh. Das sind ja nicht wenige.“ Frank musterte die Einschusslöcher in der Wand.

      „Also entweder die haben hier alles verballert, was ihnen an Munition in die Hände gekommen ist, oder wir finden hier noch ein paar Tote mehr. Oder beides. Auf alle Fälle wurden die hier erschossen, außer…“ Lubowski zögerte und schaute zu Frank. „Außer der hier.“ Ein Kollege reichte Lubowski einen Knochen, der anders aussah als der Knochen, den er gerade sorgsam wieder in einer Tüte verstaute. Frank wollte zugreifen.

      „Nein!“ Lubowski schrie auf. „Nicht ohne Handschuhe anfassen. Das wird schon schwer genug.“ Frank zuckte zurück und verdrehte die Augen.

      Lubowski hielt Frank den Knochen entgegen und zeigte mit dem kleinen Finger auf eine Stelle.

      „Siehst du das hier?“

      „Ein Stück Metall? Auch ne Kugel?“

      Lubowski nahm seinen Kopf zurück und musterte Frank.

      „Ne, det is keene Kugel“.

      „Sieht aus wie ein Metalldorn“, wurden sie von Sarah unterbrochen.

      „Nicht schlecht, junge Frau, nicht schlecht.“ Er wandte sich wieder an Wagner. „Da wir uns hier auf dem Land befinden, kannst du davon ausgehen, dass der Zinken vielleicht von einer Forke oder so stammt.“ Lubowski drehte den Knochen skeptisch hin und her. „Und das ist, wenn ich mich nicht ganz irre, ein Knochen aus dem oberen Bereich der Wirbelsäule. Steckt nicht tief drin, aber so ne Forke hat ja mindestens drei Zinken.“

      „Du erkennst so einfach, was das für ein Knochen ist?“, fragte Frank bewundernd.

      „Hm.“

      Lubowski ließ den Knochen auf die vor ihm liegende Tüte fallen und verschränkte seine Arme vor der Brust.

      „Kannst davon ausgehen, dass der hier mit ’ner Forke erledigt wurde, aber Genaueres …“

      Frank