Jutta Maschmeier

Stürme der Prärie


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auch nicht an alles denken. Karen hoffte, niemandem mehr zu begegnen. So schlich sie die Treppe hinunter. Obwohl es noch nicht sehr spät war, war es schon sehr still im Haus, auf dem Lande schien man früh schlafen zu gehen. Doch aus der Küche hörte sie Stimmen. Als sie näher kam, konnte sie Dereks und Bettys Stimme erkennen.

      „Also wirklich, wie du dich unserem Gast gegenüber benommen hast, war wirklich unmöglich. Du kennst sie doch gar nicht. Vielleicht ist sie gar nicht so wie die anderen“, hörte sie Betty vorwurfsvoll sagen.

      „Mum, warum sollte sie anders sein als all die anderen, die David bis jetzt hier angeschleppt hat?“, fragte Derek.

      „Hast du ihre Hände gesehen? Die hat noch nie richtig gearbeitet, das kannst du mir glauben. Mag ja sein, dass David ihr aus der Klemme geholfen hat, aber vielleicht hat sie es darauf angelegt. Die ist auch nur auf einen kostenlosen Urlaub aus so wie die anderen auch. Du wirst sehen, ich habe recht.“

      Karen traute ihren eigenen Ohren nicht. Was fiel diesem Fiesling ein, sie sofort zu verurteilen, nur weil sie schicke Kleidung trug und lange Fingernägel hatte? Kostenloser Urlaub, von wegen! Sie wollte wirklich einen Job und für ihren Lebensunterhalt arbeiten, warum glaubte ihr das nur keiner? Erst ihr Vater und jetzt dieser Derek. O. k., ich werde es euch schon zeigen!, dachte sie. Während sie überlegte, ob sie in die Küche gehen und diesem Derek die Meinung sagen sollte, öffnete sich plötzlich die Küchentür. Erschrocken wich sie zurück. Derek stand in voller Größe vor ihr. Er blickte sie einen kurzen Moment erstaunt an. Dann ging er ohne ein Wort an ihr vorbei und war im nächsten Augenblick verschwunden. Na toll, jetzt hatte sie sich aber wirklich super verteidigt. Ärgerlich über sich selbst ging sie in die Küche. Wir sind noch nicht fertig miteinander, Mr. Milton, noch lange nicht!

      Als sie am nächsten Morgen erwachte, war ihre Wut immer noch nicht verraucht. Allerdings wieder mehr auf sich selbst, da sie verschlafen hatte. Die Uhr zeigte bereits zehn Uhr, morgen würde sie sich auf jeden Fall den Wecker stellen. So bestätigte sie nur den Eindruck, den sie anscheinend auf andere Menschen machte. Beim Ankleiden stieß Karen auf das nächste Problem. Sie hatte nichts anzuziehen, jedenfalls nicht für eine Ranch. Hochhackige Pumps und schicke Kostüme waren sicher nicht das richtige Outfit, doch eine Designerjeans hatte sie dabei. Die aufgenähten Strasssteine waren zwar sehr auffällig, doch das konnte sie jetzt nicht ändern. Jetzt noch eine schlichte weiße Bluse und die Turnschuhe, wieder mal war sie froh, die wenigstens eingepackt zu haben. Das lange kastanienbraune Haar steckte sie kurzerhand hoch, das Frisieren hätte zu lange gedauert. Nun noch ein wenig Make-up, fertig. Karen war mit ihrem Spiegelbild zufrieden und ging nun besser gelaunt die Treppe hinunter. Das Haus schien ausgestorben, nur in der Küche hörte sie Geräusche. Als sie diese betrat, fand sie nur Martha vor, die schon mit der Vorbereitung des Lunches beschäftigt war.

      „Oh hallo, Miss Cool, haben Sie gut geschlafen? Setzen Sie sich doch. Ich bringe Ihnen Kaffee oder möchten Sie lieber Tee?“, begrüßte sie sie freundlich.

      „Guten Morgen, Kaffee wäre toll. Danke. Ich habe, fürchte ich, etwas zu lange geschlafen“, antwortete Karen verlegen.

      „Nach der ganzen Aufregung in den letzten Tagen ist das doch verständlich. Sie mussten sich etwas ausruhen. David ist mit seiner Mutter ausgeritten, aber wenn er wieder da ist, wird er Ihnen die Ranch zeigen. Möchten Sie Ihr Weißbrot getoastet?“

      „Ja gerne, danke.“

      Karen hatte schon wieder einen Bärenhunger und frühstückte ausgiebig. Martha leistete ihr Gesellschaft. Sie erzählte ihr, dass sie schon seit dreißig Jahren hier arbeitete. Sie stammte aus Sedona und war damals einem jungen Mann hierher gefolgt, der hier als Viehtreiber angefangen hatte. Sie hatten geheiratet und einen Sohn bekommen. Als ihr Mann eines Tages starb, waren sie trotzdem geblieben.

      „Mein Sohn Bill ist heute Vorarbeiter, Sie werden ihn noch kennenlernen. Er ist mit Derek unterwegs zur östlichen Grenze, sie werden erst in drei Tagen wieder zurück sein.“

      Karen empfand eine gewisse Erleichterung, dass Derek Milton ein paar Tage nicht da sein würde. Dann könnte sie sich in Ruhe auf den nächsten Angriff vorbereiten. Plötzlich sprang die Hintertür auf. Ein alter Mann schlurfte in die Küche. Er ging gebeugt und hatte seinen Hut tief im Gesicht, sodass Karen ihn zunächst gar nicht richtig sehen konnte.

      „Ach, das ist Walt, der Koch vom ‚A-Haus‘. Walt, das ist Miss Cool, sie wird bei uns arbeiten“, rief Martha.

      „Er ist ein wenig schwerhörig, Sie müssen laut sprechen“, fügte sie hinzu.

      „Hallo Walt, ich heiße Karen, schön Sie kennenzulernen“, sagte Karen laut.

      Der alte Mann hob langsam den Kopf, schob seinen Hut ein kleines Stück nach hinten und murmelte „Hallo“ und „Arbeiten?“. Dann öffnete er eine große Holzkiste, nahm einen Sack Kartoffeln heraus und schlurfte schon wieder zur Tür hinaus.

      „Sehr gesprächig ist er nicht“, stellte Karen amüsiert fest.

      „A-Haus, was ist das?“, wandte sie sich nun fragend an Martha.

      „Das Haus für die Angestellten, es liegt gleich neben dem Haupthaus. Walt war auch mal Viehtreiber, aber seit seine Knochen nicht mehr mitspielen, kümmert er sich um das leibliche Wohl der Männer. Er begleitet immer noch jeden Viehtreck, allerdings mit dem Jeep. Obwohl manchmal kann man ihn nicht davon abhalten, in den Sattel zu steigen, ist halt sein Leben.“

      „Wie viele Männer arbeiten denn hier?“, wollte Karen nun wissen.

      „Zurzeit müssten es so dreißig sein, im Winter sind es dann nur noch halb so viele.“

      Karen staunte, das hätte sie nicht gedacht. Nun war sie richtig neugierig darauf, sich alles anzusehen. Sie musste auch nicht mehr lange warten. Wenig später kamen David und Betty von ihrem Ausritt zurück. Sie betraten die Küche ebenfalls durch die Hintertür. Beide trugen Jeans und Cowboystiefel und waren staubbedeckt und verschwitzt. Betty wirkte überraschend jung in diesem Outfit, von Weitem hätte man sie für eine junge Frau halten können. Doch sie war völlig erledigt, setzte sich an den Küchentisch und legte ihre Beine auf den benachbarten Stuhl.

      „Martha, diese jungen Leute bringen mich noch um. Warum müssen sie nur immer so schnell galoppieren?“, fragte sie nach Luft ringend.

      David stand am Kühlschrank und schaute schmunzelnd zu seiner Mutter herüber.

      „Du musst auch nicht immer versuchen, mitzuhalten, Mum. Du musst das Tempo deinem Alter entsprechend zügeln“, erklärte er nun.

      „Nein, mein Sohn, da irrst du dich! DU musst dein Tempo MEINEM Alter entsprechend zügeln. So ist es richtig“, erwiderte sie lächelnd.

      „O. k., wenn du meinst. Du kannst dich erst mal ausruhen, ich werde Karen jetzt die Ranch zeigen. Kommst du?“, fragte er nun Karen.

      Sie verließen die Küche und befanden sich nun neben dem Hauptgebäude. Gegenüber war sofort das A-Haus. Es war von der gleichen Bauart, allerdings etwas kleiner. David zeigte ihr den Gemeinschaftsraum, die Küche, wo Walt eifrig arbeitete, und zuletzt die Schlafkammern im oberen Stockwerk. Es war zwar einfacher eingerichtet als das Haupthaus, aber nicht weniger gemütlich. David erklärte, dass es früher mal das Ranchhaus gewesen war, bevor sein Vater dann irgendwann das neue Haus gebaut hatte. Nun führte er sie um das Haupthaus herum, das U-förmig gebaut war und somit einen großen Innenhof hatte. Karen war ganz erstaunt, dass sich in diesem Innenhof ein wunderschöner Garten befand und sogar ein Swimmingpool.

      „Das ist unser Wellnessbereich, meine Dame, falls Sie eine Massage benötigen, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an mich“, scherzte David.

      „Wow! Das hätte ich hier überhaupt nicht erwartet. Ich dachte immer, das Landleben wäre eher spartanisch“, erwiderte Karen, ohne auf seine Bemerkung einzugehen.

      Sie schlenderten einmal um den Pool herum, an einladenden Liegestühlen vorbei und kamen zu einer steinernen Terrasse, von der aus man wieder in das Haus gelangen konnte. Karen war wirklich beeindruckt.

      „Mein Vater hatte den Hang zum Luxus. Er war immer der