Ines von Külmer

Tödliche Zeitarbeit


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ich wollte einfach mal so vorbeischauen, wenn alle Mitarbeiter da sind, und diese befragen. Ich komme gerne mit Ihnen. Klingt interessant, was Sie da sagen.“

      „Dann fahren wir in mein Büro?“

      Pelzig nickte, und der Anwalt drückte auf die Taste drei. Er stand jetzt neben dem Anwalt, der wirklich irgendwie nach Jurist aussah. Mit seinem graumelierten Haar befand er sich altersmäßig zwischen Ende Vierzig und Anfang Fünfzig. Seine Gesichtshaut war gut gebräunt und sah sehr gepflegt aus. Na, heute gab es ja auch etliche Edel-Pflegeserien für den Herrn, der etwas auf sich hielt. Robert Pelzig hatte nach seinem Abitur auch mal mit dem Gedanken gespielt, Jura zu studieren. Aber eine anwaltliche Karriere hätte er ausgeklammert. Immer picobello angezogen herumlaufen, das war nicht sein Ding. Er fühlte sich in legerer Kleidung einfach wohler. Manchmal überkam es ihn. Und dann hatte er auch mal Lust, sich wirklich super rauszuputzen. Aber eben nicht täglich, und es sollte nicht zur lästigen Pflicht werden. Pelzig freute sich jetzt aber, dass es anscheinend eine erste Spur in diesem Mordfall gab. Sie betraten die Anwaltskanzlei. Sie gingen an der Empfangstheke vorbei. Zwei junge Damen saßen beschäftigt aussehend vor ihren Computern. Jung und hübsch, wie es sich für eine Juristen-Bude gehörte.

      „Ich möchte nicht gestört werden. Und bringen Sie uns bitte Kaffee und Mineralwasser.“

      Das Büro des Anwalts war sehr geräumig, große Fenster mit modernen Kunststoffrahmen zeigten zur Neumeyerstraße.

      „Bitte nehmen Sie doch Platz.“

      Der Anwalt wies auf einen Sessel, der an einem Glastisch stand. Er ließ sich selbst auf einem der Sessel gegenüber nieder. Seinen Aktenkoffer stellte er neben sich ab.

      „Also, obwohl wir direkt unter der Zeitarbeitsfirma unsere Kanzlei haben, habe ich gestern keine ungewöhnlichen Geräusche von oben gehört. Ich meine, da muss doch ein Kampf stattgefunden haben. Die Ermordete muss doch geschrien haben. Und ich war gestern allein hier. Die Assistentinnen gehen so gegen 17:00 nach Hause. Und meine beiden Kollegen waren bei einem auswärtigen Termin.“

      „Wie sah die Frau denn genau aus, die Sie gestern Abend gesehen haben? Können Sie das noch mal noch genauer schildern?“

      „Also, wie ich schon sagte, die Frisur war auffällig, weil man von weitem sah, dass es eine Perücke war, offenbar ein billiges Modell, sonst wäre mir der Unterschied zu Naturhaar nicht aufgefallen. Und sehr dünn war die Frau. Sie trug eine dunkelrote Wolljacke.“

      ‚Gut zu wissen’, dachte sich Pelzig. Vielleicht hatte die Spurensicherung ja rote Fasern sicherstellen können, sofern diese Frau gestern tatsächlich in den Büroräumen der Personalleasingfirma war. Vier Stockwerke hatte dieses Bürogebäude. Wenn diese Verdächtige von oben kam, wie der Anwalt sagte, dann war die Zeitarbeitsfirma tatsächlich die einzig mögliche Adresse, die die „Frau in Rot“ hätte ansteuern können. Im dritten Stock gab es außer der Anwaltskanzlei noch ein Ingenieurbüro. Die Leiharbeiterfirma erstreckte sich jedoch über die gesamte vierte Etage. Das Alter der Frau konnte der Jurist nur schwer schätzen, sie habe krank ausgesehen, meinte er, schwer krank. Seine Schwägerin sei im vergangenen Jahr an Krebs gestorben. Die Frau von gestern habe ihn irgendwie an die nun tote Schwester seiner Frau erinnert, auch sie habe eine Perücke tragen müssen, weil ihr durch die Chemotherapie alle Haare ausgefallen waren. Die Chemotherapie hatte das Leben der Schwester seiner Frau nur verlängert, die Ärzte hatten sie nicht heilen können. Und wie sie gelitten hatte! Der Anblick dieser schmalen Person gestern Abend hatte in dem Anwalt die Erinnerung an das Siechtum seiner Schwägerin wieder heraufbeschworen.

      Was wollte eine schwer kranke Frau jedoch in einer Zeitarbeitsfirma? Robert Pelzig konnte sich keinen Reim darauf machen. Oder aber es war wirklich so, dass Dr. Grabowski unbewusst von den Gedanken an seine verstorbene Schwägerin auf eine falsche Fährte gelenkt worden war. Vielleicht war diese Frau ja auch magersüchtig? Egal, der Kriminalkommissar aus Nürnberg hatte gerade einen für seine Ermittlungstätigkeit sehr wichtigen Hinweis erhalten. Handelte es sich vielleicht um eine ehemalige Mitarbeiterin, die gefeuert worden war, nachdem sie erkrankt war? Gut vorstellbar. Oder aus einem anderen Grund? Wollte sie sich an der Personaldisponentin rächen, weil sie so schwer erkrankt war, und weil sie dieses Leiden auf das Arbeitsverhältnis bei der PersonalLeasing GmbH zurückführte? Dann würde die Vermutung des Anwalts einen Sinn ergeben. Dass Krebs auch psychosomatisch bedingt war, daran glaubte der Kripomann aus Neunhof mittlerweile auch. Oder hatte die Frau noch Gehaltsforderungen geltend zu machen? Aber dann wäre es ratsamer gewesen, einen Anwalt aufzusuchen.

      „Kennen Sie die Leute da oben?“

      Fragend blickte der junge Kommissar Dr. Grabowski an.

      „Nicht wirklich, aber ich haben einen Freund in der Stadt, der ist Fachanwalt für Arbeitsrecht, und der hatte schon mehrere Klagen gegen Zeitarbeitsfirmen laufen, wegen Kündigungsschutz, wegen nicht ausbezahlter Überstunden und so weiter. Man bekommt ja so einiges mit in den Medien über diese Branche. Mein Freund ist über solche Mandanten nicht begeistert. Aber er kann sich seine Klienten leider auch nicht immer aussuchen. Aber jetzt gibt es die Möglichkeit, bei Dumping-Leiharbeitergehältern die Differenz zum Entleiherbetrieb-Gehalt einzuklagen. Wenn es in dem Vertrag eine Klausel in Bezug auf christliche Gewerkschaften gibt. Wussten Sie das? Eigentlich sollten ja prinzipiell alle Zeitarbeiter wie ihre fest angestellten Kollegen bezahlt werden. Aber dann kam der „Trick“ der Leiharbeiterbranche mit den „Manteltarifverträgen“ für Leiharbeiter. Und das wurde sogar mit den Gewerkschaften ausgehandelt. Aber nach europäischem Recht sind diese Endlos-Einsätze von Fremdmitarbeitern bei Entleihfirmen jetzt eigentlich auch nicht mehr erlaubt. Und prinzipiell sollten Leiharbeiter jetzt gleich gestellt sein mit ihren Kollegen des Einsatzbetriebs. Doch da kann man immer tricksen. Zum Beispiel den Zeitarbeiter dann in eine niedrigere Tarifgruppe einordnen.“

      Ja, Pelzig wusste darüber etwas. Seit seine Schwester arbeitslos war, hatte er sich mit diesem Thema Leiharbeit näher beschäftigt. Gut, dass er solche Probleme im öffentlichen Dienst nicht hatte! Er war über seine Berufswahl wieder einmal mehr als zufrieden. Wie Keller war auch er Kriminaler mit Leib und Seele. Und die Messlatte für die Zulassung zu einer Ausbildung im gehobenen Kriminaldienst lag sehr hoch. Für sein gutes Abitur hatte er viele Stunden über seinen Büchern verbracht. Schon von Kindesbeinen an hatte er sehr gerne Fußball gespielt und trieb auch heute noch regelmäßig Sport, um sich für seinen Beruf fit zu halten. Das Auswahlverfahren hatte er erfolgreich absolviert. Darauf war er sehr stolz gewesen. Zusammen mit einem Schulfreund war er zu dieser Prüfung angetreten. Sein Freund hatte nicht bestanden. Irgendwie hatte Christian das wohl nicht richtig verkraftet, dass sein Freund Robert besser abgeschnitten hatte als er. Christian war jetzt Informatiker und arbeitete in München. Manchmal besuchte Pelzig seinen ehemaligen Schulfreund in München, wo Christian einen gut bezahlten Job gefunden hatte. Was Pelzig jedoch nervte war, dass Christian nie eine Gelegenheit ausließ, negative Bemerkungen über die Polizei als solche vom Stapel zu lassen. Schwierig aufzuklärende Mordfälle, die dann über die Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ ausgestrahlt wurden, weil man auf die Mithilfe der Öffentlichkeit hoffte, waren für den Informatiker ein gefundenes Fressen. Klar, laut Christian konnten diese Fälle ja nicht professionell gelöst werden, bei den „Nieten“, die sich da im öffentlichen Dienst tummelten. Bei dem Gedanken an seinen ehemaligen Schulkameraden kräuselten sich Pelzigs Lippen verächtlich. Aus Christian sprach doch nur der blanke Neid! Schließlich hatte er, Robert Pelzig, den Eignungstest bestanden, und Christian eben nicht. Da biss die Maus den Faden nicht ab! Irgendwie musste er rückblickend auf die Dauerdiskussionen mit seinem Kumpel an den Sketch von Loriot denken. An den nämlich, wo der Unternehmer Müller-Lüdenscheid mit dem Akademiker Dr. Klöbner in der Badewanne saß. „Aber ich kann länger als Sie!“ Ja, Robert Pelzig fand, er könne zu Recht stolz darauf sein, den Test für den gehobenen Kriminaldienst bestanden zu haben.

      Der erstaunte Blick des Anwalts riss den Nürnberger Kommissar aus seinen Gedankenströmen. Hoffentlich dachte Grabowski jetzt nicht, Pelzig hätte sie nicht mehr alle! Also, das mit den „christlichen Gewerkschaften“, davon hatte Robert Pelzig auch gehört. Das lag schon ein paar Jahre zurück. Aber trotzdem! Die Opfer gab es ja immer noch. War diese Frau, die Dr. Grabowski gestern im Treppenhaus gesehen hatte, in die Fallstricke