Ines von Külmer

Tödliche Zeitarbeit


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aber ab in die Kiste, es ist schon spät. Sonst habe ich morgen wieder Probleme, dich aus dem Bett zu bekommen.“

      „Ich bin gleich fertig, schau mal.“

      „Toll, ganz super gezeichnet!“

      Kriminalhauptkommissar Keller beugte sich über das weiße DIN-A 4 Blatt. Und das Kompliment war ernst gemeint. Es war wirklich gut, was Sebastian da zu Papier gebracht hatte. Mit viel Liebe zum Detail hatte Sebastian einen Marienkäfer mit einem Bleistift konturenweise vorgezeichnet und dann kunstvoll schattiert mit seinen Buntstiften ausgemalt.

      „Und jetzt lasse ich den Marienkäfer wieder frei.“

      Sebastian sprang auf, öffnete die Balkontür.

      „Setz den Käfer doch auf meine Geranien“, sagte sein Vater.

      Kapitel 3: Pelzig erhält wichtige Hinweise

      Robert Pelzig war sehr erleichtert. Der Besuch beim Zahnarzt war nicht so grauenhaft gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte. Schon der Geruch der in der Praxis wabernden Desinfektionsmittel verursachte immer ein flaues Gefühl in seiner Magengegend. Und dann diese sterile Atmosphäre und die in Weiß gekleideten Menschen! Schlechte Erfahrungen aus der Kindheit! Da hatte der Zahnarzt den kleinen Robert des Öfteren mit seinem Bohrgerät traktiert. Leider hatte er aus dieser Zeit zu viele Plomben! Na ja, früher hatte man das mit dem Zähneputzen wohl seitens der Eltern nicht so genau genommen. Dafür war er jetzt umso eifriger zugunsten seines Gebisses mit dem Zahnschrubber zu Gange. Nur den Zahnstein hatte die Assistentin des Zahnarztes entfernt. Er war froh, nach einer halben Stunde wieder aus der Arztpraxis raus zu sein. Er setzte sich ins Auto und sah erst einmal auf sein Smartphone, ob es irgendwelche Nachrichten für ihn gab. Nichts, zum Glück, es war aber auch erst 8:30 Uhr. Er hatte überhaupt keine Lust, zu dieser Personalleasingfirma zu fahren, um mit diesen Typen zu sprechen. Seine Mutter hatte ihn gefragt, als sie von dem Todesfall in dieser Firma erfuhr, ob er nicht mal wegen seiner Schwester nachfragen könne, ob sie nicht einen Job für sie dort hätten. ‚Niemals’, hatte Robert geantwortet, ‚ich verschachere doch meine Schwester nicht an solche Leute!’ Er fuhr los. Die Zahnarztpraxis, wo Robert Pelzig immer seine Zähne untersuchen ließ, befand sich im Norden von Nürnberg. Das war nicht so weit von seinem Wohnort entfernt und auf dem Weg ins Polizeipräsidium Mittelfranken.

      Heute war wieder einmal die „rote Welle“ angesagt. Eine Fahrt über den Nordring war immer eine zeitaufwändige Sache, besonders zu Hauptverkehrszeiten. Aber es war immer noch besser, als sich über den Plärrer in die Stadt zu quälen. Trotzdem war heute offensichtlich kein guter Tag zum Autofahren. Manche Fahrer kämpften anscheinend noch gegen ihre Morgenmüdigkeit an. Jedenfalls war das vor ihm schon der dritte PKW-Lenker, der die nach langem Rot eintretende Grünphase beinahe verpennt hätte. Mein Gott, war das wieder nervig! Hinzu kam, dass Robert Pelzig am Morgen schon mit dem linken Bein aufgestanden war. Kein Wunder! Zuerst der „Maulklempner“ und dann noch Recherchieren in dieser Zeitarbeitsfirma! Er hatte in seiner bisherigen Laufbahn als Kriminalkommissar immer nur mit „normalen“ Firmen zu tun gehabt oder eben nur mit Privatpersonen. Diese Leiharbeiterbranche war ihm ganz besonders suspekt. Aber man konnte sich ja seine Mordfälle nicht aussuchen!

      Als er in der Neumeyerstraße eintraf, scannten seine Augen die Hausnummern. Hier war es, Hausnummer 123. Bei diesem Bürokomplex handelte es sich um ein Konglomerat von verschiedenen Firmen. Eine Anwaltskanzlei war auch dabei. Und eine Arztpraxis, ein Ingenieurbüro. ‚Alles bessere Berufszweige als die PersonalLeasing GmbH’, dachte sich Pelzig, als er aus dem Auto stieg. Er hatte mühelos einen Parkplatz vor dem Bürogebäude finden können. Er blickte an sich herunter. Er hatte nach dem Aufstehen und Duschen nach den Klamotten gegriffen, die auf dem Stuhl neben seinem Bett lagen. Eine schwarze Jeans und ein hellblaues Hemd. Und dann noch eine Jeansjacke. Es war immer noch zu frisch für August. Seine hellbraunen, glatten Haare hatte er noch im Auto gekämmt. Zum Rasieren war er nicht mehr gekommen. Wie gestern auch. Aber ein Mehrtagesbart in seinem schmalen Gesicht war doch schick und modern! Und er war ja auch erst 33 Jahre alt. Und schlank. Er machte mit seinen 1,80 Metern eigentlich immer eine gute Figur, das fand auch seine Schwester. Eine feste Freundin hatte er im Moment nicht. Nur ein paar Bekanntschaften, die er über das Internet gemacht hatte. In einer Flirt-Börse. Die Trennung von seiner langjährigen Freundin lag neun Monate zurück. Es war für beide ein Befreiungsschlag gewesen. Die Beziehung hatte in den letzten beiden Jahren nur so vor sich hingedümpelt. Ihre Interessen waren im Laufe der Jahre zu sehr auseinander gedriftet. Leider hatte sich seine damalige große Liebe mehr und mehr in die Esoterik verkrochen. Warum – darauf hatte sich der Kriminalkommissar keinen Reim machen können. Okay, die Schmetterlinge im Bauch hatten sich nach acht Jahren Beziehung mehr oder weniger verflüchtigt, auch bei ihm. Lisa arbeitete in einer Bank und wollte erst einmal Karriere machen. Robert Pelzig war es recht gewesen. Sie waren ja noch jung gewesen mit Mitte zwanzig. Die Welt lag ihnen sozusagen vor den Füßen. So hatten sie jedenfalls den Eindruck. Wann sich die Unzufriedenheit in seiner Partnerin breit gemacht hatte, konnte Pelzig nicht mehr nachvollziehen. Auch die Gründe dafür nicht. Jedenfalls begannen sich dann in ihrem gemeinsamen Haushalt Bücher über Selbsterfahrung, alternative Medizin und Astrologie zu türmen. Wobei die alternative Medizin das einzige Thema war, mit dem sich Robert Pelzig anfreunden konnte, weil eine solche Therapie ihm in weniger gravierenden Krankheitsfällen einleuchtete. Und dann hatte sie ihn noch zu einem Klangschalen-Wochenende überreden wollen. Also, da hatte er die Notbremse gezogen! Dem Kriminalkommissar reichte eigentlich ein Glas Bier und eventuell der Fernsehapparat zum Entspannen. Gut, die Klangschale, die Lisa von einem anderen Kurs mitgebracht hatte, war ne tolle Deko. Mehr jedoch nicht! Früher hatte seine Freundin viel Spaß gehabt mit ihren gemeinsamen Freunden und bei ihren gemeinsamen Unternehmungen. Warum dann dieser Wandel? War ihre Beziehung gar nicht auf echter Liebe aufgebaut gewesen? Vielleicht war es nur eine Verliebtheit gewesen, die dann nach Jahren wie die Luft aus einem Reifen gewichen war. Und am Schluss blieb dann nur noch die große innere Leere. Oder Lisa hatte sich nicht damit abfinden können, dass irgendwann der Alltag in ihre Beziehung eingekehrt war. Seine Mutter war jedoch sehr enttäuscht gewesen. Sie hatte Lisa sehr gemocht. Und hatte sich schon so auf ein Enkelkind gefreut. Immer diese familiären Verpflichtungen! Auch sein Vater hatte auf einen so genannten Stammhalter gehofft. Aber den Hof von seinen Eltern wollte er doch eh nicht übernehmen! Wegen seiner Berufswahl hatte Robert Pelzig auch viele Gefechte mit seinem Vater ausgetragen. Vielleicht heiratete seine Schwester Johanna ja mal einen Landwirt? Frau sucht Bauern! Pelzig versuchte, die Gedanken an seine ehemalige Freundin aus seinen Gedanken zu verbannen. Leider spukte sie noch immer in seinem Gehirn herum.

      Er öffnete die Eingangstür und suchte nach dem Aufzug. Davor stand bereits ein Mann in einem gut sitzenden, dunklen Anzug mit Krawatte. ‚Bestimmt der Anwalt’, dachte Pelzig.

      „Haben Sie von dem Mordfall im vierten Stock gehört?“

      „Ja, ich bin Kriminalkommissar Pelzig und mit der Aufklärung dieses Falles betraut“.

      „Oh, gut. Ich bin Dr. Grabowski, ich habe mit Kollegen eine Kanzlei im dritten Stock, direkt unter der PersonalLeasing GmbH. Ich war gestern wieder sehr lange bei der Arbeit – neuer Mandant. So gegen 21:00 Uhr habe ich mein Büro verlassen, weil ich im Restaurant gegenüber noch eine Kleinigkeit essen wollte. Und weil ich sportlich sein wollte, habe ich die Treppen genommen.“

      „Ja, und?“

      „Ja, und normalerweise ist um diese Zeit das Bürogebäude komplett menschenleer. Aber da habe ich eine Frau gesehen, die anscheinend vom vierten Stock kam. Dieses Gebäude hat ja nur vier Stockwerke. Irgendwie kam sie mir merkwürdig vor, die ganze Sache kam mir seltsam vor. Die Firma hat einen regen Publikumsverkehr, deshalb sieht man hier viele fremde Gesichter, vor allem aber im Aufzug. Aber zu dieser späten Stunde habe ich noch nie jemanden vom vierten Stock kommen sehen. Und die Haare dieser Frau, die sahen irgendwie so künstlich aus. Es schien sich um eine Perücke zu handeln. Und sie war auffallend dünn. Ihr Gesicht habe ich nur kurz gesehen, die Stirn war verdeckt durch einen dichten Pony, und die seitlichen Haare des Pagenkopfes hingen ihr ins Gesicht.“

      Damit hatte der Anwalt