Jo Caminos

Tempus Z


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bewegte sich dann aber vom Camper weg. Sie hatte Angst, hielt den Blick auf die Waffe des Fremden gerichtet. Blitze traten ihr vor die Augen, der Schwindel war schlimmer geworden. Und ihr war schrecklich übel. Sie stolperte weiter rückwärts auf den Bürgersteig zu, wo der Erschossene in seinem Blut lag. „Bitte, nicht schießen, bitte nicht.“

      „Was soll das?“, fragte Roland, doch der kleinere der Männer warf ihm nur einen schnellen Blick zu und hob den Lauf des Gewehres etwas an. „Nicht!“, sagte Peter leise, als Roland sich dem Mann nähern wollte. Roland blieb mit wütender Miene stehen.

      „Noch weiter“, forderte der größere der Männer Sonja auf, die mit verzerrtem Gesichtsausdruck zurückwich. Tränen standen ihr in den Augen. Hilfe suchend blickte sie an dem Mann vorbei zu ihren Freunden, die beim Camper stehen geblieben waren.

      Charlotte sah schnell zu Peter und Roland. Keiner von ihnen wagte es, sich zu regen. Die ganze Situation ergab keinen Sinn: Sonja hatte einem Unbekannten helfen wollen und war gebissen worden. Warum legte der Mann jetzt die Waffe auf sie an?

      „Sorry“, sagte der größere der Männer.

      Er schien sehr geübt mit der Waffe. Der Schuss traf Sonja direkt zwischen die Augen, trat hinten wieder aus und riss etliches an Gehirnmasse mit sich. Das war noch, bevor die kleine, rundliche Frau rückwärts auf dem Bürgersteig aufschlug und ihrem mehrfach glücklich geschiedenen Leben ein schnelles Ende bereitet worden war.

      Der kleinere der Männer nickte den Freunden zu und trat dann neben den größeren Mann, der mittlerweile die Waffe gesenkt hatte. Sonja lag irgendwo hinter den beiden, nah bei dem Fremden, der sie kurz zuvor gebissen hatte. Erst jetzt fiel Charlotte auf, dass der größere der Männer einen Cowboyhut trug, den er kurz antippte.

      Er sah Charlotte in die Augen. „Du hast Glück gehabt, dass wir dich nicht auch erschossen haben, so, wie du aussiehst. Aber die Untoten können nicht reden. Trotzdem - sorry und willkommen in Billings ...“

       3. Kapitel

       Harold und Justin und der Rest der Welt

      Sonja Salzmann lag nun in ihrem Grab, hier in Billings, irgendwo in Missouri, weit von Deutschland entfernt, begraben auf einer Wiese hinter einem Drugstore. Harold, der größere der beiden Männer, schien gläubig zu sein. Er hatte ein Gebet gesprochen. Sie hatten für Minuten schweigend an dem frischen Grab gestanden und hatten Abschied genommen. Mehr hatten sie nicht tun können. Die Leiche des Fremden, der ein Untoter war, hatten sie ebenfalls beiseitegeschafft. Der Untote würde verbrannt werden - später. Dann waren Charlotte und ihre beiden Freunde Harold und Justin in einen leer geräumten Drugstore gefolgt.

      Sie saßen da und schwiegen. Harold und Justin hatten Kaffee gebracht, den sie nun tranken. Die Situation wirkte irgendwie unwirklich, völlig surreal. Lag Sonja wirklich dort in ihrem Grab? War das wirklich alles geschehen? Charlotte sah abwechselnd zu Harold und Justin.

      „Es gab keine andere Möglichkeit, findet euch damit ab“, sagte Harold irgendwann leise. „Wäre der Biss irgendwo an den Extremitäten erfolgt, hätte man eure Freundin vielleicht durch eine schnelle Amputation noch retten können. Doch bei einem Biss in den Hals oder in den Schultermuskel ist nichts mehr zu machen. Sie wäre als Untote zurückgekehrt“, sagte er mit heiserer Stimme. Er hörte sich an, als würde er sehr viel rauchen.

      Die Rollläden in dem Drugstore waren herunterlassen. Ein diffuses Licht beherrschte die Szene.

      Es ist aus!, hatte Charlotte gedacht, als der Schuss aus Harolds Waffe die Stirn von Sonja durchschlagen hatte und die Freundin aus Studienzeiten rückwärts auf dem Bürgersteig aufgeschlagen war. Die bringen uns um. Wahnsinnige ...

      Aber Justin, der jüngere der beiden Männer hatte beschwichtigend die Arme erhoben. „Verschwinden wir besser von der Straße. Billings wurde zwar geräumt, aber wir können nicht sicher sein, dass sich hier nicht doch noch andere Untote herumtreiben. Und bringen wir eure Freundin hier weg. Wir müssen sie beerdigen. Den Untoten verbrennen wir später.“

      Charlotte kehrte aus den Gedanken zurück und sah zu den anderen.

      „Hätte sich Sonja - unsere Freundin - denn so schnell verwandelt?“, fragte Roland mit spröder Stimme. Was redete er da? Verwandelt? Die ganze Geschichte, die Harold und Justin erzählt hatten, klang total abgehoben. Er konnte noch immer nicht glauben, dass der Fremde Sonja einfach so einen Kopfschuss verpasst hatte.

      Harold hatte seinen Cowboyhut neben sich auf einem niedrigen Tisch abgelegt. „Es war ein Gnadenakt. Es gab keine Hoffnung, nicht bei dieser Art Biss. Sie hätte irgendwann Fieber bekommen, dann Krämpfe. Dann wäre ihr Herz stehen geblieben - und sie wäre zurückgekehrt, als beißendes, um sich schnappendes Monstrum. Manchmal braucht es Tage, bis sich die Gebissenen verwandeln, bei anderen geht es sehr schnell. Es war ein Gnadenakt, glaubt mir, eurer Freundin war nicht mehr zu helfen, sie hätte nur unnötig gelitten, schrecklich gelitten. Wir haben es einmal zu oft erleben müssen. Es ist besser so.“ Er sah kurz unter sich. „Habt ihr denn wirklich überhaupt nichts mitbekommen von dem ganzen Chaos?“

      Roland und Peter sahen sich schweigend an.

      „Nein“, erwiderte Charlotte lapidar. Wie auch. Sie schilderte in aller Kürze, dass sie die letzten drei Wochen in den Wäldern auf Trekking-Tour waren, im Mark-Twain-Nationalpark - ohne Kontakt zur Außenwelt. Kein Satelliten-Telefon, kein Internet. Sie waren für sich geblieben, hatten es so gewollt - die Welt hatte draußen bleiben sollen. Kein Stress, keine nervigen E-Mails, keine Anrufe, die niemand brauchte - nichts davon.

      „Aber wie ...“, setzte Roland an. Alles erschien so unwirklich, irgendwie hirnrissig. Zombies, Untote ... - das gab es in Filmen oder in Büchern, aber doch nicht in der wirklichen Welt.

      „Keiner weiß es“, fuhr Harold fort. „Zuerst gab es Kurzmeldungen im Fernsehen und im Netz. Wir hielten es für Hysterie, dachten sogar an einen Werbegag der Marketing-Strategen. Die Toten laufen ... Ihr wisst ja, was für einen Mist es im Internet gibt. Dann kam es zu den ersten Zwischenfällen in einigen Krankenhäusern. Auch in Altenheimen. Nun ja, und irgendwann wurde das Militär eingeschaltet, die Nationalgarde, alles und jeder, der irgendwie eine Waffe halten konnte. Es ging so unglaublich schnell. Niemand konnte doch mit so etwas rechnen. Terroranschläge, durchgeknallte Fanatiker, ja. Aber das hier ...“

      Roland hob kurz unterbrechend die Hand. „Ist das jetzt lokal hier in der Gegend passiert. Wir haben die Sirenen gehört, oder ...“

      „Eher oder“, erwiderte Justin anstelle von Harold. „Einheiten der Nationalgarde haben Billings evakuiert, es hieß, es gäbe Safe Zones auf den Militärstützpunkten, wohin die Zivilbevölkerung dann gebracht wurde. Und es hieß auch, dass alles nur eine temporäre Angelegenheit sei. Wir haben alles im Griff. Tja, viel Spaß dann. Was mittlerweile im Netz grassiert, spricht eine andere Sprache. Die ... Seuche, so denn es eine Seuche ist, scheint weltweit ausgebrochen zu sein. Europa, Asien ... „ Justin wischte sich kurz über die Augen. „Aber keiner weiß etwas Genaues. Afrika und Südamerika gelten als Schwarze Zonen auf der Landkarte, aber bei der Bevölkerungsdichte in den Armenvierteln, dürfte sich das Virus rasend schnell ausgebreitet haben. Wir beide haben uns entschlossen, hierzubleiben und nicht in eine der Safe Zones zu gehen, besonders nicht auf einen Militärstützpunkt.“

      „Scheiße“, sagte Charlotte in die entstandene Stille. Untote ... Zombies ..., weltweite Katastrophe. Und wir sind mittendrin.

      „Und wo kommt das Virus her, so plötzlich. Ich kann das nicht begreifen. Tote sind tot, basta!“, sagte Peter mit brüchiger Stimme.

      Harold lächelte grimmig. „Wir sagen zwar Virus, aber keiner weiß, ob es ein Virus ist. Die Fakten sind dünn, und im Netz rumort es. Gerüchte gibt es viele - aber Fakten, na ja. Am schlimmsten hat es allem Anschein nach die größeren Städte getroffen. Das Militär soll Napalm eingesetzt haben - und die neuen Megabrandbomben, die alles dem Erdboden gleichmachen. Trotzdem lassen sich die Untoten nicht aufhalten. Die Regierung