Mathias Bestle

Robinson.Leva


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sah mich an, als wäre es aussichtslos. „Die Menschen wissen nicht, dass es da auch noch-“, begann sie halbherzig und brach gleich wieder ab. „Ach, was soll das Ganze? Du würdest mir ohnehin kein Wort glauben.“

      Sie stand auf und ging vom Bett weg.

      „Nein, Dala bitte rede weiter!“, sagte ich und bemühte mich, weniger zweifelnd auszusehen. Sie ignorierte mich, schloss die Vorhänge und begann, ihr T-Shirt auszuziehen.

      „Oder auch nicht...", murmelte ich und schluckte. Darunter trug sie noch immer dieses seltsame Ding, das ich schon am Strand an ihr gesehen hatte. Es lag eng an ihren Oberkörper an, schillerte und war kurios gemustert. Und mit einem Mal begann es, sich zu bewegen! Erst auf den zweiten Blick glaubte ich meinen Augen und starrte fassungslos darauf.

      Es lebte.

      Von beiden Seiten um sie geschlungen, war es dabei, sich zu entfalten.

      Ich wich entsetzt zurück.

      Bald trug Dala oben herum nichts mehr als ihre Unterwäsche und ich nahm es nicht einmal wahr, so irritiert war ich von... von diesen dünnen Flächen, die sich da hinter ihrem Rücken ausbreiteten. Sie waren schon beinahe weiter, als Dala groß war.

      „Was ist das?“, rief ich, sobald ich Luft bekam.

      Dala seufzte und drehte sich um. Ein Glitzern ging durch den Raum, als sich die Flächen mitdrehten. Sie waren mit ihrem Rücken verschmolzen, rechts und links von ihrer Wirbelsäule mir ihrer Haut... verwachsen!

      „Was ist das?“, wiederholte ich keuchend.

      „Mann, jetzt sei nicht so schwerfällig!“, schimpfte Dala. „Das sind Flügel, was sonst!“

      Die Flächen begannen zu schwingen, unglaublich schnell und ein starker Luftstoß traf mich ins Gesicht. Im selben Moment hoben ihre Füße vom Boden ab.

      Ich schrie auf.

      „Also echt. Ihr Menschen seid so... verstockt! Was ist schon dabei? Viele Tiere können das!“, rief Dala genervt über das Flattergeräusch hinweg, während sie sich einen Meter in der Luft schwebend zu mir umdrehte.

      Ich starrte sie an, mein Herz raste und ich zitterte. Was für ein Albtraum war das? Das wurde immer schlimmer! Mein Bruder wollte mich umbringen, meine beste Freundin packte ihre Flügel aus...! Konnte ich nicht einfach zurückkehren in mein ganz normales Leben als ganz normaler Jugendlicher? Mit ein wenig Amnesie?

      „Das ist doch nicht normal...", jammerte ich, als Dala zu Boden zurückgekehrt war und sich der Knoten in meinem Hals so weit gelöst hatte, dass ich krächzen konnte.

      „Klar ist das normal, ihr wisst nur nicht, was normal ist", sagte sie cool, während sich ihre Flügel zusammenzogen. Sie schlangen sich wieder dicht um ihren Oberkörper, als würden sie sie von hinten umarmen. Sie hob ihr T-Shirt vom Boden auf und streifte es über. Jetzt stand sie wieder als ganz normale Dala vor mir. Als Dala, meine einzige Freundin. Dala, die mich gerettet hatte.

      Doch auch als unheimliche, angsteinflößende, abartige Dala.

      Ich starrte auf die Stelle, an der sie geschwebt war, während sie die Wurstbrote einsammelte, die ich überall verteilt hatte. Ich konnte nicht glauben, was gerade geschehen war. Es war völlig unmöglich. Das konnte es nicht geben!

      Und doch, fast konnte ich den Luftstoß auf meiner Haut noch fühlen... Ich schielte auf Dala. Sie offen anzusehen, wagte ich nicht. Was war das bloß? Lebendig und mit ihr verwachsen! Wie konnte das ein Teil ihres Körpers sein? Ich begann an meinem Verstand zu zweifeln.

      'Klar ist das normal', hatte Dala gesagt. Also wenn das normal war...! Und 'Verstockt' hatte sie mich genannt, weil ich geschrien hatte! Da möchte ich sie mal sehen, wenn ich plötzlich in der Luft herumschwirrte. 'Ihr Menschen seid so verstockt' hatte sie gesagt! Was sollte das denn heißen? War sie etwa kein Mensch? Ich konnte kaum glauben, dass ich das wirklich in Betracht ziehen musste. Mit einem Mal stürzte alles auf mich ein. Mir wurde schlecht. Ich sprang auf und rannte ins Badezimmer.

      Minutenlang hing ich mit dem Kopf über der Toilette, bis die Übelkeit nachließ. Mit eiskaltem Wasser wusch ich mir am Waschbecken Hände und Gesicht, dann starrte ich in mein Spiegelbild. Ich sah verstört aus, wie ein gejagtes Tier und beinahe so blass, wie Dala es gestern gewesen war. Irritiert wandte ich mich ab. Ich musste herausfinden, was hier los war.

      Mit klopfendem Herzen ging ich zurück ins Zimmer. Dala saß noch immer an derselben Stelle und blickte mir besorgt entgegen. Sie kaute nervös auf ihrem Piercing herum. Als ich sie so sah, tat sie mir mit einem Mal Leid. Ich erinnerte mich, wie furchtbar ich mich gefühlt hatte, als sie so erschrocken auf mein Amnesiegeständnis reagiert hatte.

      Ich holte tief Luft und fragte so ruhig ich konnte: „W-was meinst du mit 'ihr Menschen'...? Bist du denn kein... keiner?“ Ausgesprochen klang das noch viel absurder.

      „Nein! Also ja, ich meine, irgendwie...“ Sie rang nach Worten und mir wurde schon wieder schlecht. „Als ich das sagte... Also, Rob, es tut mir leid, dass ich das so gesagt habe, ich habe nicht nachgedacht. Klar, dass dich das verunsichern würde...!“

      „Du bist kein Mensch...", flüsterte ich entsetzt.

      „Doch!“, rief Dala schnell. „Doch, ich bin ein Mensch.“

      Mein Gehirn brauchte ein paar Sekunden, eine passende Reaktion darauf zu finden. Erleichterung, das war es.

      „Wenn auch... mit gewissen Besonderheiten", fügte sie hinzu.

      Plötzlich fing ich an, hysterisch zu lachen. „Das konnte ich sehen!“, keuchte ich und fuchtelte mit der Hand in der Luft herum.

      Dala lächelte. „Ja, die Flügel... Muss ziemlich hart sein für einen Menschen, damit konfrontiert zu werden...“

      Mein Lachen verstummte. „Du hast es schon wieder gemacht.“

      „Was gemacht?“

      „Dich von den Menschen ausgenommen!“

      „Oh, tut mir leid. Es fällt mir nur schwer, mich als Menschen zu bezeichnen. Auch wenn ich das natürlich im Grunde bin!“, versicherte sie mir schnell. „Aber wir nennen uns eigentlich nie so, immer nur Leva.“

      „Ihr... Leva“, krächzte ich. „Das...“ - ich räusperte mich - „Das heißt, es... es gibt mehrere von euch?“

      „Ja, es gibt mehrere von uns.“

      Ich nickte stumm vor mich hin. Mehrere also. So. So war das.

      Ich konnte fühlen, dass mich Dala beobachtete. Ich entwirrte meine Arme, die ich um meinen Bauch geschlungen hielt.

      „Ich hätte es dir doch schonender beibringen sollen", sagte sie entschuldigend. „Aber... ehrlich gesagt bezweifle ich, dass du mir auch nur ein Wort geglaubt hättest.“

      „Das bezweifle ich auch", sagte ich schwach.

      „Wahrscheinlich hättest du mich für verrückt gehalten.“

      „Menschen mit Flügeln, das ist doch abartig...“

      „Was heißt hier abartig?“, protestierte Dala und blickte plötzlich nicht mehr mitleidig, sondern empört.

      „Also, das musst du doch zugeben...!“

      „Uns hat die Natur hervorgebracht, genau wie euch! Und mit deutlich mehr Fantasie, das sei mal gesagt!“

      Ich lachte verwirrt.

      „Nimm mich ernst!“, schimpfte sie. „Was gibt's da zu lachen?“

      „Nichts“, sagte ich schnell. „Ich habe nur... Du bist immer noch du. Das ist... beruhigend.“

      Sie schmollte weiter.

      „Das mit dem 'abartig' tut mir leid.“

      „Du nimmst es zurück?“

      „Ich sage... überraschend.“

      Sie lächelte.