Tonda Knorr

Totenwache


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      „Genau, Pfarrer Gram.“

      „Dein Handy bitte“, wiederholte Sarah.

      Herbert reichte seiner Tochter das Handy. Von der Straße her hörte man das Knattern eines alten Motorrades.

      „Sie sind da.“

      „Wer?“ Herbert blickte sich um.

      „Die Polizei.“ Pfarrer Gram bekreuzigte sich, während er antwortete.

      „Na, das geht ja schnell.“

      Ein für sein Gewicht etwas zu klein geratener Polizist stapfte durch den aufgeschobenen Sand die Einfahrt hoch.

      „Wachtmeister Rieck“, röhrte eine piepsige Stimme. Seine Brille war beschlagen und der alte Motorradhelm hing etwas schief auf seinem Kopf. Herbert Fender sah den Wachtmeister als letzter und konnte sich, obwohl im überhaupt nicht danach zumute war, ein Lächeln nicht verkneifen.

      „Sie bedienen auch wirklich jedes Klischee.“

      „Welches Klischee?“, piepste Rieck zurück.

      „Na, wie halt so ein typischer Dorfpolizist auszusehen hat. Altes Motorrad, olle Dohle als Helm, Bierbauch, Brille, piepsige Stimme. Vermutlich ist Ihre Dienstwaffe aus Holz.“ Sarah musterte ihren Vater. Seine Direktheit war bezeichnend. Wie es schien, suchte er mal wieder jemanden, bei dem er seinem Ärger Luft machen konnte, und wie meistens traf es mal wieder den Falschen. Nichtsdestotrotz hatte er bei seiner Beschreibung nicht ganz Unrecht.

      Wachtmeister Rieck drehte seinen Kopf und damit seinen halben Körper in die Richtung, in der Herbert Fenders Auto stand.

      „Und Sie sind?“, wandte er sich wieder an Sarahs Vater.

      „Fender, Herbert Fender.“

      Rieck musterte die Runde. Bei Sarah blieb sein Blick hängen. „Und Sie?“

      Sarah versuchte auf dem Handy ihres Vaters eine Nummer einzutippen. Sie unterbrach und schaute den Wachtmeister an.

      „Fender, Sarah Fender.“ Wachtmeister Rieck sah abwechselnd von Sarah zu Herbert und untermauerte sein Hin- und Hergeschaue mit der gleichzeitigen Bewegung seines Armes. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte man die Armbewegungen als Abzählreim interpretieren können. An Herbert blieb sein fragender Blick haften.

      „Meine Tochter.“

      Riecks Blick wanderte wieder zu Sarah.

      „Mein Vater.“

      Auf Herberts Lippen zeichnete sich kurz ein Lächeln ab. Wenigstens bekannte sie sich gegenüber Dritten zu ihm.

      „Wo sind denn die Fundstücke?“, wollte sich der Wachtmeister nun in seine Arbeit stürzen. Gustav deutete mit der Hand auf den Haufen.

      „Sie sind?“ Während er auf eine Antwort wartete, machte Rieck sich daran, die Knochen näher zu betrachten.

      „Piplizowski“, antwortete Gustav gehorsam.

      „Was?“

      „Piplizowski, Gustav Piplizowski. Ganz einfach“, wiederholte Gustav.

      Sarah fiel auf, dass sie über all die Jahre nicht mal Gustavs Nachnamen kannte. Eigentlich wusste sie alles von ihm, aber nie hatte sie nach seinem Nachnamen gefragt. Warum auch? Gustav war eben Gustav. Sie schaute zu ihrem Vater und hatte das Gefühl, dass es ihm im Augenblick ähnlich ging.

      Rieck sah mit ernster Miene auf den Totenschädel.

      „Ich glaube, da müssen andere ran.“ Er begann, in seiner Polizeijacke vermutlich nach seinem Handy zu suchen.

      „Lisa? Hier ist Sarah“, sprach Sarah indessen in das Handy ihres Vaters. Sie schaute auf und ging einen Schritt zurück. „Sarah! Hallo Süße. Wo bist du, was …“ Lisa drohte am anderen Ende der Leitung in einen Redeschwall zu verfallen. „Lisa, Lisa, jetzt nicht. Wir könnten hier ein Problem haben.“

      „Was für ein Problem?“, fragten Lisa und der alte Fender gleichzeitig.

      „Knochenreste, eine Maschinenpistole aus dem Krieg und eine alte Russenuniform. So ein Problem.“

      „Ach, so ein Problem.“

      Rieck versuchte mitzubekommen, wovon die Frauen eigentlich sprachen. Vermutlich hatte er überhaupt noch keinen Ansatzpunkt für sein Tätigwerden erkannt.

      „Es gibt doch in Berlin eine SOKO für solche Dinge.“

      Aufmerksam verfolgten die Männer Sarahs Telefonat. Vor allem Pfarrer Gram musterte Sarah genau.

      „Nichts ist so, wie es scheint“, murmelte er vor sich hin.

      „Nun mach doch nicht gleich so einen Aufstand wegen den paar Knochen. Wir wissen doch noch gar nicht, wem die gehören.“

      Sarah nahm kurz das Handy vom Ohr und entgegnete ihrem Vater mit fester Stimme:

      „Eben.“

      Jetzt mischte sich der Pfarrer in das Gespräch ein.

      „Meinen Sie nicht, dass Sie etwas übertreiben?“

      Sarah blickte entgeistert den Pfarrer an. Am anderen Ende meldete sich Lisa wieder.

      „Meinst du etwa, die Sonderkommission zur Aufklärung von Kriegs- und Nachkriegsverbrechen auf deutschem Territorium?“

      „Ja, genau die.“

      „Die gibt es hier. Die ist Kuntz direkt unterstellt. Die haben noch eine Abteilung in Dresden.“

      „Das ist doch Quatsch“, mischte sich Herbert ein. Mit der Hand strich er sich durch die Haare. „So eine Scheiße aber auch.“

      „Meinst du, die sind zuständig?“, hörte sie Lisa fragen.

      „Ich hab keine Ahnung. Aber ich weiß, dass hier Knochen, ne alte Knarre und alte Uniformen liegen. Meine Scheunenwand ist mit Einschusslöchern übersät, und wenn dir das noch nicht reicht, hätte ich noch einen Totenschädel von jemandem im Angebot, der entweder drei Augen hatte oder aber ein Einschussloch. Meinst du wirklich, das könnte ein Fall für den Dorfpolizisten von Glostelitz sein?“

      „Also bitte“, meldete sich Rieck zu Wort. Sarah nahm den Hörer wieder vom Ohr und entschuldigte sich bei Rieck mit einem kurzen „War nicht so gemeint.“.

      Die Männer schauten erstaunt auf den Schädel. Herbert Fender musterte seine Tochter. Ohne ein Wort zu verlieren, erwiderte sie den Blick ihres Vaters.

      Der Wachtmeister stand da und nickte beruhigt. In der Hand hielt er sein Telefon.

      „Ich werde dann mal meine Dienststelle informieren.“ Plötzlich riss er sich das Telefon wieder vom Ohr und wandte sich an Sarah.

      „Sagen Sie mal, woher wissen Sie das alles? Warum kennen Sie diese SOKO in Berlin, und woher kennen Sie die Leute und wissen, wo Sie anrufen müssen? Wir sind hier nicht in Berlin, sondern in Brandenburg. Wer sind Sie verdammt noch mal?“

      Überrascht von Riecks Fragen wurde Sarah ein wenig verlegen. Herbert Fender beobachtete seine Tochter ganz genau. Ihm war es auch nicht recht, dass Sarah sich so sehr einmischte, obwohl er sich eingestehen musste, dass Sarah das sehr professionell machte. Vielleicht waren es die fragenden Blicke der Männer, die Sarah ein wenig zappelig werden ließen. Sie merkte, wie sie ins Schwitzen kam. Plötzlich schossen wieder die Erinnerungen dieser einen verheerenden Nacht durch ihren Kopf. Wie kleine Nadelstiche hämmerten sich die Bilder in ihr Gehirn.

      „Sarah?“, meldete sich die Stimme ihres Vaters und damit die Realität zurück.

      Sarah antwortete dem Wachtmeister: „Alte Bekannte, nur alte Bekannte.“ Sie machte eine Pause und schaute kurz zu ihrem Vater rüber.

      Pfarrer Gram zischte leise: „Alte Bekannte …“

      Sarah bemerkte den Unterton in der Stimme des Pfarrers. Sie strafte ihn aber nur kurz mit einem energischen Blick.