Tonda Knorr

Totenwache


Скачать книгу

      „Es gibt nur zwei Möglichkeiten, solche alten Bekannten zu haben.“ Rieck machte eine künstliche Pause. „Und Sie machen mir nicht den Eindruck, als ob Sie schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind.“

      Herbert merkte, dass Sarah der Verlauf des Gespräches nicht behagte. Er versuchte zu beschwichtigen.

      „Also sollten wir uns jetzt nicht alle erstmal beruhigen?“

      „Wir machen uns jetzt vom Acker“, meldete sich Falkner zu Wort.

      „Na fein“, entgegnete ihm Herbert Fender. „Und wie geht’s weiter?“

      „Wir sind hier in Brandenburg, so was erschüttert uns nicht. Rund um Berlin können Sie so was beim Harken im Vorgarten finden.“

      Emotionslos musterte Falkner Sarahs Vater. Er sah nicht mehr den selbstbewussten, stattlichen Mann vor sich, der ihm noch vor drei Tagen gegenübergestanden hatte.

      „Herr Fender, auch wenn Sie mir das jetzt vielleicht nicht glauben, ich kann Sie verstehen. Aber Sie müssen auch mich verstehen. Die Rechtsvorschriften gelten für alle, hüben wie drüben. Ich muss sehen, inwiefern ich die Angelegenheit beschleunigen kann. Der Neubau dürfte nicht unbedingt das Problem sein. Jedenfalls nicht von unserer Seite. Ich weiß allerdings nicht, was diese Sonderkommission sagt. Der Denkmalschutz wird sich fragen, wie das hier alles zusammenpasst. Sie hören von mir.“ Er sah kurz zu Herbert Fender und wartete auf eine Reaktion. „Also, die Scheune wird bautechnisch nicht angerührt. Abriss schon gar nicht! Tut mir leid, aber ich denke, auch die Polizei wird hier erstmal zu tun haben“, mahnte er noch auf dem Weg zu seinem Auto.

      „Ri ... ri ... richtig“, stotterte Rieck. Er war scheinbar froh, dass jemand klare Worte fand, obwohl er eigentlich nicht wusste, wovon Falkner und Sarahs Vater überhaupt sprachen.

      „Baustopp? Was für ein Baustopp?“

      Nun mischte sich auch Pfarrer Gram ein.

      „Hier soll gebaut werden, abgerissen werden? Wovon reden Sie?“

      Herbert machte keine Anstalten, die Fragen zu beantworten. Mit einer Hand fasste er sich erneut an die Brust.

      „Also Baustopp hin oder her, hier wird ab sofort kein Stein mehr angerührt.“ Rieck positionierte sich wie ein Feldherr. „Ich werde jetzt Meldung machen, und dann sehen wir weiter.“

      „Tun Sie das.“ Sarah ging. Auf der Bank vor dem Haus saßen die beiden Handwerker mit verschränkten Armen.

      „Na? Kostenloses Kino?“, entgegnete Sarah ihnen, noch bevor die etwas sagen konnten.

      „Sarah!“, meldete sich ihr Vater von hinten und versuchte, sie einzuholen. Als er die Handwerker sah, sagte er schroff:

      „Nichts zu tun?“

      „Nur die Ruhe Meister, wir sind fertig. Kann ja sein, dass die junge Frau ein Probebad mit uns nehmen will.“ Verschmitzt grinste der schlaksige Kerl in Richtung Sarah.

      „Wohl nicht“, entgegnete sie kurz und ging ins Haus.

      „Sarah!“ Ihr Vater folgte ihr. Drinnen musterten beide das riesige Zimmer. Sarah sackte innerlich zusammen. „Nein.“

      „Handwerker. Die machen halt ein bisschen Dreck.“

      Sarah scharrte mit dem Fuß in der Staubschicht auf dem Boden.

      „Sarah, ich weiß, dass du Antworten haben willst.“

      „Ist schon gut“, wollte Sarah ihren Vater unterbrechen.

      „Ich muss jetzt nach Berlin. Lass uns das verschieben“, sprach Herbert Fender weiter.

      Sarah schaute ihren Vater eindringlich an.

      „Ist schon gut. Ich denke, für heute wurde genug geredet.“

      Draußen standen immer noch der Wachtmeister, Gustav und der Pfarrer und beäugten sich gegenseitig. Gustav ließ seinen Blick nicht vom Pfarrer. Irgendetwas Geheimnisvolles umgab ihn. Aber was? Gram wischte sich mit einem sorgfältig zusammengefalteten Taschentuch über die Stirn.

      „Was passiert jetzt?“

      „Keine Ahnung“, piepste der Wachtmeister. „Ich hoffe, die junge Frau irrt sich. Aber um die Gerichtsmedizin werden wir nicht herum kommen.“

      Wortlos, ohne sich zu verabschieden, ging der Pfarrer vom Hof. Auf der Straße drehte er sich noch mal zögerlich um. Gustav hatte recht, irgendetwas Geheimnisvolles umgab ihn. Sarah trat vor die Tür. Sie beobachtete, wie ihr Vater zum Auto ging. Ihr Blick fiel auf die Stelle, an der sonst die alte Frau saß. Sie war leer. Im Gebüsch dahinter konnte sie noch die Umrisse des Pfarrers sehen. Sie stemmte ihre Arme in die Hüften. Was war hier bloß los? Langsam schritt sie in Richtung Straße.

      „Frau Fender“, meldete sich Wachtmeister Rieck. „Sie hatten Recht.“

      Sarah blieb stehen und blickte fragend zu Rieck.

      „Die Angelegenheit geht nach Berlin.“

      Mit dem Handy in der Hand wedelte Rieck durch die Luft. Er wollte Sarah damit scheinbar zu verstehen geben, dass er endlich mit seinem Vorgesetzten telefoniert hatte.

      „Morgen sperren wir hier alles ab. Bitte sorgen Sie dafür, dass hier nichts verändert wird.“

      „Ja ja.“ Sarah winkte nur ab und begab sich wieder langsam in Richtung Straße. Dort angekommen, sah sie runter ins Dorf. Wie immer schien das Dorf menschenleer, in Ruhe und Stille versunken. Weit und breit keine Spur vom Pfarrer. Sarah schlich sich langsam durchs Gebüsch. Ihr Atem ging gleichmäßig. Jedes Geräusch hätte sie verraten können. Aber auch hier war alles ruhig. Nicht einmal das Zwitschern eines Vogels durchbrach die Stille. Die untergehende Sonne hüllte alles in eine gedämmte Atmosphäre. Sie schlich langsam weiter, vermied aber eine gebückte Haltung. Langsam erkannte sie die Umrisse eines Hauses. Klein im Verhältnis zu ihrem, aber genau derselbe Stil. Sie erinnerte sich, wie Gustav ihr erzählt hatte, dass das Grundstück hier früher wohl mal zu dem alten Gut gehört hat. Sarah verharrte. Sie hatte das Gefühl, Stimmen zu hören. Aufgeregte Stimmen, fast wie im Streit. Sie tastete sich langsam weiter. Die Stimmen wurden lauter, waren aber immer noch unverständlich. Die Tür ging auf. Sarah zuckte zusammen und suchte im Dickicht Deckung. Nichts tat sich. Jetzt konnte sie aber ganz deutlich die Stimme des Pfarrers und eine aufgeregte Frauenstimme hören. Sie verstand immer noch nichts. Sie war noch zu weit entfernt vom Haus. Suchend blickte sie umher. Sarah wollte näher ans Haus ran, fand aber nichts, was ihr ausreichend Deckung gegeben hätte. Die Stimme des Pfarrers wurde wieder leiser. Vermutlich wollte er gehen, war aber wieder umgekehrt. Sarah richtete sich wieder auf. Plötzlich verstummten die Stimmen. Die Tür knarrte, als sie sich langsam weiter öffnete. Aus dem Haus drang nur ein schwacher Lichtstrahl der den Schatten von Pfarrer Gram auf den Boden vor der Haustür warf. Sarah sah nur die Umrisse des Pfarrers. Langsam schritt er durch die Tür. Lauschend schweifte sein Blick umher. Sarah hielt den Atem an. Der Blick des Pfarrers richtete sich auf das Gebüsch, in dem sie verharrte. Zu peinlich wäre es gewesen, wenn er sie so im Gebüsch versteckt gesehen hätte. Sarah suchte bereits eine Ausrede, kam sich dabei aber ziemlich kindisch vor. Der Pfarrer drehte sich noch einmal um und rief: „Was passiert ist, ist eine Ewigkeit her!“ Er hielt inne und schaute wieder zum Gebüsch, wo Sarah mittlerweile wieder in die Hocke gegangen war. „Wir müssen endlich zur Ruhe kommen.“ Den Rest des Satzes sprach er ruhig und leise aus. Fast schon resignierend. Sein Blick richtete sich zum Himmel.

      „Da oben ist keiner, der dir hilft“, flüsterte Sarah vor sich hin. Plötzlich kam der Pfarrer in ihre Richtung. Sarah saß wie versteinert im Gebüsch. Der Luftzug, den das Gewand des Pfarrers verursachte, ließ Sarahs Haare wehen. Ohne ein Wort schritt der Pfarrer an ihr vorbei. Hatte er sie entdeckt? Für einen Augenblick blieb Sarah in ihrem Versteck. Über die Schulter beobachtete sie, wie der Pfarrer runter ins Dorf schritt. Langsam erhob sie sich und atmete erstmal kräftig aus. Sie schaute zur Tür, trat aus dem Gebüsch und ging auf das Haus zu. Als die Tür von innen geschlossen wurde, hielt sie erneut inne. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Frau nicht einfach mal ansprechen sollte. Zu viele