Andy Glandt

Das Gedicht der Toten


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      „Ich sehe, du erkennst den Film. Seitdem ich ihn habe, bin ich auf der Suche nach euch. Und nun weiß ich, wo ihr alle wohnt. Mal waren meine Gedanken an euer scheußliches Verbrechen in den letzten Jahren schwächer, mal bestimmten sie meinen Tagesablauf, aber sie waren immer gegenwärtig. Ich will wieder richtig schlafen können und darum muss ich die Ursache dieser Schlaflosigkeit beseitigen. Das siehst du doch ein, oder?“

      Er überlegte, wie alt sie sein mochte. Das war schwer zu sagen, ohne ihr Gesicht zu sehen. Mitte 30 vielleicht. Dann war sie 1983 sieben oder acht gewesen. Aber... Nein, es hatte keine Zeugen gegeben. Obwohl. Damals war berichtet worden, dass man im Obergeschoss eine Matratze und Bonbonpapier fand. War diese Frau dort oben gewesen? Sind sie von ihr beobachtet worden? Woher sonst wusste sie, wer dabei war? Ihre Gesichter sind auf keinem der Filme zu erkennen. Darauf hatten sie Acht gegeben.

      „Du musst mir nicht antworten. Es ist ja auch egal, was du vorzubringen hast. Dein Urteil ist gesprochen, sowie das deiner Kumpane.“

      Warum wollte diese Frau die zwei Kinder rächen? Wollte sie Gerechtigkeit, weil sie die in dem Film gezeigten Szenen abscheulich fand? Das waren sie sicher auch, wie er heute fand, aber damals … Wer hätte damals gedacht, dass sich so schnell alles ändert.

      Er musste versuchen, sie dazu zu bringen, ihn loszubinden. In ihren Augen, die ihn von hinter der Maske anschauten, spiegelte sich Entschlossenheit wider, gepaart mit Wahnsinn. Das war gefährlich. Er musste es versuchen, sie zu besänftigen.

      „Ich kann Ihnen Geld geben. Ich bin Arzt und verdiene ganz gut. Wie viel wollen Sie? Sagen Sie es...“

      Ein Schlag ins Gesicht ließ ihn mitten im Satz innehalten. Einzelne Sterne tauchten vor seinen Augen auf. Die Frau hatte Muskeln und sie wusste sie einzusetzen.

      „Warum denken immer alle, mit Geld lassen sich die Unannehmlichkeiten des Lebens aus dem Weg räumen? Was nützt es den Opfern, wenn du mir Geld gibst? Was nützt es mir? Die Alpträume gehen weiter und ich würde mich dann sogar als Mittäterin fühlen. Du bist eine Bestie und irgendwann muss jeder bezahlen. Deine Stunde ist jetzt gekommen und du kannst stolz sein … du bist der Erste.“

      Panik kam in ihm hoch. Er sprach zu schnell, überschlug sich beinahe. „Ich habe die Kinder nicht umgebracht, es waren …“

      Wieder bekam er einen Schlag ins Gesicht. „Quatsch keinen Mist. Alle vier seid ihr für die Morde verantwortlich und mir ist egal, wer der letzte Auslöser war. Ich bin noch nicht so weit, um zu erfahren, warum und wie ihr sie umgebracht habt. Das lass ich mir vielleicht von einem deiner Mittäter berichten. Nur eins würde mich interessieren, wo habt ihr die Leichen entsorgt, sicher in der Ostsee, oder?“

      Er nickte. „Ja, aber …“

      „Halt deinen Mund! Das ist jetzt sowieso nicht mehr rückgängig zu machen. Sie sind tot und sie bleiben tot und das Schlimmste ist, sie konnten nicht beerdigt werden. Niemand konnte Abschied von ihnen nehmen.“

      Sie streichelte ihn erneut. Ihr Busen drückte sich gegen seinen Oberkörper. „Ein bisschen Freude werde ich dir aber noch bereiten.“ Ihre rechte Hand fuhr langsam seinen Körper hinunter, über Brust und Bauch und streichelte seine Leistengegend. Dann strich sie behutsam über seinen Penis, der langsam seine ruhende Position aufgab. Sie streichelte seinen Hoden, nahm seinen Penis zärtlich in die Hand und massierte ihn. Er erigierte zusehends. Sie schaute ihm in die Augen. Erregung und Angst. Sie konnte nicht sagen was überwog. Sein Glied wurde steifer. „Gefällt es dir?“

      Sie ließ ihn kurz los, langte nach oben und riss ein Stück Paketklebeband vom Türrahmen, das sie dort befestigt hatte, nachdem er gefesselt worden war. Sie küsste ihn leicht auf den Mund und klebte das Band über seine Lippen. Die Schreie, die gleich zu erwarten waren, sollten von niemandem gehört werden. Sie schaute ihm wieder in die Augen. Nun überwog die Angst. Genauso muss es den Opfern damals ergangen sein. Schrecken und Angst. Und sie konnten sich nicht wehren, so wie er es jetzt auch nicht konnte.

      Sie widmete sich wieder seinem Penis. Er musste steif sein. Ganz steif. Sie streichelte seinen Körper, seinen Hoden, seine Innenschenkel. Er schien dagegen anzukämpfen, aber es half nichts. Sein Penis härtete sich unaufhörlich. Unartikulierte Laute stieß er hinter dem Klebeband hervor. Er riss an den Fesseln, hatte aber keine Chance. Sie waren zu fest. Sie hatte ganze Arbeit geleistet.

      Nun war es soweit. Der Penis war hart genug. Sie ergriff ihn mit beiden Händen. Die Länge passte genau hinein.

      „Jetzt ist es so weit.“ Es war nur ein Raunen, aber er hatte sie verstanden. Der blanke Horror blickte sie an. Das war gut so und sie genoss es. Er schien zu wissen was ihn erwartete. Er konnte die Schmerzen vorahnen. Er spürte die Qualen schon, bevor sie die Strafe, die sie sich für ihn ausgedacht hatte, ausführte. Sie hätte diesen Moment gern noch ein wenig ausgekostet, konnte es aber nicht riskieren, dass seine Erektion nachließ.

      Fest hatte sie seinen Penis im Griff. Ruckartig führte sie eine Bewegung aus, als ob sie einen Stock zerbrach. Ein leises Knacken war zu hören und sie wusste, was passiert war. Sie hatte sich belesen. Mindesten einen Schwellkörper musste sie getroffen haben. Blut spritzte aus der Harnröhre. Also hatte sie diese auch erwischt. Das war gut. Undefinierbare Laute waren hinter dem Klebeband zu hören. Sein ganzer Körper war angespannt, seine Augen glichen herausgezoomten Objektiven und füllten sich mit Tränen. Er riss weiter an seinen Fesseln. Je mehr er sich bewegte, desto mehr Blut troff aus seiner Harnröhre.

      Dann ließ er plötzlich den Kopf hängen und sein Körper sackte schlaff in den Fesseln zusammen. Er war ohnmächtig geworden.

      Sie trat einen Schritt zurück und schaute auf ihr Werk. Die Erektion war sofort abgeklungen, der Penis verfärbte sich dunkelblau und schwoll an.

      Sie lief ins Nebenzimmer und zog sich an. Mit ihrer Handtasche ging sie zum DVD-Recorder, öffnete ihn und entnahm ihm die DVD, die sie in die Tasche tat. Dann schaltete sie die Kamera aus und verstaute diese ebenfalls in ihre Tasche. Gleichzeitig holte sie ein beschriebenes Blatt Papier heraus und legte es auf den Fernseher.

      Zum Schluss schaute sie sich noch einmal um, ob sie nichts vergessen hatte und warf einen Blick auf ihr blutendes Opfer. Ob du überleben wirst, hängt davon ab, wie schnell man dich findet, dachte sie. Hoffentlich dauert es etwas, damit deine qualvollen Leiden dich an deine Vergangenheit erinnern.

       4. Mai 2009 – Vitt, Insel Rügen

      „Bleib noch etwas liegen. Fünf Minuten hast du doch noch.“ Frank hielt Kerstin fest in seinem rechten Arm. Seine linke Hand streichelte sachte über ihre Wange, den Hals hinunter, bis sie auf ihrer Brust zum Ruhen kam. Sie schloss die Augen und genoss die letzten Augenblicke, bevor sie ihn verlassen musste. Er konnte liegen bleiben, doch auf sie warteten 18 Kinder der ersten und zweiten Klasse.

      Wie fast immer war Kerstin auch an diesem Montag kurz nach sechs zu ihm gekommen. Ihr Mann, der bei der Bahn arbeitete, fuhr jeden Montag gegen 5:45 Uhr von zu Hause los. Er brachte Ralf, ihren am Down Syndrom erkrankten Sohn, in das Heim nach Bergen, in dem er die Woche über wohnte und arbeitete, und fuhr dann zur Arbeit.

      Kerstin war Unterstufenlehrerin in der kleinen Dorfschule, und das nun schon seit fast 30 Jahren. Der Unterricht fing erst um acht an und so nutzte sie die Zeit, ihren Geliebten zu besuchen, für den es zwar noch etwas früh war, der aber eine verkürzte Nacht pro Woche in Kauf nahm, da es sonst kaum Möglichkeiten gab, sich zu treffen. Nur in den Ferien hatten sie schon hin und wieder einen Tagesausflug unternommen.

      „Ich wundere mich immer wieder, dass du dich noch mit mir abgibst, nun, nachdem du den Lyrikpreis gewonnen hast.“ Sie legte ihm ihren rechten Zeigefinger auf den Mund. „Sag nichts. Ich weiß, ich bin nicht die Einzige in deinem Harem“, sie grinste, „aber viele Männer gibt es hier nicht und schon gar nicht so attraktive wie dich. Doch genau das wundert mich. Du kannst doch fast jede kriegen, was macht eine 53-jährige für dich so interessant? Ich könnte fast deine Mutter sein.“

      „Wie lange geht das jetzt mit uns schon?“ Frank strich ihr eine Strähne aus der Stirn.

      „Sechs