Sophie Lamé

Ein Gedicht zum Todestag


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denen auch, ja. Souliac und sein Karriereweg sind in der Szene bestens bekannt“, der Leutnant grinste. „Aber Sie wissen ja, dass ich auch einige ganz spezielle Kontakte habe. Und da ich die so gut pflege, lassen mich meine Leute gerne an ihrem Wissen teilhaben.“

      „Gute Arbeit, Malbert. Haben Sie noch etwas für uns?“

      „Nein, im Moment nicht. Nichts Konkretes.“

      „Aber Sie haben einen Verdacht? Nun spucken Sie es schon aus, Malbert.“

      Der Leutnant ließ den Kugelschreiber auf der Tischplatte kreisen. „Ich habe mir überlegt, dass Souliac sich eventuell Feinde gemacht hat im Milieu. Immerhin war er sehr erfolgreich, das hat womöglich Neider auf den Plan gerufen.“

      „Haben Sie jemanden bestimmtes im Auge?“

      „Nein, das nicht. Es ist nur eine Vermutung.“

      „Verstehen Sie mich nicht falsch, Malbert, aber ich hoffe, Sie täuschen sich. Ein Mörder aus den Reihen des organisierten Verbrechens, na ich danke.“ De Belfort vergrub das Gesicht in ihren Händen. „Mon Dieu, wenn ich etwas hasse, dann ist es Ermittlungsarbeit in diesem Milieu. Allerdings“, sie rieb sich nachdenklich die Stirn, „ein Giftmord will irgendwie nicht so recht in dieses Umfeld passen …"

      „Ich habe übrigens noch etwas“, fiel Malbert seiner Chefin ins Wort und ignorierte damit sowohl die Regeln der Höflichkeit als auch jene der Beamtenhierarchie. „Unser Michel war schwul.“

      Triumphierend, als hätte er soeben die Entdeckung Amerikas verkündet, schaute er seine Kollegen an.

      „Na und?“ Nathalie blickte ihren Kollegen fragend an. „Sag bloß, das ist jetzt deine großartige Offenbarung, die du dir bis zum Schluss aufgehoben hast. Sicher, es erklärt, warum der Mörder gerade an diesem Ort, einem stadtbekannten Treffpunkt für Homosexuelle, auf ihn getroffen ist. Aber ansonsten hat doch wohl seine sexuelle Orientierung nicht zwingend etwas mit dem Fall zu tun? Oder gehst du bei jedem anderen Mord auch zu allererst von einem Verbrechen mit sexuellem Hintergrund aus? Lächerlich!“

      Malbert stieß ein ungläubiges Grunzen aus. „Na hör mal, das ist ja wohl nicht dein Ernst. Sex, Lust und Laster spielen doch immer eine Rolle, wenn es um Mord geht.“

      Nathalie schüttelte genervt den Kopf. „Häufig ja, mag schon sein, aber das hat doch nichts mit seiner Homosexualität zu tun. Übel, deine Vorurteile, du solltest mal …"

      „Jetzt komm mal wieder runter, Täubchen, ich habe doch gar nicht …"

      „Sag mal, hast du sie noch alle? Wenn du mich noch einmal Täubchen nennst …!“

      „Warum nicht, ist es dir lieber, wenn ich dich Nilpferdchen nenne?“

      Nathalies Augen sprühten Funken als sie ihren Kollegen mit offenem Mund anstarrte, der weiterhin lässig in seinem Stuhl lehnte.

      „Schluss jetzt!“

      De Belforts flache Hand sauste auf die Tischplatte hinab und Nathalies inzwischen leerer Kaffeebecher vollführte einen Hüpfer. „Verdammt noch mal, Leute, wir haben hier einen Mordfall zu bearbeiten. Konzentrieren Sie sich gefälligst. Und was Sie betrifft, Malbert“, die Kommissarin blickte ihren Leutnant wütend an, „Sie wissen, dass ich solche Entgleisungen in meinem Team nicht dulde. Ich rate Ihnen, ein bisschen mehr Respekt an den Tag zu legen. Sie glauben gar nicht, wie schnell Sie ansonsten wieder in Uniform stecken.“

      Malbert murmelte etwas vor sich hin und nickte.

      „Excuse-moi Nathalie, tut mir leid.“

      Er bedachte seine Kollegin mit einem kurzen Seitenblick und starrte wütend die Tischplatte an. Eine ernstgemeinte Entschuldigung sieht anders aus, dachte Perrec, der dem Aufruhr interessiert zugesehen hatte. Auch eine Möglichkeit, seine Kollegen kennenzulernen, stellte er fest. Nun kannte er diese drei Menschen, mit denen er in Zukunft einen Großteil seiner Zeit verbringen würde, schon etwas besser. Er hätte sich denken können, dass Malbert, diesem Macho, so etwas wie Objektivität oder gar Toleranz unbekannt war. Für ihn zählte nur das, was er selbst verkörperte. Aber wenigstens wusste man bei ihm, woran man war. Der Inspektor hatte in seinem Leben weitaus schlimmere Typen getroffen, die ihn – immer hübsch hinter einer netten Maske verborgen – gedemütigt und für seine Lebensweise gestraft hatten. Aber für solche Gedanken war jetzt keine Zeit. Er nahm seinen billigen Stift zur Hand, denn nun begann Nathalie ihren Bericht.

      „Wie wir wissen, hat Docteur Dupin bereits am Tatort auf eine Vergiftung als Todesursache getippt. Der Bericht der Gerichtsmedizin …", sie hielt ein paar eng beschriebene und an einer Ecke zusammengeheftete Seiten Papier in die Höhe, „bestätigt seine Vermutung. Michel Souliac ist vergiftet worden. Und zwar mit einem seltenen Pflanzengift, das aus Cerbera gewonnen wird. Ist in Indien und Südost-Asien heimisch. Aber wer weiß, vielleicht gibt es in Frankreich einen Schwarzmarkt dafür, oder es hat sich jemand die Mühe gemacht, die Pflanze zu züchten. Ich lasse das gleich morgen noch einmal durch unsere Datenarchive laufen. Interessant ist, dass das Gift der Cerbera mit den üblichen kriminaltechnischen Methoden gar nicht feststellbar ist. Zum Glück war unser lieber Docteur Dupin im letzten Jahr bei einer Konferenz, die Pflanzengifte zum Thema hatte. Und daran hat er sich erinnert, als er vergebens versuchte, Giftrückstände zu isolieren, die den Herzstillstand von Michel Souliac hätten erklären können. Also hat er mit einer besonderen Verfahrensweise“, Nathalie überflog ihre Notizen und las ihren nächsten Satz vom Blatt ab, „nämlich mit einer Hochleistungs-Flüssig-Chromatographie, gepaart mit Massenspektrometrie, das Gift identifiziert. Docteur Dupin sagt, der Pflanzenextrakt habe einen bitteren Geschmack und so vermutet er, dass es in ein Getränk oder eine Speise gemischt wurde.“

      Nathalie blickte ihre Chefin an. „Das könnte eine Erklärung für die Druckstellen an den Armen des Toten sein. Vielleicht hatte er sich aufgrund des seltsamen Geschmacks geweigert, zu essen oder zu trinken? Und der Mörder musste mit Gewalt nachhelfen. Wie auch immer, er muss es schließlich geschluckt haben, und das Zeug konnte seine tödliche Wirkung entfalten. Es blockiert“, wieder suchte Nathalie die entsprechende Stelle in Docteur Dupins Bericht, „die Calzium-Ionen-Kanäle in der Herzmuskulatur. Der Herzschlag wird unterbrochen und dann …"

      „Exitus!“ warf Malbert ein und lachte. „Das Kraut ist ja das perfekte Mordinstrument! Wären die Druckstellen nicht gewesen und würde Monsieur le Docteur nicht unsere Steuergelder so gut in Tagungen anlegen, wir hätten den guten Michel glatt für ein stinknormales Infarktopfer gehalten. Denn auch die haben blaue Lippen.“

      „Leutnant.“ De Belforts Stimme hatte einen drohenden Unterton, und diesmal nahm Malbert ihn wahr.

      „Schon gut“, murmelte er und schnaufte leise. „Ich bin schon ruhig.“

      „Abgesehen davon, dass das eine unqualifizierte Bemerkung war, Kollege, ist sie auch nicht ganz richtig.“ Nathalie lächelte Sébastien Malbert süffisant an. „Oder denkst du, ein Herzkranker schreibt sich Gedichte, in denen er sich selbst mit dem Tode bedroht?“

      „Ah ja, das Gedicht“, hakte die Kommissarin ein, „gibt es dazu etwas?“

      „Nein“, Nathalie schüttelte den Kopf. „Das heißt, eigentlich doch, denn es ist zumindest sicher, dass es sich nicht um ein in irgendeiner Form veröffentlichtes Gedicht handelt oder gar um Zeilen aus einem Klassiker. Ich habe die Verse durch sämtliche Suchmaschinen und das Archiv der Nationalbibliothek gejagt. Außerdem habe ich mit einigen Koryphäen von den Universitäten Sorbonne und Vincennes telefoniert. Nichts.“

      „Jetzt weißt du auch, wofür dein Literaturstudium gut war, nicht wahr?“ Malbert hob abwehrend beide Hände, noch bevor jemand am Tisch etwas erwidert hatte.

      „Geschenkt“, zischte Nathalie über den Tisch hinweg und strich sich die widerspenstigen Locken hinters Ohr. „Der Mörder muss das Gedicht selbst verfasst haben“, fuhr sie fort. „Der Inhalt ist also von ganz besonderem Interesse für uns. Ich werde mich noch genauer damit beschäftigen müssen, dafür war heute leider noch keine Zeit.“

      „Sehr gute Arbeit“, lobte de Belfort. „Und jetzt Sie,