Heike Möller

Von Vampiren, Kriegern und Dieben


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immer noch ganz normale Akten, deren staubiger Papiergeruch in ihrer Nase kitzelte.

      Sie hasste die Arbeit, aber Tarnung musste sein. Und was konnte eine bessere Tarnung abgeben, als Angestellte im Öffentlichen Dienst zu sein?

      Leilani verglich die Daten mit den Unterlagen, berechnete anhand der eingereichten Unterlagen des `Patienten´, wie sie ihre Kundschaft immer zu nennen pflegte, deren Zuschüsse, trug sie in die entsprechenden Spalten und druckte sie aus. Der Stapel mit der Beschriftung `Zur Unterschrift´ wurde immer größer.

      „Sag mal, hast du irgendetwas?“

      Leilani sah ihre Kollegin an. Die Frau ihr gegenüber war Anfang 30 und schon verbeamtet. In den letzten zwei Jahren hatte Anita Kolkwitz massig an Gewicht zugelegt, was letztendlich daran lag, dass sie ständig irgendetwas in sich hinein futterte. Doch die Frau hatte ein sonniges Gemüt und Geduld wie ein Kaltblüter. Leilani mochte sie irgendwie, war aber weit davon entfernt, sie als Freundin zu bezeichnen.

      „Nein. Warum?“

      „Weil ich schon seit ungefähr zehn Minuten rede und rede und keine Antwort bekomme.“

      Leilani grinste frech. „Anita, ich will dich in deinem Redefluss nicht unterbrechen. Du bist die Mitteilsame, ich die Schweigsame.“

      Anita verzog ihre vollen Lippen zu einem Schmollmund. „Ja. Aber heute reizt du deine Schweigsamkeit extrem aus. Und außerdem kannst du den blauen Fleck an deinem Kinn noch so sehr zu überschminken versuchen. Ich sehe ihn trotzdem.“

      Leilani hatte tatsächlich mit einem Make-up versucht, den blauen Fleck, der durch die schnelle Kühlung nicht so groß und dick geworden war wie befürchtet, zu verstecken. Sie seufzte. „Ich bin beim Joggen gestolpert und mein Kinn hat die Bekanntschaft mit einer Wurzel gemacht.“

      „Siehst du! Schon Churchill sagte, Sport ist Mord!“ Anita biss von ihrem Brötchen ab.

      Leilani schüttelte lachend den Kopf. „Das Zitat lautet `No Sports´, Anita. Und ich bin nicht getötet worden.“

      „Hah! Das kommt noch. Schaff dir lieber einen Freund an. Matratzensport ist Sport genug.“

      Leilani schmunzelte und beendete ihre Berechnung. „Meine liebe Anita, meine Ansprüche an einen Mann sind sehr, wirklich sehr hoch. Und bisher ist mir kein Mann begegnet, der es auch nur ansatzweise Wert gewesen wäre, sich näher mit ihm zu beschäftigen.“

      Anita verdrehte die Augen und nahm einen Schluck ihres gesüßten Tees. „Wie haben deine früheren Freunde das nur ausgehalten?“

      Leilani sagte nichts, sondern warf der Kollegin nur einen vielsagenden Blick zu. Anita blieb vor Schreck der Bissen im Munde stecken. Hastig würgte sie das abge­bissenen Brötchenstück hinunter.

      „Du bist doch nicht etwa noch Jungfrau, oder?“

      Leilani konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Wie ich schon sagte, meine Ansprüche sind sehr hoch.“ Sie stand auf und holte ein paar Pappregister, als es an der Tür klopfte.

      „Heute ist kein Publikumsverkehr“, brummelte Anita leise.

      „Hier ist ein Bote mit einer … persönlichen Sendung!“ Die Stimme ihres Arbeits­kollegen hinter der Tür wirkte etwas verwundert.

      Leilani sah Anita an. „Hat Tufek dir wieder etwas geschickt?“

      Tufek war Anitas tunesischer Freund und Lebensgefährte, ein liebevoller und vor allem liebestoller Mann.

      „Nicht, dass ich wüsste. Mach doch endlich die Tür auf!“

      Leilani verdrehte die Augen und schloss die Tür auf. Martin Roll, ein Kollege, der zwei Türen weiter arbeitete stand zusammen mit einem Boten vor der Tür. Der hatte ein schmales, etwa 80 Zentimeter langes Paket in seinen Armen.

      „Ich glaube, das ist für dich, Anita“, sagte Leilani und drehte sich um.

      „Nein, die Lieferung ist für Leilani Fischer“, sagte der Bote und sprach das `ei´ von Leilani wie das `ei´ bei Hühnerei aus.

      Leilani starrte den Boten, dann das Paket an. „Ähm … das bin ich“, sagte sie verwirrt.

      „Super. Bitte schön.“ Er drückte es ihr einfach in den Arm.

      „Brauchen Sie keine Unterschrift oder so?“, rief Leilani dem Boten hinterher, der sofort nach der Übergabe den Gang zum Treppenhaus zurückeilte.

      „Nein. Der Absender hat es mir vor fünf Minuten übergeben mit der Bitte, es sofort zu überreichen. Hat mich bar bezahlt!“

      Weg war er.

      Leilani starrte auf das Paket, dann zu Anita, die mit vor Neugierde geweiteten Augen dasaß.

      „Mach es auf!“, forderte Martin Roll und grinste.

      „Steckst du dahinter?“, fragte Leilani misstrauisch. „Oder einer der Kollegen? Ist das ein Streich?“

      Martin hob lachend die Arme. „Nein. Ich schwöre dir, ich weiß von nichts.“

      „Ich auch nicht“, piepste Anita.

      Leilani ging zu ihrem Schreibtisch und legte das Paket ab. Um das weiße Paket war eine geschmackvolle rote Schleife mit goldenen Rändern gebunden. Vorsichtig löste Leilani die Schleife und öffnete den Klappdeckel des Kartons.

      Eine schwarze Orchidee mit blutrotem Stempel und goldenen Rändern kam zum Vorschein.

      Leilani hielt die Luft an, musste sich setzen. Sie mochte Blumen, und Orchideen waren ihre Lieblingsblumen. Und diese hier war ihr gänzlich unbekannt.

      Wer schickte ihr eine solche Kostbarkeit?

      Und dann fiel es ihr ein.

      „Oh mein Gott!“, stöhnte sie und schlug die Hand vor den Mund. >Er hat mich gefunden! <

      Der Mann, in dessen Villa sie eingebrochen war, hatte im hinteren Teil seines Grundstückes ein Gewächshaus zu stehen. Durch die Scheiben hatte sie Orchideen erkennen können.

      „Alle in Ordnung, Leilani?“, fragte Martin Roll besorgt.

      „Himmel, wer schickt dir denn diese wunderschönen Blumen?“ Anita war völlig begeistert. Ihre romantische Seele stellte sich vor, dass ein flotter Mann Leilanis Aufmerksamkeit wollte.

      „Alles … alles in Ordnung, Martin. Ich bin nur … überwältigt.“

      Martin hatte seine Kollegin noch nie so blass gesehen. Prüfend blickte er in die Schachtel, entdeckte etwas. „Da ist eine Karte.“

      Leilani beugte sich über die Schachtel, entdeckte die Karte ebenfalls und nahm sie heraus.

      `Leilani. Bitte komm in deiner Pause in das Café gegenüber dem Bezirksamt. Wir müssen reden. T.K.´

      Leilani zitterte. Es war als Bitte formuliert, aber unmissverständlich auch als eine Aufforderung zu verstehen. Sollte sie es ignorieren?

      Leilani war zu neugierig.

      „Anita, du musst deine Pause heute mal ohne mich machen, okay“, sagte sie geistes­abwesend.

      „Okay“, sagte die rundliche Frau und grinste von einem Ohr zum anderen. „Sieht er gut aus?“

      Leilani sah ihre Kollegin verdutzt an. „Das … ist doch egal. Keine Ahnung. Ist kom­pliziert.“

      „Ja. Offensichtlich“, meinte Martin Roll und sah besorgt in die ungewöhnlich grünen Augen der Frau. Die Pupillen pulsierten wie nach einem kleinen Schock. „Was will der Kerl von dir?“