Ines von Külmer

Tödliche Zeitarbeit


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das heute Abend? Die Mutti bringt mich um sechs Uhr zu dir.“

      Natürlich, heute wollte ja sein Sohn Sebastian kommen! Seit der Scheidung wohnte seine Ex-Frau bei ihrem neuen Lebensgefährten in Erlangen. Ein kurzer Blick auf die Uhr. Es war schon wieder nach elf Uhr! Die Zeit raste nur so.

      „Ciao, bis später dann. Ich werde mich um den Ehemann kümmern. Wir müssen uns auch mal hier im Haus umhören. Im dritten Stock ist doch eine Anwaltskanzlei. Ich habe im Eingangsbereich ein entsprechendes Schild gesehen.“

      Kathrin wollte mit ihrem Lebensgefährten morgen am Freitag für ein verlängertes Wochenende an den Gardasee fahren. Deshalb sollte Sebastian schon heute beim Vater sein. Er musste sich jetzt beeilen. Er wollte vom Büro aus noch so viel erledigen. Er wollte erst einmal im Büro anrufen. Aber da stand schon die Dame vom Empfang der PersonalLeasing GmbH mit einem freundlichen Lächeln vor ihm. Sie wollte ihren Fehler von vorhin unbedingt wieder gutmachen.

      „Ich habe Ihnen die Telefonnummer von Svenja Schillings Ehemann rausgesucht. Ich habe Zugang zu den Personalordnern meiner Chefin, Frau Link. Ich habe in Svenja Schillings Bewerbungsunterlagen nachgesehen. Ihr Mann heißt mit Vornamen Jens. Hier bitte.“

      Kapitel 2: Der Familienvater

      „Wir müssen morgen früh aufstehen, damit ich dich morgen in die Schule nach Erlangen fahren kann.“

      „Ja, ja.“

      Sebastian saß noch über seinen Hausaufgaben.

      „Wir schreiben morgen eine Probe in Englisch. Kannst du mich mal die Vokabeln hier abfragen?“

      Er brachte ein grünes Buch, auf dem ein lachendes Mädchen und ein fröhlicher Junge abgebildet waren. ‚Englisch lernen soll Spaß machen’ sollte dieser Titel wohl vermitteln. Sprachen lernen hatte Ludwig Keller nie Spaß gemacht. Deshalb hatte er auch einen Beruf erlernen wollen, wo er garantiert kein Englisch oder Französisch benötigte. Es war jedoch nicht der einzige Grund gewesen, sich für den Beruf des Kriminalbeamten zu entscheiden. Er war mit Leib und Seele Kriminaler! Sebastian blätterte lustlos in seinem Schulbuch.

      „Ach, ich glaube, die Vokabeln kann ich schon. Und die Grammatik habe ich auch verstanden.“

      Er gähnte und klappte sein Englischbuch wieder zu.

      „Ich möchte lieber noch ein wenig malen.“

      Er kramte eine kleine Pappschachtel hervor, in die er mehrere Löcher gebohrt hatte.

      „Da sind Marienkäfer drin“, sagte er an seinen Vater gewandt.

      „Willst du mal sehen, was ich schon alles gemalt habe?“

      Sebastian eilte in das Zimmer, das Ludwig Keller normalerweise als Büro nutzte und in dem Sebastian immer schlief, wenn er bei seinem Vater zu Besuch war, und legte einen Collegeblock auf den Wohnzimmertisch.

      „Hier sind die Käfer und Insekten, die ich im Garten von Gerd gefunden habe“.

      In dem Schreibblock mit Spiralbindung an der Längsseite befanden sich schon viele Zeichnungen von Krabbelwesen und Schnecken, deren Namen Kriminalhauptkommissar Keller nicht kannte.

      „Gefallen sie dir? Das ist eine Weinbergschnecke, die habe ich neulich bei einer Wanderung entdeckt. Und das ist ein Rosenkäfer, den muss ich noch bunt ausmalen.“

      Der Kripomann aus Nürnberg traute seinen Augen nicht!

      Sebastian war mittlerweile zwölf Jahre alt und ging jetzt in Erlangen ins Gymnasium. Ludwig Keller hatte bisher gar nicht gewusst, dass sein Sohn so schön zeichnen konnte, dass er sich für Insekten interessierte. Wenn er in regelmäßigen Abständen zu ihm kam, dann hatte sein Filius immer sein Smartphone dabei. Ständig war der Teenager damit beschäftigt rumzudaddeln. Irgendwelche Spiele, die ihn zu faszinieren schienen. Vater und Sohn waren auch immer ständig auf Achse, wenn Sebastian in Nürnberg war. Erst neulich waren sie im Eisenbahnmuseum gewesen. Ludwig Keller hatte immer Angst davor, dass sein Sohn sich bei ihm langweilte und vielleicht nicht mehr kommen wollte. Irgendwie fühlte er sich dazu verpflichtet, immer ein besonderes Programm für seinen Junior zu organisieren. Und wenn Sebastian dann erzählte, was er mit Gerd und seiner Mutter so alles machte, wenn sie zusammen etwas unternahmen, dann kam bei dem Nürnberger Kriminalhauptkommissar immer ein Gefühl der Eifersucht auf.

      „Hast du deine Käfersammlung Gerd einmal gezeigt?“

      „Nee, der interessiert sich doch nur für Technik.“

      Das Einzige, was Ludwig Keller über den neuen Lebensgefährten seiner Exfrau wusste, war, dass dieser bei Siemens in Erlangen beschäftigt war, und dass er viel unterwegs war, meist in China. Irgendwie fühlte sich Keller mit einem Mal glücklich, dass dieser Gerd nichts von der Käfersammlung seines Sohnes wusste. Nur ihn hatte Sebastian in sein Geheimnis eingeweiht! Nicht den „Möchtegern-Vater“, den neuen Freund seiner Ex-Frau! Aber eigentlich wusste er nicht viel über diesen Gerd. Und wenn Sebastian in zwei Jahren zur Konfirmation antreten würde, dann hoffte Keller, dass diese religiöse Veranstaltung mit einem Geschäftstermin von dem Siemensianer nach Fernost kollidieren würde. Manchmal musste sich der Siemens-Ingenieur nämlich bereits am Sonntag ins Flugzeug setzen, um rechtzeitig zu einem beruflichen Termin zu erscheinen. Dann würde ihm dessen potentielle Anwesenheit auf der Familienfeier erspart bleiben. Kathrin jammerte auch manchmal, so hatte ihm sein Sohn erzählt, dass ihr Lebensgefährte dann ihr Wochenende verderben würde, nur wegen der Arbeit. Aber was dieser Ingenieur wohl auf sein Konto überwiesen bekam, im Vergleich zu seinem, wenn auch gehobenen, Beamtengehalt, das wollte sich Ludwig Keller lieber gar nicht erst ausmalen. Dafür musste dieser schon mal mit einem „angeknabberten“ Wochenende vorlieb nehmen.

      „Der Rosenkäfer ist ganz besonders toll gezeichnet. Wenn du willst, können wir ja am Sonntag in den Wald gehen und nach mehr Insekten suchen.“

      „Oh, ja, eine tolle Idee!“ Sebastian strahlte. „Jetzt zeichne ich den Marienkäfer.“

      Vorsichtig öffnete er den Deckel der Pappschachtel.

      „Weißt du, was Marienkäfer essen?

      „Ich glaube, sie fressen Blattläuse, “ meinte Keller.

      „Tolle Idee, das mit dem Wald. Wenn ich mit dem Bild des Marienkäfers fertig bin, lass’ ich ihn wieder fliegen. Und dann hab ich Platz für neue Käfer, die ich am Sonntag im Wald finde. Coole Idee, Papa!“

      Plötzlich klingelte Kellers Mobilgerät.

      „Ich komme morgen etwas später, ich habe noch einen Arzttermin.“

      Robert Pelzig war am Apparat. Er war fünfzehn Jahre jünger als Keller, der in zwei Jahren fünfzig Lenze zählen würde, und lebte noch bei seinen Eltern in Neunhof.

      „Fahr doch morgen nach deinem Termin beim Arzt bei der PersonalLeasing GmbH vorbei und hör dich mal so um.“

      „Ich denke, um die Kunden braucht man sich nicht zu kümmern. Ein echtes Motiv haben eigentlich nur die Leiharbeiter, die Lohnsklaven dieser Firma.“

      „Bitte nicht schon wieder…“

      „Warum denn nicht! Meine Schwester hat ihren Job verloren, wie ich schon mal erwähnte. Sie hat in einem kleinen Vertriebsbüro gearbeitet. Weil es angeblich zu wenige Aufträge gegeben hat, hatte man ihr gekündigt. Dabei hatte sie ohne Ende Überstunden geschoben. Und das mit der Kündigung war leicht möglich, weil der Betrieb weniger als zehn Mitarbeiter hatte. Das ist jetzt ein halbes Jahr her, und sie hat immer noch nichts gefunden. Nur Vorstellungsgespräche bei Zeitarbeitsfirmen, die ihr vom Arbeitsamt als Jobangebot zugeschickt wurden. Und da ist sie ja gezwungen, sich darauf zu bewerben. Und jetzt hat sie von einer ehemaligen Kollegin erfahren, dass ihr Arbeitsplatz wieder besetzt wurde. Und rate mal mit wem? Mit einer Zeitarbeitskraft von irgend so einem Ausbeuterbetrieb.“

      Robert Pelzig war wieder in Fahrt.

      „Sie wiederholen sich, lieber Pelzig!“

      „Ja