Jo Caminos

Tempus Z


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den Arm um die Schulter. „Lasst uns hier verschwinden.“

      Charlotte nickte und wischte sich den Rest von Rotz aus dem Gesicht. Sie atmete tief durch und richtete sich dann auf. „Die Medikamente ...“, sagte sie leise, „... die sollten wir nicht vergessen.“ Sie stutzte. Ihr war, als hätte sie etwas vergessen. „Ach so, das Internet ... Peter, Roland ... schaut unten mal im Wohnzimmer nach, da steht Sams Laptop. Das Passwort ist einfach Charlotte, ich denke nicht, dass Sam es geändert hat, dafür war er viel zu bequem. Ich wasche mir noch mal kurz übers Gesicht, ich bekomme einfach nicht diesen Leichengeruch aus der Nase. Es ist zu widerlich.“

      Peter und Roland nickten ihr kurz zu, dann gingen sie nach unten ins Wohnzimmer, um nach dem Laptop zu sehen.

      Eine seltsame Ruhe hatte Charlotte plötzlich erfasst, als sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtete. Ihr Peiniger war tot. Ihr Mann war tot. Er lag da am Boden, ein getöteter Untoter, das Gesicht durch ein Handtuch verdeckt. Hast du überhaupt jemals was für ihn empfunden? Hast du Sam jemals geliebt? Vielleicht - irgendwann vor Ewigkeiten. Sie fühlte sich in diesem Augenblick nur noch leer. Und doch war da etwas in ihr: eine Gewissheit. Niemals wieder würde ein Mann Hand an sie legen. Das war vorbei. Endgültig. Und würde jemals wieder in ihrem Leben, egal, wie lange es noch währte, ein Mann versuchen, ihr Gewalt anzutun, sie würde nicht mehr zögern. Sie würde zurückschlagen, sie würde zustechen, sie würde ihm dermaßen in die Weichteile treten, dass er sich nicht so schnell wieder davon erholen würde, vielleicht niemals. Und das war gut so ...

      Als sie kurze Zeit später nach unten kam, standen Peter und Roland schon abfahrbereit in der Diele.

      „Und - habt ihr Mails?“, fragte Charlotte.

      Peter zuckte die Achseln. „Da war kein Laptop. Nirgendwo. Habt ihr sonst wo im Haus noch einen Computer?“

      Charlotte sah ihn erstaunt an: „Nein, ihr wisst ja, dass ich nicht unbedingt der Nerd bin, nur Sam hatte ein Laptop.“ Sie schürzte die Lippen. „Weiß der Henker, was der Kerl mit dem Laptop angestellt hat. Ich will es ehrlich gesagt auch gar nicht so genau wissen ...“

      „Ist egal“, meinte Roland. „Kommt, gehen wir. Ich fühle mich einfach nicht wohl mit der Leiche dort oben ...“

      Sie sahen sich kurz an, dann verließen sie das Haus.

      Charlotte wusste, dass sie niemals hierher zurückkehren würde. Es war sowieso niemals ein Zuhause gewesen.

       5. Kapitel

       Cindy - letzte Neuigkeiten ...

      Sie wollten gerade in den Camper einsteigen und sich auf den Weg machen, als eine Frau aus dem Nachbarhaus auf sie zugelaufen kam. Sie blieb zitternd vor ihnen stehen. Die Frau schien verwirrt und sah sich immer wieder gehetzt um, als erwartete sie jeden Augenblick einen Angriff von Untoten.

      Es war Cindy Mulhouse, eine attraktive Vierzigjährige, die als Sozialarbeiterin an der Hobart Highschool arbeitete. Charlotte und Sam hatten kaum Kontakt zu ihren Nachbarn gehalten. Sam hatte es nicht gewollt. Und als Charlotte damals doch zu der Poolparty der Millers gegangen war, hatte er sie am Abend brutal grün und blau geschlagen. In den ersten Monaten, als Cindy und ihr Lebenspartner in das Nachbarhaus gezogen waren, war es Cindy gewesen, die Charlotte hin und wieder auf einen Kaffee eingeladen hatte. Aber Sam konnte die Sozialschlampe, wie er sie nannte, nicht ausstehen. Und so hielt Charlotte den Kontakt zu Cindy auf die Zeiten beschränkt, wenn Sam nicht da war. Irgendwann war es Cindy gewesen, die Charlotte auf ihre Eheprobleme angesprochen hatte und ihr vorschlug, einen Therapeuten aufzusuchen, aber Charlotte hatte abgelehnt und Cindy dabei fast flehend in die Augen gesehen, das Thema nicht wieder anzusprechen, vor allem nicht, falls Sam in der Nähe wäre.

      „Ich dachte, hier wären alle tot“, brachte Cindy stockend hervor. Sie legte Charlotte die Hände auf die Schulter und drückte sie dann an sich. „Gott tut das gut, jemand Lebendigen zu sehen. Ich dachte wirklich, hier wären alle tot, seit ... Henry ist niemals zurückgekommen, weißt du.“ Henry war ihr Lebenspartner, ein Lehrer von der Highschool. Sie waren seit etwas über zwei Jahren zusammen und hatten im Frühjahr heiraten wollen. „Er war in der Stadt unterwegs. Ich ... ich hoffe, dass er tot ist und nicht als Untoter umherwandert. Mein Gott ...“ Sie löste die Umarmung und nickte Roland und Peter zu.

      Charlotte schilderte in kurzen Worten, dass sie mit ihren alten Freunden die letzten Wochen über auf einer Trekking-Tour im Mark-Twain-Nationalpark unterwegs war und erst heute zurückgekehrt sei. Dass sie vor Sam geflüchtet war und geplant hatte, die Staaten zu verlassen, ließ sie dabei außen vor, aber sie ahnte, dass Cindy auch so Bescheid wusste. Sie hatten ja oft genug bei Kaffee und Kuchen über Sam und seine Wutausbrüche gesprochen.

      „Ist Sam noch im Haus ...?“, fragte Cindy. „Ich meine, als die Katastrophe anfing, ist er eines Abends früh nach Hause gekommen. Du hattest mir erzählt, dass er im Manöver wäre. Und ich fand es komisch. Du warst weg, und kurze Zeit später kamen einige eurer ... seiner Kumpels vom Militär vorbei. Sie waren nur kurz im Haus und verließen es bald danach mit jeder Menge Waffen. Ich hielt mich versteckt. In der Stadt herrschte Chaos, dann die Meldungen im Netz und im Fernsehen. Es gab schlimme Plünderungen, als die ganze Sache anfing. Sam fuhr mit den anderen mit, kam aber am nächsten Tag früh morgens noch einmal zurück. Er hatte seinen Wagen direkt in die Garage gefahren. Offensichtlich wollte er nicht, dass man wusste, dass er hier war. Er hat mit einem Gewehr auf mich gezielt und mir angedroht, mich zu erschießen, als er mich am Fenster sah, Charlotte! Dann habe ich euch kommen sehen. Ich ... ich weiß nicht mehr weiter.“

      Charlotte rang sich ein Lächeln ab und legte Cindy sanft die Hand auf den Arm. „Sam ist tot, Cindy, das ist vorbei, er wird niemals wieder irgendjemanden bedrohen“, sagte sie mit seltsam ruhiger Stimme. „Er wurde gebissen ...“ Sie wollte nicht weiter über Sam nachdenken, nicht über ihn reden.

      „Wir sind auf dem Weg zur Whitehawk Air Force Base“, fuhr Charlotte kurz darauf fort. „Wir suchen nach einer Möglichkeit, nach Deutschland zurückkehren zu können. Auf Whitehawk Air Force Base soll eine Safe Zone eingerichtet worden sein. Das ist bestimmt besser, als hier in der Stadt zu bleiben - mit all den Untoten. Und ...“

      „In die Safe Zone?“, stieß Cindy hervor. „Oh nein, tut das nicht. Die Safe Zones sind eine Lüge. Im Netz grassieren die schlimmsten Gerüchte. Die Kontrollen waren am Anfang viel zu lasch. In vielen Safe Zones ist die Seuche ausgebrochen! All die vielen Menschen auf engstem Raum ... Es soll zu schrecklichen Massakern gekommen sein, als die Soldaten wild in die Menge feuerten. Sie setzten sogar Flammenwerfer ein, heißt es. Und ...“

      „Beruhige dich!“, sagte Charlotte leise. Sie sah Cindy fest in die Augen.

      „Gut.“ Cindy schluckte. „Aber es kommt noch schlimmer, Charlotte. In Japan kam es offensichtlich zu einer Kernschmelze. Einer der alten Reaktoren in Fukushima scheint nur notdürftig geflickt worden zu sein, und der ist durchgegangen. Was da genau vor sich geht, weiß keiner. Aber Tokio soll mittlerweile eine tote Stadt mit radioaktiv verstrahlten Untoten sein. Japan ist verloren, und man kann nur hoffen, dass die Untoten nicht schwimmen können. Und dann diese schreckliche radioaktive Wolke ...“

      „Scheiße“, murmelte Roland und warf Peter einen schnellen Blick zu.

      „Es ist nirgendwo sicher, glaubt mir“, sagte Cindy. „Bleibt doch hier. Ich habe etliches an Vorräten, die Kühltruhen sind voll, und wir haben doch den Panic Room unten im Keller, Charlotte, das weißt du doch! Selbst wenn Plünderer kommen sollten, im Panic Room wären wir sicher, da kommt niemand rein, wir haben sogar eine autarke Sauerstoffversorgung, und ...“ Cindy zitterte, während sie redete, ihre Pupillen wirkten unnatürlich groß. Sie wollte gerade zu einem weiteren Redeschwall ansetzen, als Charlotte energisch den Kopf schüttelte: „Nein! Cindy, versteh doch, wir wollen unter allen Umständen zurück nach Deutschland, wir werden nicht in den Staaten bleiben, wir wollen unbedingt zurück!“

      Cindy schluchzte und verbarg kurz das Gesicht in den Händen, dann