Jo Caminos

Tempus Z


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muss dieses Chaos doch ein Ende haben. Es wird einen Wirkstoff geben, einen Impfstoff, irgendetwas ... Wir können hier überleben, zusammen. Oh, bitte. Ich werde hier noch verrückt. Ihr könnt so viel zu Essen haben, wie ihr wollt, alles - aber bitte, bleibt hier!“

      Charlotte schüttelte den Kopf. „Vielleicht wird es einen Impfstoff geben, irgendwann, aber darauf können wir nicht warten.“

      Cindy schluchzte erneut auf und wandte dann das Gesicht ab. Ihr Blick ging in die Ferne, ganz weit weg.

      Es vergingen einige Momente, bis Peter fragte: „Funktioniert ihr Internet-Anschluss noch, Ma´am?“

      Sie wischte sich über die Augen und sah ihn dann blinzelnd an. „Ja, aber seit ein paar Tagen wird es immer schwieriger, eine Online-Verbindung aufzubauen. Der Strom fällt auch immer öfter aus. Aber wenn Sie online gehen wollen, können Sie es gerne versuchen.“

      „Genau das, und machen wir besser, dass wir von der Straße kommen“, sagte Roland, der sich mit einem ungemütlichen Gefühl im Nacken umsah. Ihm war, als wäre das Raunen und Stöhnen in der Ferne lauter geworden. Es war unheimlich.

      „Ja, finde ich auch“, sagte Charlotte, die sich ähnlich unwohl fühlte. Für einen Moment war ihr wieder Sam vor ihrem inneren Auge erschienen. Sie wusste, dass sie von ihm träumen würde - von diesem Gesicht, das zwar wie ihr Mann aussah - und doch so ganz anders war: lebend tot ... Sie ließ den Blick kurz die Straße rauf- und runterschweifen, sah zu den Nachbarhäusern. Doch niemand sonst war auf die Straße gekommen, glücklicherweise auch keine Untoten.

      Kurz darauf betraten sie Cindys Haus. Sie führte sie in ihr Arbeitszimmer, wo ein 17-Zoll-Laptop auf einem Computerarbeitstisch stand.

      Cindy fuhr den Laptop hoch, loggte sich ein und kontrollierte die WLAN-Verbindung. Der Rechner war online. Sie öffnete den Browser und kurz darauf verschiedene Seiten von Bloggern, die über die Katastrophe berichteten. Dann machte sie den Platz frei und ließ Peter an den Rechner. Er öffnete zusätzliche Tabs und suchte nach Informationen über Deutschland, dann nach Meldungen über die radioaktive Wolke in Japan. Viele der Meldungen widersprachen sich. Einerseits hieß es, Deutschland sei - wie der Rest von Europa - verloren. Dann wieder gab es Einträge, dass Frachtmaschinen nach wie vor das Achsenkreuz Frankfurt/Flughafen anflogen. Ähnlich verhielt es sich mit Japan. In einem Blog gab es eine Grafik, die zeigte, das Japan gänzlich dem Untergang geweiht war. An anderer Stelle hieß es dagegen, es sei nur minimale Radioaktivität ausgetreten, alles wäre im Griff und das japanische Militär würde nach wie vor gegen die Herden der Untoten vorgehen - und sie auch zurückschlagen.

      Peter wechselte erneut auf einen anderen Tab und wollte sein E-Mail Account im Web abrufen, doch die Seite gab nur eine Fehlermeldung aus. Also nicht!

      Roland tat es ihm kurze Zeit darauf gleich, doch auch seine Web-Accounts waren nicht verfügbar.

      „Das bringt uns alles nicht weiter“, stellte Peter, der erneut am Rechner Platz genommen hatte, nach einer Weile fest. „Die Blogs verbreiten mehr Paranoia als Information. Religiöse Spinner, Fanatiker. Einerseits Berichte über die totale Vernichtung, dann wiederum Durchhalteparolen.“ Er machte eine kurze Pause und sah die anderen der Reihe nach an. „Ich denke, es bringt nichts, wenn wir weiter hier herumsitzen. Machen wir, dass wir auf die Whitehawk Air Force Base kommen. Dort besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit, nach Hause kommen zu können. Und selbst wenn sie mich in den Container eines Frachtflugzeugs stecken, es ist mir wurscht. Ich will nach Deutschland, ganz egal wie.“

      „Aber hier sind wir in Sicherheit“, meinte Cindy leise. Offensichtlich wollte sie um jeden Preis verhindern, dass die drei sie alleine zurücklassen würden. Sie würde sie nicht zur Whitehawk Air Force Base begleiten, nicht in diese verfluchte Safe Zone gehen. Die anderen mussten doch erkennen, dass es hier sicherer war ...

      Peter sah ihr in die Augen. „Ich habe einen kleinen Sohn, er ist erst ein paar Monate alt. Alles, was mich treibt, ist die Sorge um dieses Kind. Ich werde verrückt bei dem Gedanken, dass diesem kleinen Wurm etwa zustoßen könnte und ich hätte nichts unternommen.“

      „Und wenn er tot ist - oder verwandelt ...?“, erwiderte Cindy mit schwacher Stimme.

      „Dann habe ich es zumindest versucht!“ Peters Stimme klang rau. Du warst viel zu lange passiv, hast dich treiben lassen. Im Grunde genommen war dir doch alles egal. Du hattest genügend Geld, dein gutes, bequemes Leben. Und dann kam der Tag X, und da war plötzlich dieses Kind. Und alles war anders.

      „Bei mir verhält es sich ähnlich“, sagte Roland, der Charlotte einen schnellen Blick zuwarf, die überrascht war, dass Peter einen kleinen Sohn hatte. Auch ihr hatte Peter nichts von seinem Sohn erzählt.

      Charlotte nickte. „Ja“, sagte sie schließlich. „Wir alle haben da wohl einiges gutzumachen, was die Vergangenheit angeht.“ Sie dachte an ihre Familie, mit der sie gebrochen hatte. All die Jahrzehnte ohne Kontakt. Sie hatte sich den Briefen verweigert, sich von allem abgekapselt. Bis zu diesem einen Tag - sie wusste selbst nicht genau, wie und wann es geschah - als ihr bewusst geworden war, wie sehr sie ihre Familie vermisste. Ihre Mutter war mittlerweile weit über achtzig. Da blieb nicht mehr viel Zeit. Und sie wollte ihre Schwester wiedersehen, unbedingt. Als Kinder waren sie fast wie Zwillinge gewesen, durch dick und dünn gegangen. Dann war Sam gekommen, und mit ihm hatte sich alles geändert. Nun, sagte sich Charlotte. Das lag nicht nur an Sam, das lag auch an dir, liebe Charlotte. Du wolltest es so! Du hast es mit dir machen lassen! Und jetzt bereust du. Und vielleicht wirst du bezahlen ...

      Charlotte kehrte aus den Gedanken zurück und schenkte Cindy einen festen Blick, die sie verzweifelt ansah. „Du wirst hier auf Dauer nicht alleine überleben, Cindy. Komm mit uns!“, sagte sie mit fester Stimme, es klang fast beschwörend.

      „Ich kann nicht, das weißt du doch.“ Cindy schüttelte resigniert den Kopf. Tränen schimmerten erneut in ihren Augen. „Ich kann einfach nicht. Meine Panikattacken, wenn da zu viele Menschen sind. Ich kann das einfach nicht.“ Ihr Blick war hoffnungslos.

      Charlotte wusste nur zu gut, was Cindy meinte. Cindy litt schon seit Jahren an Panikattacken. Mit einzelnen Schülern zu arbeiten, stellte kein Problem für sie dar, aber wenn sie vor eine Schulklasse treten musste oder ein größeres Publikum hatte, war es schnell vorbei. Sie bekam dann keine Luft mehr, und ihr Herz raste wie verrückt. Mehr als einmal war sie während eines Vortrages umgekippt. Ihr waren einfach die Beine weggeknickt, dann war ihr Schwarz vor Augen geworden. Das Problem war: Keine Therapie hatte bis jetzt Wirkung gezeigt. Nein, Cindy würde nicht zur Whitehawk Air Force Base mitkommen. Und sie konnten nichts für Cindy tun. Sie würde hierbleiben und irgendwann sterben, hoffentlich, denn die Alternative wäre, als Untote zurückzukehren.

      Charlotte wollte etwas sagen, Cindy trösten, doch sie schwieg. Es gab einfach nichts zu sagen, nichts, außer leeren Worten, die eh nichts geändert hätten.

      Peter registrierte, dass einer der eher seriösen Blogs seine Feeds aktualisiert hatte. „Pech gehabt“, murmelte er leise. „Es gibt tatsächlich eine radioaktive Wolke, die westwärts zieht - über den Pazifik. Die Prognosen gehen von einer Nordströmung aus. Die Westküste Kanadas dürfte am stärksten betroffen sein, aber auch der Westen der USA wird aller Voraussicht nach nicht ungeschoren davonkommen. Ich denke, wir sollten aufbrechen.“

      „Man kann vor einer radioaktiven Wolke nicht davonlaufen“, sagte Cindy schnell, dann sah sie erneut zum Fenster raus, und wieder schien ihr Blick ins Nichts zu gehen.

      „Das nicht, aber darum geht es auch nicht. Nicht mehr!“, sagte Peter mit fester Stimme. „Noch können wir handeln! Wir sind mobil. Noch sind wir gesund. Mag sein, dass diese Scheißwelt den Bach runtergeht, aber ich bin nicht bereit, einfach aufzugeben und die Hände in den Schoss zu legen und auf das Ende zu warten ... Und ich will zu meinem Sohn!“

      Eine halbe Stunde später saßen Charlotte, Roland und Peter im Camper und verließen Baxter´s Creek Richtung Whitehawk Air Force Base. Cindy blieb zurück. Sie hatte nicht am Fenster gestanden, als sie losgefahren waren ...