Dieter Aurass

Frankfurter Kreuzigung


Скачать книгу

zwei Jahren der jüngste Leiter einer Frankfurter Mordkommission, den es je gegeben hatte. Ihm kam auch zugute, dass er über ein fotografisches Gedächtnis verfügte, was inzwischen jedem Mitglied des Teams bekannt war.

      Na ja, vielleicht braucht er dann doch nicht so lang und ist uns wieder mal meilenweit voraus.

      »Hallo Sonja«, begrüßte er die hochgewachsene schlanke Blondine, die ihn immer wieder an die junge Brigitte Nielsen erinnerte.

      »Hi Schmuddel. Kann ich mir denn die Leiche schon mal genauer ansehen, bevor sie bei mir in der Rechtsmedizin landet?«

      »Na klar«, entgegnete Schmuddel gönnerhaft, »der liegt inzwischen schon da hinten am Rand. Den eigentlich interessantesten Akt hast du allerdings schon verpasst.« Er sah ihren verständnislosen und fragenden Blick und reagierte sofort. »Ich meine das Abhängen von unserem Ersatz-Jesus. Das kannst du dir gar nicht vorstellen, wie kompliziert das war. Der war doch tatsächlich richtig fest an die Kanzel genagelt worden. Da hat es sechs Mann auf drei Leitern gebraucht, um die Nägel rauszuziehen und ihn gleichzeitig nicht einfach runterfallen zu lassen.« Er lachte kurz auf, bis er den nun leicht verärgert wirkenden Blick von Sonja bemerkte.

      »Ich wäre an deiner Stelle ein bisschen vorsichtiger mit meinen flapsigen Bemerkungen, mein Lieber. Ob das hier in dieser Umgebung bei jedem so wirklich gut ankommt, wage ich zu bezweifeln«, äußerte sie in einem eisigen Tonfall. »Du solltest ein wenig Rücksicht darauf nehmen, wo wir hier sind. Das ist immer noch eine Kirche und ein toter Pfarrer bedeutet meiner Einschätzung nach eine große Aufmerksamkeit durch die Medien.« Sie schaute sich in der Halle um. »Du willst doch sicher nicht, dass morgen deine respektlosen Äußerungen in der Klatschpresse stehen, weil ein Sanitäter oder ein herumstehender Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmers deine Bemerkungen hört und sie brühwarm an einen Pressevertreter weitergibt, oder?«

      Schmuddel sah ein, dass er vielleicht ein wenig zu locker über den Vorfall geredet hatte. Er nahm sich vor, bis zur Rückkehr ins Präsidium ein wenig mehr auf seine Wortwahl zu achten. »Du hast ja recht«, räumte er zerknirscht ein. »Ich reiß mich zusammen, versprochen.«

      »Hast du denn niemanden zu befragen?«, mischte sich Gregor ein, der inzwischen hinzugetreten war.

      »Ich weiß nicht«, meinte Schmuddel etwas unsicher und schaute sich um. »Jenny befragt grade den Typen, der unser Opfer gefunden hat, und Mutti und Irina stehen da drüben bei den beiden Sanitätern, die ja wohl noch vor der Polizei am Fundort waren. Ich frag mal, ob sich da schon was ergeben hat, und wen wir noch befragen könnten.«

      Er wartete nicht ab, ob Gregor noch eine andere Aufgabe für ihn hätte, sondern schlenderte gemächlich in Richtung der Kolleginnen.

      Seit dem Tod von Kriminalhauptkommissar Dieter Alsmann, vor etwas über einem halben Jahr, bestand das Team nun aus drei Frauen sowie dem Chef und ihm als einzige Männer. Als er näher an seine Kollegin Jenny Jung herantrat, die sich eifrig Notizen in ein kleines Büchlein machte, hörte er noch den Küster sagen: »Da kann ich nicht weiterhelfen, da müssen Sie schon die Pfarrgemeindesekretärin fragen. Das Fräulein Knecht hat seine Termine verwaltet. Die kann Ihnen das sicherlich alles sagen.«

      Schmuddel musste sich eingestehen, dass er keine wirkliche Ahnung hatte, was ein Küster eigentlich genau für eine Aufgabe hatte, aber er würde den Teufel tun und das zugeben.

      Als Jenny ihn bemerkte und von ihren Notizen aufblickte, musste er zum tausendsten Mal daran denken, wie überrascht er gewesen war, als die inzwischen Dreiundzwanzigjährige dem Team offenbart hatte, dass sie und die Kollegin Irina Petrowska ein Paar waren. Es war ihm heute noch peinlich, wie belämmert er gewirkt haben musste, als er in seiner Verwirrung herumgestammelt hatte: »Wie? ... Paar? ... Was meinst du ...?«

      Alle anderen hatten laut gelacht und ihm war überdeutlich klar geworden, dass er bis zu diesem Moment wohl als Einziger noch nichts von der lesbischen Beziehung der beiden mitbekommen hatte.

      Was für eine Verschwendung, dachte er wie so oft, wenn er eine von beiden sah. Jenny war mittelgroß, blond mit einer Meg-Ryan-Frisur, sehr sportlich und durchtrainiert, Irina dagegen eine rassige Schwarzhaarige, der man ihre slawische Herkunft ansah. Mit ihrer langen, gelockten Mähne, der sehr weiblichen Figur und ihrem Hang zur Fröhlichkeit, war sie der fleischgewordene Männertraum.

      Obwohl er sich niemals hätte Hoffnungen machen können, eine der beiden für sich zu gewinnen, empfand er es dennoch als extrem schade, dass beide nicht auf Männer standen.

      »Kommst du mit?«, riss Jenny ihn aus seinen Tagträumen.

      »Bitte?«

      »Ich hatte gesagt, dass wir mit der Pfarrsekretärin sprechen sollten. Herr Engel war so nett, mir den Weg zu beschreiben. Kommst du nun mit oder nicht?«

      »Selbstverständlich. Hier gibt es momentan ja eh nichts anderes zu tun.«

      Jenny bedankte sich noch einmal bei dem Küster und gab ihm noch ein Kärtchen mit einer Telefonnummer, für den Fall, dass er nach diesem traumatischen Erlebnis psychologische Hilfe benötigte.

      Schmuddel konnte ein Grinsen gerade noch unterdrücken. Erfahrungsgemäß meldeten sich keine zehn Prozent der Empfänger dieser Telefonnummer bei einem »Seelenklempner«. Es war vermutlich unter ihrer Würde, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber er wusste, dass viele an ihrer Entscheidung zweifeln würden, wenn die ersten Albträume kamen ... und sie würden kommen.

      Kapitel 2

      Kein schlechter Typ. Richtig knackig, der Junge – eigentlich beide. Nur ein wenig zu jung, schade.

      Jutta Beltermann konnte ihre Gedanken nicht im Zaum halten. Sie hatte die Gelegenheit, die beiden Sanitäter genauer zu betrachten, da ihre Kollegin Irina Petrowska durchaus in der Lage war, die Befragung alleine durchzuführen. Also stand sie dabei und schaute.

      Der mit dem Drei-Tage-Bart ist der hübschere, aber der andere macht einen netteren Eindruck. Wie alt sind die beiden wohl? Vermutlich gerade mal Anfang zwanzig.

      Sie konnte gerade noch einen Seufzer unterdrücken, als ihr so richtig klar wurde, dass sie es hier mit einer Liga zu tun hatte, von der sie in ihrem Alter besser die Finger lassen sollte. Sie würde ihrem Spitznamen ›Mutti‹ nur allzu gerecht werden, wenn sie mit einem dieser ›Kinder‹ etwas anfangen würde. Mal ganz abgesehen davon, ob die überhaupt Interesse an ihr hätten. Ihr Spitzname hatte zwar nichts mit ihrem Alter zu tun, sondern war dadurch entstanden, dass sie schon immer durch ihre fürsorgliche Art und das Bedürfnis, sich um alle Sorgen und Nöte der Kollegen zu kümmern, stets als ›Mutter der Kompanie‹ gegolten hatte - auch schon mit Mitte zwanzig.

      Nun, in ihrem 42. Lebensjahr, kam sie langsam in die Situation, dass sie tatsächlich die Mutter einiger Kollegen und Kolleginnen hätte sein können.

      Für ihr Alter fühlte sie sich eigentlich noch recht passabel. Sie trieb zwar keinen regelmäßigen Sport, aber ihre Figur war ansehnlich, sie war weder faltig, noch hatte sie Altersflecken, ihre Haut war straff und sie sah nach ihrer eigenen Einschätzung eigentlich jünger als 42 aus. Sie pflegte sich, achtete immer auf eine ordentliche Frisur und ihre mittelbraunen Haare wiesen noch nicht den Hauch von Grau auf.

      Dennoch hatte sie seit geraumer Zeit keine Beziehung und noch nicht einmal Sex gehabt. Zumindest keinen, an dem mehr als eine Person beteiligt gewesen war. Wie lange ist das schon her?, fragte sie sich ein wenig wehmütig.

      Sie musste diese Gedankengänge nicht weiterführen, da sie der emotionale Ausbruch eines der beiden Sanitäter wieder in die Gegenwart zurückholte. »Verdammt noch mal, ja, es war sicherlich ein Fehler ... und ja, ich war vielleicht ein wenig zu neugierig, aber das ist unter diesen Umständen doch sicherlich nachvollziehbar, oder?«, bemerkte er gerade ein wenig zu lautstark.

      Der Hübschere, hmmm, der ist also tatsächlich nicht so nett.

      Ihr war klar, dass er seinen Fehler erkannt hatte und sich nun mit Gewalt rechtfertigen wollte. »Ist ja gut, junger Mann, regen Sie sich nicht auf. Solange Sie keine falschen Spuren gelegt und den