Dieter Aurass

Frankfurter Kreuzigung


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was Schmuddel mit »besorgt« meinte, denn er hatte leider die Tendenz, nicht zwischen legalen und illegalen Quellen zu unterscheiden, wenn er nur irgendwie an die gewünschten Informationen kam. Zum Glück gab Schmuddel ihm keine Zeit, darüber nachzudenken, ob er ihn mal wieder an das Prinzip der Legalität erinnern sollte, denn er fuhr ungerührt fort: »Also, ohne durch die Reihenfolge eine Bewertung ausdrücken zu wollen, hätten wir da folgende Personen ...«, er drückte weitere Schaltflächen auf seinem Notepad und kommentierte die erscheinenden Bilder.

      »Friedrich Engel, 61 Jahre alt, der Küster, der auch unser Opfer gefunden hat. Dann Rudolf Gmünder, 46 Jahre alt, Leiter des Pfarrgemeinderates und im Hauptberuf Bauunternehmer. Das hier ist Immanuel Kanter, 40 Jahre alt, Organist und Leiter des Kirchenchors. Der Vollständigkeit halber muss ich hier auch noch den Bischof, Dr. Elmar Gundelach, 55 Jahre alt und die Haushälterin des Pfarrers, Maria Bleibtreu, 53 Jahre alt, aufführen.« Er machte eine zögerliche Pause, bevor er fast widerwillig ein letztes Bild aufrief. »Na ja, und natürlich die Pfarrgemeindesekretärin, Hildegard Knecht, 28 Jahre alt. Somit bringen wir es insgesamt auf die recht ansehnliche Anzahl von sechs Personen, die ein Motiv haben könnten - angeblich. Es müsste wohl im Einzelnen noch nachgeprüft werden, ob diese Personen tatsächlich alle mit dem Herrn Pfarrer im Krieg lagen.«

      Gregor betrachtete die auf der Medienwand dargestellten Portraitfotos der gerade aufgeführten Personen. Aus der Art der Bilder erschien es ihm am wahrscheinlichsten, dass Schmuddel die digitalisierten Akten offizieller Quellen, wie zum Beispiel die Pass- oder die Führerscheinstelle, zum Erlangen der Fotos benutzt hatte.

      Den Vorsitzenden des Pfarrgemeinderates kannte er ja bereits persönlich und den Küster, Friedrich Engel, hatte er zumindest von Weitem in der Kirche gesehen. Dann fiel ihm ein, dass er seine Kollegen ja noch über sein Gespräch mit Gmünder informieren musste. »Ich weiß noch nicht warum, aber Gmünder war sichtlich erfreut, dass Pfarrer Bock tot ist. Er zeigte die Emotionen Erleichterung, Schadenfreude und Zufriedenheit. Außerdem war ihm stets, wenn vom Pfarrer die Rede war, die Verärgerung und der Hass auf ihn anzusehen. Insofern bin ich sicher, dass Frau Knecht bezüglich seiner Person die Wahrheit gesagt hat. Wir werden ihn ausführlich vernehmen müssen.«

      »Das Gleiche gilt sicherlich für die fünf anderen Verdächtigen«, wand Mutti ein. »Vielleicht kann Schmuddel ja etwas mehr an Hintergrundinformationen über alle herausfinden.«

      Schmuddel nickte zuversichtlich. »Na klar, kein Problem. Ich mache mich gleich nachher dran. Aber vielleicht sollten wir uns zuerst nochmal den Terminplan des Opfers ansehen, den mir die Pfarrsekretärin zugemailt hat.« Er rief eine Datei auf, die sofort an der Medienwand erschien.

      In der Auflistung waren insgesamt sechs Termine eingetragen:

      07:30 Frühmesse

      10:00 Beerdigung Zapatzki

      11:30 Tennis

      14:00 Sitzung PGR

      15:30 Besprechung mit Katecheten

      17:00 Absprache K. Liedplanung

      »Tennis? Seit wann spielen Pfarrer Tennis?«, ließ Jenny sich überrascht hören.

      »Vermutlich, seit sie Auto fahren, Fernseher zu Hause haben und einen Computer benutzen«, steuerte Irina lakonisch bei, wobei sie ein amüsiertes Lächeln zeigte.

      Schmuddel schüttelte ebenfalls ungläubig den Kopf, bevor er anmerkte: »Dass >Sitzung PGR< sehr wahrscheinlich für Pfarrgemeinderat steht, ist mir zwar klar, aber was zum Teufel sind Katecheten?«

      »Die Erwähnung des Teufels würde ich mir an deiner Stelle in der nächsten Zeit ein wenig verkneifen«, belehrte Gregor ihn, »das könnte im Umfeld der Kirche für eine negative Stimmung bei Zeugen sorgen. Zu deiner Frage: Ein Katechet ist entweder eine der Kirche unterstellte Lehrkraft, die nach einer intensiven Ausbildung an allgemeinbildenden Schulen Religionsunterricht abhält, oder ein Laie - die weibliche Form ist übrigens Katechetin - der im Auftrag eines Pfarrers zum Beispiel Kinder auf die bevorstehende Erstkommunion vorbereitet. Aber es werden auch Erwachsene auf bestimmte Sakramente vorbereitet, etwa ...«

      »Danke, Gregor«, unterbrach Mutti seine Ausführungen, und Gregor wurde sich bewusst, dass er wieder dazu angesetzt hatte, sein gesamtes Wissen ohne Rücksicht auf die erforderliche Zeit, zum Besten zu geben. Mutti sah ihn mit einem nachsichtigen Blick an. »Ich denke, Schmuddel hat es kapiert.«

      Irina meldete sich zu Wort und Gregor erkannte, dass es sie peinlich berührte, wie er in seinen Ausführungen abgewürgt worden war. »Wir sollten aber auch auf keinen Fall vergessen, die Wohnung von Pfarrer Bock gründlich zu durchsuchen. Wenn ich die Liste der Verdächtigen so sehe, dann haben wir morgen ein mehr als volles Programm. Wie hast du dir die Einteilung gedacht?«

      Sofort war alles Vorhergegangene vergessen, und Gregor dachte kurz über die beste Einteilung nach. »Irina hat Recht. Die Durchsuchung der Wohnung des Pfarrers hat absoluten Vorrang. Ich schlage vor, dass Irina und Jenny das übernehmen und im Anschluss daran auch gleich die Haushälterin vernehmen. Mutti und Schmuddel sollten die Vernehmung des Küsters und des Leiters des Kirchenchors übernehmen. Ich werde mich um den nicht wirklich netten Herrn Gmünder kümmern. Wir sollten alle in ihrer gewohnten Umgebung vernehmen, das gibt ihnen das Gefühl der Sicherheit.« Er brauchte nicht auf die Liste an der Medienwand zu schauen, um genau zu wissen, welche Punkte noch offen waren. »Wer kümmert sich um den Tennisclub?«

      Wie er erwartet hatte, gingen die Hände von Jenny und Irina sofort und fast zeitgleich nach oben. Beide waren sehr sportlich und alles andere hätte ihn gewundert.

      »Schmuddel sollte noch eine umfangreiche Internetrecherche durchführen und sich den Computer von Bock genauer ansehen. Wir haben eben über die Möglichkeit der Rache für eine Erpressung gesprochen, also wäre es sinnvoll, wenn wir die finanziellen Verhältnisse des Pfarrers genauer unter die Lupe nehmen.« Er sah Schmuddel erwartungsvoll an. »Das wäre doch sicherlich auch etwas für dich, oder?«

      Dieser nickte eifrig und ihm war die Freude über die Aufgabe anzusehen. Gregor war sich wiederum der Tatsache bewusst, dass die von ihm gewünschten Ermittlungen auf zwei Wegen zu erlangen waren: offiziell und langwierig, oder illegal und schnell. Ihm war auch klar, dass Schmuddel nicht der Mensch für den langwierigen Weg war und sehr wahrscheinlich die illegale Abkürzung beschreiten würde. Wenn es aber um Ermittlungserfolge ging, stellte Gregor seine Bedenken im Hinblick auf die Legalität von Schmuddels Tun doch lieber zurück.

      Eine Vernehmung stand noch aus. »Wer kümmert sich um die ausführliche Vernehmung der Pfarrgemeindesekretärin, dieser Frau Knecht?«

      Er hatte die Frage noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als Schmuddels Hand nach oben schnellt.

      Also doch, er ist an dieser Frau interessiert. Soll ich ihm deshalb ihre Vernehmung verweigern?

      Rein sachlich gab es dazu keinen Grund, weshalb Gregor einfach wortlos nickte.

      Kapitel 7

      Er ließ den Blick durch seine kleine Bude schweifen. Die unterschiedlichsten Gedanken machten sich ungefragt in ihm breit.

      Für einen Junggesellen reichen 40 Quadratmeter doch voll und ganz, dachte er bei sich. Je kleiner, desto weniger aufzuräumen. Hat ja auch was für sich. Klein, aber mein, na ja, nicht mein und auch nicht fein, aber hier kann ich mich gehen lassen, wie ich will.

      Er konnte nicht verhindern, fast ununterbrochen an die Begegnung dieses Tages zu denken. Die junge Frau hatte ihm gut gefallen - mehr als gut. Er fragte sich, was es zu bedeuten hatte, dass er seinen Spitznamen verschwiegen und sich mit Klaus Braake vorgestellt hatte. Es hatte ihn doch noch nie gestört, wenn man ihn Schmuddel nannte?

      Und wann hatte er eigentlich zum letzten Mal eine Frau mit in dieser Wohnung gehabt? Es machte ihn wahnsinnig, dass es ihm nicht einfallen wollte.

      Anderthalb Jahre? Mehr als zwei Jahre? Verdammt, das kann doch nicht wahr sein!

      Er blickte sich in seiner Bude um, und musste sich eingestehen, dass er es bei dem derzeit vorherrschenden Chaos niemandem