Ines von Külmer

Tödliche Zeitarbeit


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Zeitarbeiter so eher in den Himmel kämen, weil es doch laut Bibel die Reichen so schwer hätten, von ihren irdischen Gütern zu lassen? ‚OK, sie verdienen hier zwar so gut wie nichts, aber dafür haben sie es später einfacher, in das Paradies zu gelangen. Und ich, der die satte Kohle abzockt, mache dann einen auf Paulus, bereue meine Sünden und komme auch in den Himmel, habe aber im Unterschied zu den armen Zeitarbeiterschweinen hier auf Erden in Saus und Braus auf deren Kosten gelebt.’ Pelzig rollten sich die Zehennägel hoch bei diesen Gedanken. Also, jedenfalls hatte man seit einiger Zeit die Möglichkeit zu klagen, wenn man einen solchen „prekären“ Zeitarbeitervertrag unterschrieben hatte. Es gab in diesem Zusammenhang ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Das Arbeitslosengeld wurde aber deshalb auch nicht mehr. Gut zu wissen, wenn Pelzigs Schwester gezwungenermaßen doch mal so einen Leiharbeiterjob annehmen musste, wenn ihr Arbeitslosengeld I auslief.

      „Nein, mit den Mitarbeitern der Personalleasingfirma haben wir keinen Kontakt. Man grüßt sich im Aufzug, und das war es auch schon. Und mein Freund, der Anwalt für Arbeitsrecht, vertritt diese Firma nicht und hat auch noch keinen Mandanten gehabt, der bei dieser Firma angestellt war“.

      Ludwig Pelzig bemerkte erst jetzt die Tasse Kaffee, welche eine der Assistentinnen vor ihm auf den Glastisch gestellt hatte. In zwei Schlucken schüttete er den mittlerweile lauwarmen Kaffee in sich hinein und spülte das Mineralwasser hinterher, das mit dem Kaffee gekommen war.

      „Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen, auch für Kaffee und Wasser.“

      „Ich rufe Sie an, wenn mir noch was einfällt. Oder falls ich diese Frau zufälligerweise mal wiedersehen sollte“, rief der Anwalt noch, als der Nürnberger Kommissar die Bürotür hinter sich schloss.

      Pelzig verließ die Anwaltskanzlei und nahm die Treppe, um zur Zeitarbeitsfirma zu gelangen.

      Kapitel 4: Keller und die Rechtsmedizinerin

      Kellers Smartphone klingelte.

      „Kann ich früher kommen, die Nachmittagsstunden fallen aus.“

      „Klar, ruf mich an, wenn du am Bahnhof in Nürnberg angekommen bist. Wenn du willst, kannst du dir inzwischen einen Burger kaufen, wenn du hungrig bist.“

      „Ich sitze schon im Zug, ich bin in ein paar Minuten da“.

      „Gut, ich komme, ich mache dann Mittagspause.“

      Kaum war das Gespräch mit Sebastian beendet, kam der nächste Anruf. Pelzig war wieder mal am anderen Ende der Leitung. Er erzählte dem Kriminalhauptkommissar jetzt ausführlich, was er beim Anwalt erfahren hatte. Keller war begeistert, eine heiße Spur! Er verließ die Polizeidirektion Nürnberg und schwang sich gut gelaunt auf sein Fahrrad, um zum Hauptbahnhof zu radeln. Als er dort ankam, wartete sein Sohn bereits am Infostand der Deutschen Bahn.

      „Hast du Hunger?“

      Kriminalhauptkommissar Keller sah auf seine Armbanduhr, es war nach zwei Uhr.

      „Sollen wir wieder zum Bar Celona gehen, da hat es dir doch das letzte Mal gut gefallen.“

      Sebastian war einverstanden. Kriminalhauptkommissar Keller ließ sein Fahrrad vor dem Hauptbahnhof stehen. Sie nahmen die U-Bahn bis zur Lorenzkirche. Das Lokal war zu allen Zeiten sehr gut besucht, so sehr, dass ein zweites Restaurant im spanischen Flair an der Unteren Insel Schütt eröffnet worden war. Aber Ludwig Keller und sein Sohn gingen zum „Original“ an der Fleischbrücke.

      „Ich möchte auf einem Sessel sitzen.“

      Glücklicherweise wurde gerade eine der gemütlichen Sitzgruppen frei, nachdem ein junges Paar bei der Kellnerin die Rechnung bezahlt hatte. Sebastian ließ seine Büchertasche beziehungsweise seinen Rucksack neben sich auf den Boden plumpsen.

      „Ich möchte einen Burger, den gibt’s doch hier auch, nicht wahr? Oder vielleicht ein Wiener Schnitzel. Ich habe echt Hunger jetzt.“

      Ludwig Keller schmunzelte. Wiener Schnitzel in einer spanischen Tapas Bar! Aber auch er hatte sich bis vor wenigen Monaten fast ausschließlich von Schnitzel und Burger ernährt. Oder von Nürnberger Bratwürsten im Weckla, wenn es ganz schnell gehen sollte. Bis er einmal mit Frau Dr. Zeisig in diese spanische Tapas-Bar kam. Er hatte sich die Speisekarte angesehen und ziemlich ratlos ausgesehen. Da hatte die Rechtsmedizinerin lachen müssen und ihm einen Schnellkursus in Bezug auf spanische Küche verpasst. Und dann war er auf den Geschmack gekommen!

      „Ich möchte einen Burger und ein Spezi!“

      Die Kellnerin tippte Sebastians Wünsche in ihren handlichen, tragbaren Computer ein. Der Kriminalhauptkommissar entschied sich für eine Fajita Flaguette, ein Fladenbrot mit einer Füllung aus knackigen Salaten, Tomatenwürfeln, Hähnchengeschnetzeltem und Sauerrahm.

      Plötzlich kam eine Gruppe von sieben jungen Mädchen ins Lokal. Alle trugen orangefarbene T-Shirts mit der Aufschrift ‚Nie mehr allein’. Eines der Mädchen trug ein Krönchen – offensichtlich eine zukünftige Braut. Und jetzt wollte sie mit ihren Freundinnen ihren Junggesellinnenabschied feiern.

      Es wurden heute ja alle privaten Ereignisse unter Einbeziehen der Öffentlichkeit mit großem Aufwand gefeiert. Aufkleber auf den Autos wiesen darauf hin, dass der Fahrer jetzt im Vollbesitz seines Abiturs war. Leider war alles immer mit einem hohen Alkoholspiegel im Blut verbunden. Und wenn es dann zu alkoholisierten Gewaltexzessen unter Jugendlichen kam, oder wenn sie sich bis ins Koma soffen und das böse Erwachen im Krankenhausbett kam, wenn sich dann durch Facebook-Treffen größere Gruppen zusammen rotteten, dann bedeutete das auch immer Stress für seine Polizei-Kollegen. Zum Glück hatte Sebastian noch viel Zeit in der Schule zu verbringen. Vielleicht würde dann seine bestandene Reifeprüfung ohne viel Gedöns über die Bühne gehen. Vielleicht würde sich ja dann alles wieder ändern. Und dann würden vielleicht die Schülerfeiern im wahrsten Sinne des Wortes nüchterner ausfallen. Man sollte ja nie die Hoffnung aufgeben! Diese Zeitungsartikel über das Koma-Saufen hatten Keller schon alarmiert.

      Als Ludwig Keller seine Reifeprüfung in der Tasche hatte, hatte er mit seinen Klassenkameraden bei einem Grillabend in der Natur gefeiert. Ganz unauffällig. Nur ein paar vergilbte Fotos erinnerten ihn an dieses dennoch denkwürdige Ereignis. Nie mehr Schule! Ludwig Keller war froh gewesen, aus dem jahrelangen Klassenverband befreit worden zu sein. Und natürlich war das Posten auf Facebook von Smartphone-Fotos in den achtziger Jahren auch gänzlich unbekannt gewesen. Geteilt hatte sich Ludwig Keller im schulischen Skilager ein Zimmer mit einem Freund, aber keine Videoclips mit niveaulosem Inhalt auf den sogenannten Social Media. Ob Sebastian auch auf facebook war?

      „Ach, bitte noch ein Lemon-Squash dazu“, rief Sebastians Vater der Kellnerin hinterher.

      „Musst du noch ins Büro?“

      Sebastian schaute ihn erwartungsvoll an.

      „Ich muss noch ein paar Anrufe erledigen. Hast du Lust, nachher mit mir in den Zoo zu gehen?“

      „Darf ich mich zu euch setzen?“

      Frau Dr. Zeisig stand plötzlich vor ihrer Sesselgruppe. Es war ja ihr Lieblingslokal, schließlich war Keller ja durch die Rechtsmedizinerin auf den Geschmack von spanischem Essen in Deutschland gekommen. Er nickte ihr zustimmend zu. Sebastian reagierte nicht.

      „Übrigens hat Pelzig eine heiße Spur. Er hat mich vorhin angerufen. Der Anwalt unter der Personalleasingfirma hat am Abend des Mordes eine Frau im Treppenhaus getroffen, die von oben kam. Sie war mit einer roten Wolljacke bekleidet. War es an diesem Abend so kühl? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Und auf dem Stuhl, der vor dem Schreibtisch von Frau Schilling stand, hat die Spurensicherung tatsächlich rote Fasern sicherstellen können. Auf der Tasse befanden sich nur Fingerabdrücke von Frau Schilling. Ganz eindeutig hat die Frau mit der roten Jacke, wenn der Kaffee für sie bestimmt war, die Tasse überhaupt nicht berührt. Oder hat sie Handschuhe getragen, um keine Spuren zu hinterlassen? Übrigens, es hat noch nach kaltem Rauch in dem Büro gerochen. Ich werde Pelzig bitten, bei den Mitarbeitern von Frau Schilling mal nachzufragen, wer Raucher ist. Auf Frau Schillings Schreibtisch befanden sich jedenfalls weder Aschenbecher