Sie sich keinen Kopf«, mischte Schmuddel sich ein und lächelte ihr verstehend zu, »erzählen Sie einfach frisch von der Leber weg, wir sortieren das dann schon.«
Sie lächelte dankbar zurück. »Ja, gerne.«
Jenny musste den Kopf schütteln über so viel blödes Geschwätz. »Na was denn nun, erzählen Sie mal«, forderte sie ungeduldig.
Hilu Knecht seufzte. »Okay, fangen wir mal ganz am Anfang an. Also der Pfarrer, der hat ... äh hatte ... keine Freunde. Eigentlich eher im Gegenteil, der hatte nur Feinde. Leute, die er vor den Kopf gestoßen hat, denen gegenüber er sich genau wie das Arschloch benommen hat, das er auch war. Ich weiß, das klingt hart, aber Sie haben ihn nicht gekannt. Er war«, sie schien sich langsam an die Vergangenheitsform zu gewöhnen, »arrogant, besserwisserisch, unausstehlich, immer schlecht gelaunt, frauenfeindlich, kinderfeindlich, eigentlich sogar menschenfeindlich, bigott, sexistisch, rassistisch und ... und ...« Ihr fielen offenbar keine Adjektive mehr ein, denn sie seufzte wieder schwer und verstummte.
Nicht nur Jenny war zu baff über diesen Ausbruch, um auf die Schnelle reagieren. Aber noch bevor sie oder Schmuddel sich etwas überlegen konnten, fuhr Hilu Knecht fort. »Wenn Sie es detaillierter wissen wollen, dann kann ich Ihnen verraten, dass er Krieg mit dem Pfarrgemeinderat hatte, mit dem Küster im Clinch lag, den Kantor gehasst hat, seine Haushälterin bis zur Weißglut brüskiert hat, mit dem Bischof von Limburg ständig Streit hatte und mir jeden Tag mindestens zwei Mal mit Kündigung gedroht hat. Hab ich noch jemand vergessen?« Sie horchte überlegend in sich hinein. »Nein, für den Anfang sollte das genügen, wenn Sie Leute suchen, die ihm den Tod gewünscht haben. Und um auf Ihre ursprüngliche Frage zurückzukommen: Nein, ich bin wirklich nicht sehr mitgenommen von seinem Tod. Wenn ich jemals an der himmlischen Gerechtigkeit gezweifelt habe, dann ist jetzt mein Glaube wiederhergestellt.«
Sie lehnte sich bequem in ihrem Stuhl zurück und sah die beiden Ermittler fragend, aber auch herausfordernd an. »Na, sind Sie jetzt schockiert?«
Jenny war sich noch nicht sicher, wie sie mit einer solchen Einstellung umgehen sollte. Auf Schmuddels Gesicht jedoch sah sie eine Art Zustimmung, die sich in einem breiten Grinsen manifestierte. Er nickte anerkennend mit dem Kopf. Jenny erkannte seine Bewunderung für ihre flapsige Art, mit dem Tod umzugehen. Er selbst hatte sich schon lange einen ähnlichen Umgang mit schlimmen Ereignissen angeeignet.
Ich werde das jetzt alles mal beiseitelassen und konzentriere mich auf die eigentlichen Fragen, entschloss sich Jenny.
»Wir sind nicht so leicht zu schockieren, Frau Knecht. Was sich aus Ihren Äußerungen schließen lässt, bleibt fürs Erste abzuwarten. Für den Moment würde es uns aber enorm weiterhelfen, wenn Sie uns den Ablauf der letzten vierundzwanzig Stunden im Leben von Pfarrer Bock mitteilen könnten. Vielleicht auch noch darüber hinaus noch seine Termine der letzten Wochen?«
»Kein Problem, Frau Kommissar.« Sie lächelte Jenny wieder schelmisch an. »Sind Sie technisch denn auf dem Stand, dass Sie mir eine Mailadresse zur Verfügung stellen können, dann sende ich Ihnen seinen kompletten Kalender? Da sind alle Termine der letzten vierundzwanzig Monate drin. Vielleicht hilft Ihnen das ja weiter.«
Bevor Jenny reagieren konnte, drängte Schmuddel sich in den Vordergrund. »Das ist dann wohl eher mein Ressort. Ich bin der Computerspezialist der Truppe.«
»Ach was«, zeigte sich Hilu Knecht interessiert, »da können Sie mir auch sicher bei dem einen oder anderen Computerproblem behilflich sein. Ich kenne mich zwar eigentlich ganz gut aus, aber mit dem Netzwerk habe ich so meine Schwierigkeiten.«
»Natürlich, gerne. Wo liegt denn Ihr Problem?«
Jenny war inzwischen ein wenig genervt von dem Gebalze, und sah sich gezwungen, mit Nachdruck einzuschreiten.
»Hallo, geht’s noch? Wir haben hier, glaube ich, ein dringlicheres Problem zu klären. Wenn Sie vielleicht so freundlich wären und meinem übereifrigen Kollegen den Kalender mit den Terminen zukommen zu lassen, wäre ich äußerst dankbar.«
Schmuddel schien zu erkennen, dass er vermutlich ein wenig über das Ziel hinausgeschossen war.
»Okay, ja, na klar. Passen Sie auf, ich gebe Ihnen jetzt eine Mailadresse, an die können Sie die Daten senden«, erklärte er kleinlaut. »Mit Ihrem Problem werde ich mich dann mal zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen.«
Hilu Knecht grinste noch immer unverschämt in Richtung Jenny. »Kein Problem für mich. Hat keine Eile. Ich denke, ich bin die nächste Zeit sowieso nicht so unter wirklichem Arbeitsdruck. Außer, dass ich seine Termine absagen muss.«
»Ach ja«, fiel Jenny noch ein wichtiger Punkt ein, »hat Pfarrer Bock auch einen eigenen Computer?«
»Ja, selbstverständlich. Auf den habe ich aber keinen Zugriff, der befindet sich in seiner Wohnung im Pfarrhaus.«
»Richtig, die Wohnung. Haben Sie einen Schlüssel für seine Wohnung?«
»Selbstverständlich nicht.« Die junge Frau war sichtlich entrüstet. »Ich bin Sekretärin, keine Putzfrau. Dafür ist seine Haushälterin, Maria Bleibtreu, die alte Hexe, zuständig. Die lebt schließlich auch in dem Haushalt.«
Kapitel 4
Er saß nun seit über einer Stunde in der ersten Bank der Kirche und las. Vor ihm auf der Brüstung, wo üblicherweise die Gesangbücher abgelegt wurden, befand sich sein Notepad. Er sah sich im Internet alles an, was er über den katholischen Glauben, die katholische Kirche in Deutschland, über die spezielle Kirche, in der er gerade saß und über Regeln, Zeremonien, Abläufe, Zuständigkeiten, Aufgaben und die Hierarchie der katholischen Kirche im Allgemeinen finden konnte.
Gregor kam zugute, dass er zum einen sehr schnell lesen konnte und zum anderen über ein fotografisches Gedächtnis verfügte. Inzwischen wusste er schon eine Menge über die Zusammenhänge im Bistum Limburg, die Namen der Kirchenoberen, wie zum Beispiel den des Weihbischofs Dr. Elmar Gundelach, des apostolischen Administrators des Bistums. Auch über die Aufgaben eines Bischofs, der Pfarrer, eines Küsters und die Zuständigkeiten von Pfarrgemeinderat und anderen kirchlichen Einrichtungen hatte er bereits Unmengen von Informationen in sich aufgesaugt.
Nicht alles konnte er auf den ersten Blick nachvollziehen, aber er machte sich gedankliche Notizen, wo er über Querverbindungen zu einigen Themen noch recherchieren musste. Seine Quellen im Internet waren nicht nur Wikipedia und geschichtliche Lexika, sondern auch die Homepage des Bistums, aber auch Zeitungsartikel über Ereignisse von öffentlichem Interesse der letzten zwei Jahre.
In der Kirche war es inzwischen ruhig geworden und die Beamten des Spurensicherungsteams waren gerade dabei, alle ihre Utensilien wieder einzupacken.
Gregor las gerade einen Artikel über die Probleme der Kirche in den letzten Jahren aufgrund des Missbrauchs von Kindern, die sich in der Obhut der Kirche befanden, als er auf einen Tumult am Eingang aufmerksam wurde.
»SIE saache mir net, was ich hier derf oder net derf, dass des emal klar is, gell!«, hörte er eine aufdringliche Stimme polternd vom Eingang her tönen. »Wer hat dann hier es Saache? Ich will sofot ihrne Chef spreche.«
Seufzend schaltete Gregor seinen Notepad aus, erhob sich und ging langsam in Richtung der Aufregung. Der Verursacher war ein untersetzter, stämmiger Mann mit Halbglatze, einem strähnigen Haarkranz und einem pausbäckigen Gesicht mit rotgeäderten Wangen. Gregor schätzte ihn auf etwa Mitte Vierzig. Völlig unpassend zu seiner körperlichen Erscheinung und seinem Auftreten, war der offensichtlich maßgeschneiderte dreiteilige Anzug mit teurer Seidenkrawatte und passendem Einstecktuch im Anzug. Als Gregor nähertrat, blaffte ihn der Unbekannte an: »Habbe Sie hier was zu saache? Ich will sofot wisse, was hier los is.«
Gregor ging völlig unbewusst in den ›Sonja-Modus‹, wie es seine Kollegen bezeichneten. Da er nicht in der Lage war, mit Emotionen anderer in der richtigen Weise umzugehen, hatte seine Lebensgefährtin Sonja ihm beigebracht, welche Reaktionen in welchen Fällen zielführend waren und ihm die genauen, zur jeweiligen Situation passenden Worte vermittelt.
»Einen