A. C. Risi

PID - Tödliches Erbe


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verschlossen?“, fragte Rahul.

      Jack setzte das Flacheisen erneut an. „Vielleicht ist sie das nicht, der Hebel könnte sich auch einfach nur verzogen haben.“

      Rahul hoffte, dass sein Freund recht behielt, und platzierte sein Eisen neben dem von Jack; einhändig war das gar nicht so einfach. Emma half ihm. Gemeinsam mühten sie sich ab, aber der Hebel rührte sich nicht, mit ihm stimmte tatsächlich etwas nicht.

      Jack hieb wütend mit seiner Stange dagegen. Der Lärm hallte ohrenbetäubend von den Wänden wider. Jack blieb erfolglos.

      „Verdammt! Wie konnte das alles überhaupt passieren?“ Er hielt kurz inne, danach probierten sie es erneut.

      Emma stemmte sich gemeinsam mit Rahul gegen das Eisen. „Vermutlich ist was mit dem Nadelwehr“, stöhnte sie ausser Atem. „Es stammt aus dem neunzehnten Jahrhundert und wurde noch aus Holz gefertigt, hat aber bislang gut funktioniert. Durch das Unwetter und die grossflächigen Überschwemmungen hat sich dort bestimmt eine Menge Müll und Treibholz angesammelt. Vielleicht wurde dadurch das Wehr oder ein Teil davon zerstört, oder die Feuerwehr hat Trümmer weggesprengt und das Fiasko damit erst richtig ausgelöst? Bei einer solchen Aktion kann allerhand schiefgehen. Ist das Wehr erst mal beschädigt …?“ Emma zuckte mit den Schultern. „Wir können nur Vermutungen anstellen. Aber was es auch war, was da runtergedonnert ist, es muss genau auf die Autobahnbrücke zwischen dem Sonnenbergtunnel - in dem wir uns jetzt befinden - und dem Reussporttunnel geknallt sein. Was die riesigen Brocken der zerstörten Brücke und das heranstürmende Wasser danach noch angerichtet haben, haben wir ja am eigenen Leib zu spüren bekommen.“

      Rahul brach der Schweiss aus bei der Vorstellung, was da rechts und links von ihnen die Röhren entlangdonnerte. Still verfluchte er sein kaputtes Handgelenk, das ihn daran hinderte, richtig zuzupacken. Er war den anderen keine grosse Hilfe, und wenn sie nicht endlich von hier wegkamen …

      Emma sprach aus, was Jack nicht mal zu denken gewagt hatte: „Wenn wir Pech haben, bilden sich aus dem Geröll Trichter. Wenn das geschieht - was Gott verhindern möge –, kann das Wasser nicht mehr abfliessen und der Druck …“ Emmas Stimme erstarb. Sie starrte auf die Ausbuchtung in der Stahltür. Jacks und Rahuls Augen folgten ihrem Blick. „Diesem zusätzlichen Druck hält die nie stand.“

      „Na ja, das ist nicht gerade das, was ich zu hören gehofft habe …“, Jack verdoppelte seine Anstrengungen, „… aber, ich muss gestehen, es törnt mächtig an.“ Wild hebelte er mit seinem Eisen herum. Er war kein Schisser, beileibe nicht, aber Emmas düstere Prophezeiung trieb ihm den Schweiss auf die Stirn.

      Rahul mochte den beiden nicht mehr zuhören. Es war zu deprimierend. Das einzig Gute – wie vertraut sie alle drei bereits miteinander umgingen – als würden sie sich schon seit Jahren kennen. „Achtet mal auf die Tür zum Tunnel“, sagte er. „Wir müssen endlich raus aus dieser Falle.“

      Der Spalt zwischen Tür und Schwelle hatte sich weiter vergrössert. Das eindringende Wasser hatte es geschafft, dass sie bereits bis zu den Knien im Nassen standen.

      Emma watete quer durch den Raum. Ihre Lippen hatten eine bläuliche Färbung angenommen. An der Tür zum Osttunnel legte sie ihre Hand und ihr Ohr auf das kalte Eisen. Dahinter, an der Innenseite zum Tunnel, vibrierte es mächtig. Hörte sich an wie das Fauchen eines wilden Tieres in Gefangenschaft.

      „Geh – bitte – da – weg! Weg von der Tür!“ Rahuls Stimme schwoll bei jedem Wort mehr an. „Ich krieg die Krise, wenn ich dich da stehen sehe. Wenn einer dieser schweren Brocken so richtig dagegenknallt …“ Er schlug mit der flachen Hand auf das Metall der widerborstigen Tür.

      Alle erschraken.

      „Komm her!“ Jack winkte Emma heran. „Rahul hat recht, ausserdem brauche ich euch beide hier. Du und Rahul, ihr haltet das Eisen hier fest und lasst nicht los, ehe ich es euch sage!“

      Emma umklammerte das kalte Eisen, gleich links neben der kräftigen dunklen Hand von Rahul. Seine verletzte rechte steckte in seinem halb geöffneten Hemd. Ihre Blicke trafen sich. Zum ersten Mal sah sie ihn lächeln. Er will mich aufmuntern, dachte sie und für eine atemlose Sekunde vergass sie tatsächlich, wo sie sich befand, dass sie alle in höchster Lebensgefahr schwebten, und sie lächelte zurück.

      Jacks lautes Kommando riss sie in die brutale Realität zurück. Sie hatten keine Zeit zu verlieren – nicht mal für ein kleines Lächeln.

      „Also, aufgepasst! Wir stemmen uns alle gleichzeitig gegen die Stange, achtet aber darauf, dass ihr nicht abrutscht. Keine neuen Verletzungen – verstanden?“

      Emma und Rahul nickten gehorsam.

      Jack setzte seine Stange etwas weiter oben an. „Wir schaffen das! Seid ihr soweit?“

      Jack begann laut zu zählen. Bei drei drückten sie mit vereinten Kräften die langen Eisenstangen nach unten. Die Tür ächzte in den Angeln und der Hebel bewegte sich tatsächlich eine Winzigkeit nach unten.

      Nach zwei weiteren Versuchen hatten sie es geschafft: Der Hebel liess sich mühelos bewegen. Gemeinsam zogen sie die schwere Bunkertür ganz auf. Das Wasser des Schutzraums floss ins dunkle Treppenhaus. Der Mief aus abgestandener Luft und feuchtem Stein schlug ihnen entgegen. Graue Stufen führten nach oben, andere nach unten in die dunkle Tiefe.

      Rahul schloss die Augen. „Langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl hier unten.“

      „Ja, und jetzt stell dir mal den Ernstfall vor“, sagte Emma. „Du, hier unten eingepfercht wie eine Sardine in der Blechbüchse, mit Tausenden von Hoffnungslosen – jeder kurz davor, durchzudrehen - und das ohne jede Garantie, dass die Welt da oben, so wie du sie kennst, überhaupt noch existiert, nachdem die Bombe eingeschlagen hat.“

      Rahul schluckte leer. Er wollte etwas erwidern, aber Jack kam ihm zuvor. „Besser, wir hauen ab von hier, solange wir noch bei Verstand sind. Ich weiss schon jetzt nicht mehr, was mir mehr Sorgen bereitet: das Wasser, das uns bis zum Hals steht, oder die Weltuntergangsfantasien unserer Frau Architektin“, sagte er mit einem Kopfschütteln.

      „Sorry, aber solche Gedanken zwingen sich mir hier geradezu auf.“ Ihre rechte Augenbraue schoss in die Höhe. „Vielleicht, weil wir uns in einer ähnlichen Notlage befinden?“

      Jack atmete schwer aus.

      „Okay.“ Sie wies zur Tür. „Offen lassen oder verschliessen?“

      Jack war sich nicht schlüssig: „Wenn wir die Tür jetzt schliessen, gibt es kein Zurück. Gegen den Druck des Wassers bekommen wir sie nie wieder auf.“

      Ein schauerliches Dröhnen von sich verbiegendem Metall liess sie alle herumfahren. Die Tür zur Oströhre krängte bedrohlich in den Zargen. Etwas Schweres, Grosses drückte von aussen dagegen, eine dicke Beule entstand und die Tür verzog sich zu einer grotesken Form. Wasserfontänen spritzten gleichzeitig durch mehrere Lecks in den Schutzraum.

      „Sie gibt nach. Los, weg hier!“ Rahul schubste Emma über die hohe Schwelle ins Treppenhaus der Kaverne.“

      Das rasend schnell nachfliessende Wasser zerrte an ihren Beinen und stürzte über die Treppe nach unten in die Tiefe. Einmal im Treppenhaus, konnten sie kaum noch etwas erkennen. Der trübe Schein der Notbeleuchtung spendete nur ein begrenztes Sichtfeld, warf dafür aber umso längere Schatten.

      Emma riskierte einen Blick über das Treppengeländer nach unten. Aber da unten war nur Dunkelheit und das beunruhigende Rauschen von noch mehr Wasser. Emma zog sich Rahuls Jacke noch etwas enger um die Schultern.

      „Wir sollten uns beeilen.“ Jack riss Emma vom Geländer weg. Er blickte sich um. Neben der Tür entdeckte er einen dreissig mal fünfzig Zentimeter grossen grünen Kasten an der Wand. Eine einsame Taschenlampe und ein Vierkantschlüssel waren darin, mehr gab der Kasten nicht her. Vorsorglich steckte er beides ein. „Dann mal los, ab nach oben!“ Er schob Emma voran. „Unsere Frau Architektin übernimmt ab jetzt die Führung.“

      Auf jeder Etage ging eine seitliche Türe ab. Stockwerk um Stockwerk legten sie so zwischen sich und das steigende Wasser. Sie waren