Claudia Schmidt

Detective Manson


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ein, zwei Sekunden konnten vergangen sein, bis ich hinter meinem massiven Rover hockte und mit der Beretta auf das Gebüsch zielte. Das Herz schlug mir bis zum Hals und ich konnte nur mühsam ein entsetztes Keuchen unterdrücken, als ein riesiger Werwolf daraus auftauchte.

      Leise grollend pflückte er Zweige und Dornen aus seinem Fell. Hellbraunes Fell. Er war also nicht der Werwolf, den Hollister bei seinem Vieh gesehen hatte. Trotzdem suchte ich im Gesichtsfell nach Blut oder anderen Indizien, die auf eine Untat hindeuteten. Da war aber nichts. Das Fell war sauber und trocken. Nur etwas verklettet durch den Kampf mit dem Gebüsch.

      Wieder schnüffelte er interessiert und bewegte den massigen Kopf hin und her, ohne mich auch nur mit einem einzigen Blick zu würdigen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich darüber erleichtert oder beleidigt sein sollte.

      Schließlich fand er, was er suchte, bückte sich mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung und hob den Zigarillo auf, der mir vor Schreck aus dem Mund gefallen war. Was zum Teufel wollte ein Werwolf mit einem Zigarillo? Wenn er sich den jetzt zwischen seine Lefzen klemmte, würde ich vermutlich einen Lachkrampf bekommen, oder sonst was Absurdes tun.

      Stattdessen wedelte er mit einer riesigen Pranke durch die Rauchwolke, schnupperte dabei wieder und schloss dabei sogar genüsslich die Augen.

      „Was zum Teufel…“ murmelte ich. Für menschliche Ohren wäre es zu leise gewesen, aber die großen spitzen Ohren des Werwolfs zuckten und drehten sich in meine Richtung. Sofort spannten sich meine Muskeln wieder. Er öffnete die Augen und sah mich aus gelten Pupillen an.

      „Ganz ruhig bleiben“ warnte ich das Ungetüm. „In dieser Waffe sind Silberkugeln, also keine komischen Bewegungen.“

      Sein Blick senkte sich kurz auf die Beretta, was bewies, dass er mich verstehen konnte. Er nickte und hob den Blick wieder zu mir.

      „Sie sind Detective Manson“ sagte der Werwolf. Wie bei Rawlings klang die Stimme guttural und rollend, war aber ganz gut zu verstehen.

      „Richtig. Und Sie sind?“

      Der Werwolf kaute kurz mit seinen scharfen, langen Reißzähnen, was mich sofort nervös machte. Ich packte die Beretta fester. Er schien das Wittern zu können, denn seine Nase zuckte leichte, bevor er die Pranken halbhoch hob und langsam einen Schritt zurück machte. Dabei trat er mit den Pfoten mitten in das Dornengebüsch, jaulte kurz auf und stieß dann einen grummelnden Fluch aus. Das Ungetüm hüpfte einen Schritt zur Seite, lehnte sich an meinen Wagen und untersuchte die Unterseite der Pfote. Das war so typisch menschlich, dass ich unwillkürlich grinsen musste. Die zu großen Pranken mit den langen, gebogenen Krallen waren völlig ungeeignet, einen kleinen Dorn zu fassen. Das schien der Werwolf auch zu merken, denn er grollte leise vor sich hin.

      „Ich glaube so wird das nichts. Sie sollten sich ganz oder zumindest Ihre Hände zurück verwandeln.“

      „Das geht bei Vollmond nicht.“ Der Werwolf gab ein Geräusch von sich, das wie ein Seufzen klang. „Da haben wir keine Kontrolle über die Verwandlung. Das geht nur an anderen Tagen.“

      Ach? Ein interessantes kleines Detail, das Rawlings zu erwähnen vergessen hatte.

      Einige Sekunden beobachtete ich den Werwolf noch, wie er konzentriert an seiner Pfote kratzte. Dann gab ich mir selbst gegenüber zu, dass es irgendwie albern war, weiterhin mit gezogener Waffe hier herum zu stehen. Also steckte ich die Beretta ein und näherte mich ihm vorsichtig.

      „Äh“ ich räusperte mich „soll ich es mal versuchen?“

      Der Werwolf hob den Kopf und ich konnte sogar in den gelben Raubtieraugen deutlich die Überraschung erkennen. Rasch musterte er meine nun leeren Hände.

      „Malcolm hat tatsächlich nicht übertrieben“, brummte er. „Sie sind wirklich nicht leicht aus den Socken zu werfen, was?“ Ohne weitere Umstände hob der Werwolf das Bein und streckte mir seine Pfote entgegen. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Detective. Das ist einer der wenigen Nachteile, wenn man ohne Schuhe herum laufen muss.“

      Das Groteske dieser Situation ignorierend, zog ich meine kleine Taschenlampe hervor und richtete den Strahl auf die Pfote. Ein großer Dorn steckte tief in einem der Ballen. Vorsichtig fasste ich den Übeltäter mit den Fingernägeln. „Das wird sicher kurz weh tun“, warnte ich ihn – nicht dass er vor Schreck oder Überraschung plötzlich zulangte.

      „Ich wird’s überleben“, grollte der Werwolf trocken.

      Mit einem schnellen Ruck zog ich den Dorn heraus. Der Werwolf schnaufte leise, rührte sich aber sonst nicht. Ein kleiner Blutstropfen erschien und glitzerte im Strahl der Lampe. „Damit sollten Sie nicht so herumlaufen. Es könnte sich entzünden, wenn zuviel Schmutz hinein kommt.“

      „Keine Sorge.“ Völlig unbekümmert setzte er die Pfote auf den Boden. „In dieser Gestalt heilen Wunden umgehend.“

      „Praktisch“, murmelte ich und grinste ihn an. „Es dürfte schwierig werden, einen Arzt zu finden, der Ihnen helfen kann, bevor er vor Schreck in Ohnmacht fällt.“

      Der Werwolf lachte. Obwohl er nur leise lachte, war es ein tief in der mächtigen Brust grollender Laut, der mich eigentlich zutiefst erschrecken müsste. Stattdessen lachte ich mit und beschloss, mich einfach später zu wundern.

      „Das wäre ein Anblick.“ Ein gelbes Raubtierauge zwinkerte mir vertraulich zu. „Da wäre wohl selbst unser Veterinär überfordert.“

      Ein Bild schoss mir durch den Sinn, wie dieses riesige Ungetüm in aller Seelenruhe neben Omis mit Katzen auf dem Schoss im Wartezimmer saß. „Oder die Besitzer seiner Patienten“, gluckste ich.

      „Oder die.“ Ganz langsam, um mich nicht zu erschrecken, streckte mir der Werwolf eine Pranke entgegen. „Danke für Ihre Hilfe, Detective. Das hat sich nicht einmal Witherspoon getraut, obwohl er so viele Jahre mit uns zusammen gearbeitet hat. Er hat es trotzdem immer vermieden, uns zu nahe zu kommen.“

      Vorsichtig, um nicht aus Versehen an den langen, scharfen Krallen zu verletzten, nahm ich die Pranke und schüttelte sie kurz. Ein außerordentlich seltsames Gefühl. Ganz deutlich spürte ich die harten Muskeln, die gespannten Sehnen und die samtweichen Ballen. „Gerne geschehen“, antwortete ich und meinte es auch ernst. Trotz des grauenerregenden Äußeren schien die Person dahinter einfach nur sympathisch.

      Der Werwolf nickte. „Sie hatten nach meinem Namen gefragt.“ Er atmete tief durch. „Wissen Sie, normalerweise geben wir uns Menschen gegenüber nicht zu erkennen, wenn wir in dieser Gestalt sind. Schließlich müssen wir tagsüber wieder Seite an Seite mit ihnen zusammen leben.“

      „Oh.“ Verblüfft über meine Kurzsichtigkeit runzelte ich die Stirn. „Daran hatte ich nicht gedacht. Aber Sie haben natürlich recht. Entschuldigen Sie die Frage.“

      „Keine Ursache.“ Der Werwolf grinste mich an. Ich würde wahrscheinlich noch einige Zeit brauchen, bis sich dabei wegen der spitzen Reißzähne nicht mehr alle Härchen in meinem Nacken aufrichteten. Mit der flachen Hand fuhr ich über meinen Nacken, um sie wieder zu legen. „Nette Beißerchen.“

      Das brachte ihn richtig zum Lachen und diesmal klang es fast menschlich.

      „Mann, Sie sind echt was Besonderes.“ Er hockte sich auf einen halbhohen Findling. „Und ich denke, ich kann Ihnen vertrauen.“

      „Das können Sie“, stimmte ich zu. „Aber ich geben mich gerne mit einem Kompromiss zufrieden. Nennen Sie mir Ihren Vornamen, oder von mir aus auch irgendeinen Namen, dann muss kein Gesetz verletzt werden.“

      „Es ist mehr eine … übliche Gepflogenheit statt ein Gesetz. Bisher hat einfach noch keiner von uns seine Identität preisgegeben, außer Malcolm Ihnen und Ihrem Vorgänger gegenüber.“ Er zuckte mit den breiten Schultern. „Aber es gab auch kaum Gelegenheit dazu. Witherspoon wollte außerhalb der Aufträge nicht unbedingt etwas mit uns zu tun haben, geschweige denn dass er sich für ein normales Gespräch oder unsere Namen interessiert hätte. Er nannte uns nach der Farbe unseres Fells. Vermutlich hat er völlig verdrängt, dass wir überhaupt noch ein zweites Leben und eine andere Identität