Handschuhe an, Frau Kommissarin.« Sein Tonfall war leicht indigniert, als wolle er die Unterstellung als völlig aus der Luft gegriffen und unangebracht aussehen lassen.
Mutti überhörte die Art, wie er ›Frau Kommissarin‹ betont hatte, geflissentlich. »Was können Sie uns denn zum Verhalten der Person sagen, die den Leichnam gefunden und Sie dann zu Hilfe gerufen hat?«
Sie sah sofort den überraschten Blick von Irina.
»Oh, hattest du das schon gefragt? Sorry, ich war gerade geistig ein wenig abwesend.«
»Kein Problem«, lächelte Irina verstehend. »Die beiden Herren sind der Meinung, dass er zwar ausnehmend neugierig, aber auch gleichzeitig aufrichtig entsetzt gewirkt habe. Auch die Reaktion seines Magens auf sein bescheuertes Betrachten der Verletzung war wohl durch echte Überraschung erzeugt.«
»Okay ... nun, dann mir fällt mir im Moment nichts mehr ein, was wir noch fragen könnten. Dir?« Mutti sah die zwanzig Jahre jüngere Kollegin fragend an.
»Nein, mir auch nicht. Tja, meine Herren, dann wären wir so weit fertig. Ihre Erreichbarkeit habe ich ja. Wir melden uns bei Ihnen, wenn noch etwas zu klären sein sollte. Erstmal vielen Dank.«
Mutti entgingen die gierigen Blicke der zwei momentan offensichtlich testosterongesteuerten Männer nicht, die an Irinas Lippen und anderen Körperteilen hingen. Sie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, aber es bestand keine Gefahr, dass die beiden darauf aufmerksam würden, denn sie hatten nur Augen für die junge Kollegin.
Tja, früher hätten sie vielleicht mal so nach mir geschaut. Aber das ist wohl vorbei. Schade, dass ich den beiden nicht sagen kann, dass sie bei Irina auf keinen Fall landen können.
Grundsätzlich war es eher nützlich, wenn ihr männliches Gegenüber, egal ob Zeugen oder Verdächtige, ein Auge auf Irina warf und sich vielleicht sogar Chancen ausrechneten. Von den beiden gab es allerdings kaum noch etwas zu erfahren.
Irina übergab einem gerade die Visitenkarte der Mordkommission mit der zentralen Nummer und äußerte die Bitte, sich doch zu melden, falls ihnen noch etwas Wichtiges einfallen würde.
»Kann ich Sie denn nicht auch persönlich anrufen, Frau Kommissarin. Ich meine, mir fällt bestimmt noch was ganz Wichtiges ein ... wenn Sie wissen, was ich meine?«, wagte es der Mutigere der beiden, zu fragen.
Irina lachte das für sie so typische Lachen und warf den Kopf zurück, wobei sie ihre gelockte schwarze Mähne schüttelte. Dann sah sie ihm tief in die Augen und ging näher an sein Gesicht heran. Das erwartungsvolle Leuchten in seinen Augen erlosch schneller als eine Kerze im Sturm, als sie ihm ganz leise zuflüsterte: »Träum weiter, Kleiner.«
Dann drehte sie sich um. »Komm Mutti, wir haben hier alles, was es zu erfahren gibt.«
Kapitel 3
Das Büro der Pfarrgemeinde lag in einem kleinen Fachwerkhäuschen nur hundert Meter von der St. Agnes Kirche entfernt. Es war durch ein großes, glänzendes Messingschild neben der uralten, geschnitzten und mit Ornamenten versehenen Tür leicht erkennbar. Jenny und Schmuddel gingen die fünf ausgetretenen Stufen aus Sandstein hinauf und drückten auf die Klingel, die in einer Messingschale von der Größe eines Suppentopfes in die Wand eingelassen war.
Der melodische Dreiklang war noch nicht verstummt, als von drinnen eine helle Stimme »Es ist offen!«,rief.
Jenny und Schmuddel betraten das Häuschen und gelangten zuerst in einen kleinen Flur, von dem rechts und links jeweils zwei altertümliche Holztüren abgingen. Die erste Tür links stand halb offen und die beiden wandten sich dorthin und traten ein.
»Grüß Gott. Sie sind bestimmt von der Kripo und wollen mich befragen, stimmt‘s?«, begrüßte sie eine zierliche Brünette mit halblangen glatten Haaren, die sich ihnen in einem freizügigen bunten Sommerkleid präsentierte.
Na, das ist aber nicht die graue Maus, die ich als Pfarrsekretärin erwartet hätte, dachte Jenny und betrachtete die junge Frau genauer. Vermutlich Ende zwanzig, deutlich sichtbar geschminkt und mit einem Ausschnitt, der ihren für die sonstige Figur überdimensionalen Busen sehr offen zur Geltung brachte.
Also, die geizt nun wirklich nicht mit ihren Reizen, schoss es Jenny durch den Kopf und sie konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Wie Schmuddel darauf wohl reagiert?
Ein kurzer Seitenblick zeigte ihr, dass Schmuddel ganz offensichtlich mehr als angetan war.
Er machte große Augen und leckte sich wie automatisch und unkontrollierbar die Lippen, wie er es immer tat, wenn er von etwas begeistert oder sogar angeturnt war.
Die Frau war bei ihrem Eintreten aufgesprungen und eilte nun mit ausgetreckter Hand auf sie zu. »Hallo, ich bin Hildegard Knecht, die Pfarrgemeindesekretärin ... aber die meisten nennen mich Hilu.« Sie schüttelte Jenny kurz die Hand und wandte sich dann Schmuddel zu. »Und sie sind ...?« Dabei sah sie ihm tief in die Augen, was ihn zu Jennys großer Belustigung ziemlich verlegen zu machen schien.
»Äh ... Oberkommissar Braake von der Mordkommission Frankfurt. Aber die meisten nennen mich ...«, er machte eine kurze Pause, »äh ... Klaus.« Er schüttelte ihre Hand und konnte seinen Blick kaum von ihrem Ausschnitt losreißen.
Jenny konnte sich nicht erinnern, dass er jemals zuvor seinen Spitznamen verheimlicht hätte.
Er will sie beeindrucken ... na ja, vermutlich erst mal nicht abschrecken. Interessant.
Sie nahm sich vor, Schmuddel genau zu beobachten. Das versprach, unter Umständen sehr lustig zu werden.
»Und mein Name ist Jung, auch Mordkommission Frankfurt. Und die meisten nennen mich ›Frau Oberkommissarin‹«, konnte sie sich nicht verkneifen, zu sagen. »Wir hätten einige Fragen an Sie«, ergänzte sie und versuchte, dabei so ernst wie möglich zu bleiben.
»Ja, ja, natürlich. Das kann ich mir denken. Ich glaube, ich habe auch ein paar Antworten für Sie«, meinte die junge Frau mit einem schelmischen Lächeln.
Jennys bisher freundliches Gesicht gefror. Sie hatte ganz unterschiedliche Reaktionen für möglich gehalten und auch schon so einiges erlebt, aber damit hatte sie nicht gerechnet.
»Der gewaltsame Tod Ihres Chefs scheint Sie allerdings nicht sehr mitgenommen zu haben«, meinte sie eisig. »Darf ich fragen, warum?«
Die junge Pfarrsekretärin lachte kurz aber laut auf. »Ich habe doch gesagt, ich habe sicherlich ein paar Antworten für Sie. Wenn ich Ihnen erzählt habe, was ich weiß, dann werden Sie mich verstehen. Setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Ja gerne«, beeilte sich Schmuddel, zu antworten.
»Ja, ich auch«, sagte Jenny und setzte sich in einen der beiden vor dem Schreibtisch stehenden Stühle. Sie beobachtete, wie Hildegard Knecht zu einer Kaffeemaschine auf einem kleinen Beistelltisch neben ihrem Schreibtisch ging und dort die volle Kanne frisch gebrühten Kaffees von der Heizplatte nahm. Sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, wie man in so einer Situation zuerst mal frischen Kaffee kochen konnte. Hilu schenkte drei Tassen ein, stellte sie auf den Schreibtisch und nahm in ihrem Bürostuhl Platz. »Bevor Sie anfangen, mir Fragen zu stellen«, begann sie ohne Einleitung, »möchte ich Ihnen erst mal ein Bild von unserm lieben Pfarrer, dem ehrenwehrten Dr. Bock, aufzeigen, das Ihnen einige Illusionen nehmen wird und mein Verhalten vielleicht etwas verdeutlicht.«
Jenny konnte genug zwischen den Zeilen heraushören, um sich absolut sicher zu sein, dass hier nicht nur mangelnde Freundschaft, sondern viel mehr erbitterte Feindschaft oder vielleicht sogar offener Hass vorgeherrscht hatte.
»Pfarrer Dr. Bock«, Hilu betonte das ›Dr.‹ eher abfällig, »war gelinde gesagt ein Arschloch und ein rücksichtloses Schwein. Ich weiß, es ist traurig, wenn man das über einen kürzlich Verstorbenen sagen muss, aber es ist leider so ... war so«, korrigierte sie sich sofort.
»Könnten Sie das ein wenig präzisieren«, fragte Jenny in einem noch immer nicht sehr verständnisvollen