Mathias Bestle

Robinson.Leva


Скачать книгу

zu kalt!“, protestierte ich.

      „Sei kein Feigling!“, sagte er, während er seine Badehose anzog.

      „Es scheint nicht einmal richtig die Sonne!“

      Er lachte nur, stopfte seine Kleidung in seinen Rucksack und verstaute ihn zwischen zwei Felsen. Von einem angeschwemmten Baumstamm aus sprang er ins Meer. Ich erschrak, weil ich nicht gesehen hatte, dass es hier bereits tief genug für einen Kopfsprung war. Dann beobachtete ich ungläubig, wie er seelenruhig ein paar Runden kraulte. Ich zog meine Schuhe aus und tauchte einen Zeh ins Wasser. Saat sah mich und schwamm auf mich zu.

      „Na?“ Er stemmte sich neben mich auf den Stamm.

      „Lieber nicht", sagte ich.

      Er zuckte mit den Schultern und stand auf. Dann sah er sich gemächlich in alle Richtungen um und plötzlich bemerkte ich einen grimmig entschlossenen Ausdruck in seinen Augen. Noch bevor ich reagieren konnte, hatte er mich gepackt und versuchte, mich ins Meer zu stoßen. Einen Moment lang gelang es mir, mich an seinem Arm festzuklammern, dann rutschte ich an seiner nassen Haut ab und fiel. Mir blieb nur noch Zeit, die Luft anzuhalten und die Augen zuzukneifen.

      Das Wasser war so kalt, dass sich mir der Brustkorb einschnürte.

      „Bist du verrückt geworden?“, prustete ich, als ich wieder auftauchte. Ich rieb mir zornig die Augen und sah ans Ufer, doch Saat stand nicht mehr dort. Auch im Meer war er nirgends zu sehen. Ich fluchte leise und begann, mich halb watend halb paddelnd zum Baumstamm hinzubewegen. Da schoss er plötzlich neben mir aus dem Wasser und stürzte sich auf mich. Meine Schrecksekunde nutzend, tauchte er mich unter und drehte mir die Arme auf den Rücken. Er fixierte sie mit einer Hand und packte mit der anderen meinen Nacken. Er drückte so fest zu, dass es wehtat. Ich fand das absolut nicht komisch und trat mit den Beinen nach ihm, doch er wich mir geschickt aus.

      Als ich versuchte, mich vom Untergrund abzustoßen und nach oben zu stemmen, stießen meine Füße ins Leere. Verwundert riss ich die Augen auf. Nach einigem Blinzeln erkannte ich, dass Saat mich in tieferes Wasser zog. Jetzt bekam ich ein wenig Angst. Warum ließ er mich nicht auftauchen? Ich musste doch Luft holen!

      Ich wand mich und zappelte, und hoffte inständig, dass er verstand, dass ich nicht mehr konnte. Doch umsonst. Mit eisernem Griff hielt er mich nach unten gedrückt und über mir fühlte ich den regelmäßigen Paddelschlag seiner Füße. Er trieb uns zügig voran, fort vom seichten Wasser, wo ich vielleicht noch eine Chance gehabt hätte. Inzwischen konnte ich den Grund unter mir schon nicht einmal mehr ausmachen, ich sah nur noch schwarze Tiefe.

      Mit einem Mal wurde das vorbeiströmende Wasser sogar noch kälter und ich begriff, dass wir sanken. Saat tauchte mit mir ab. Ich versuchte den Kopf zur Seite zu drehen um nach oben zu sehen, doch er ließ es nicht zu. Jetzt wurde ich panisch. Was hatte er vor? Er war verrückt geworden! Nicht für einen Moment dachte ich, er könnte durch sein eigenes Untertauchen bald einsehen, dass ich dringend Luft brauchte. Ich wusste, wie lange er tauchen konnte. Für mich bedeutete das nur, dass sich die rettende Oberfläche immer weiter entfernte. Mir wurde klar: Wenn Saat mich nicht bald losließ, brachte er mich um. Ich konnte es fühlen. Meine Lungen pumpten und krampfen sich zusammen, dumm gegen mein unterdrücktes Atmen ankämpfend. Mein Kopf begann zu dröhnen und ich konnte meinen eigenen Pulsschlag in meinen Ohren rauschen hören. Ich versuchte, mit wilden Paddelschlägen nach oben gegenzusteuern, doch im Wasser war gegen Saat nicht anzukommen. Beinahe mühelos drückte er mich zurück in seine Bahn. Ich kämpfte, bis der Sauerstoffmangel meine Waden lähmte.

      Mit der Kraft der Verzweiflung begann ich, an meinen Armen zu rütteln. Sein einhändiger Griff war vielleicht die einzige Schwachstelle in seiner Fixierung. Als ich fühlte, dass seine Finger ein wenig nachgaben, machte ich einen letzten kräftigen Ruck. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, ihm entgleiten zu können, da rammte er mir die Knie in den Rücken und riss meine Arme so weit nach hinten, dass ich dachte, meine Schultern müssten zerbersten. Ich schrie auf vor Schmerz und verlor dadurch die wenige wertvolle Luft, die ich noch in mir hatte. Diesen Moment nutzte er, mich wieder sicher in seinen erbarmungslosen Griff zu bekommen. Er umklammerte meine Handgelenke nun mit so roher Gewalt, dass ich fühlte, wie seine Fingernägel meine Haut durchbohrten.

      Und endlich begriff ich: Das war kein völlig verrückter Spaß, Saat war nicht nur durchgedreht. Er wollte, bewusst und gezielt, dass ich ertrank. Er war dabei, mich umzubringen.

      Absoluter Horror packte mich. Ich paddelte stärker denn je, bis ein Krampf meine Beine verkrümmte. Ich bäumte mich auf und wand mich. Verzweifelt, in Todesangst bündelte ich meine letzten Kräfte, um noch ein Mal zu versuchen, meine Arme zu befreien. Doch was konnte ich schon noch erreichen, geschwächt wie ich war? Ich rüttelte und er trat mir wieder in den Rücken.

      Von nun an hielt ich still. Ich war am Ende. Mir war schlecht, als würde ich an den Beinen festgebunden im Kreis geschleudert und Sterne blitzten vor meinen Augen auf. Meine Lungen stachen und fühlten sich an, als müssten sie jeden Moment zerbersten. Ich war ernsthaft versucht, dem unbändigen Verlangen nachzugeben, meinen Brustkorb zu heben. Wasser einzuatmen. Doch ich wollte nicht sterben. Nicht jetzt und nicht so. Nicht grundlos. Nicht durch die Hand meines Bruders...

      In diesem Moment, als meine Verzweiflung am größten war und jede Hoffnung schwand, wurden wir plötzlich gerammt. Ich fühlte einen Ruck, Saat prallte auf mir auf und wir wurden herumgewirbelt. Ich brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass ich frei war. Hektisch versuchte ich, die Orientierung wiederzuerlangen. Mit schmerzenden Armen rotierte ich meinen Körper, bis ich Licht sah. Ich begann, mit letzter Kraft darauf zu zu schwimmen, da schob sich ein dunkler Umriss vor mich.

      Saat!

      Panisch versuchte ich abzudrehen, als ich bemerkte, dass er sich wand und kämpfte. Verschwommen sah ich eine Gestalt an seinem Rücken hängen. Sie schien ihn anzugreifen.

      Für einen wilden Augenblick glaubte ich, gerettet zu sein – doch dann war plötzlich alles zu spät.

      Ich verlor ich den Kampf gegen meine eigenen Lungen, atmete Wasser ein. Nicht viel, doch es brannte fürchterlich, wie tausend eisige Nadeln, die auf mein Inneres einstachen. Mein Körper entglitt meiner Kontrolle und ich sank wie ein Stein in die Tiefe. Der Druck in meinen Ohren wurde unerträglich. Ich würgte und erbrach ins Wasser. Um mich herum wurde es immer schwärzer und das Pochen meines schwer kämpfenden Herzen begann zu stocken.

      Ich würde sterben - und ich verstand nicht warum!

      Angst, Schmerzen und Verzweiflung vermischten sich und meine Wahrnehmung begann, sich einzutrüben. All die furchtbaren Gefühle verschwammen und dann fühlte ich mich mit einem Mal sogar gut! Trotz allem glücklich!

      Ich schloss die Augen. Ein grauer Schleier legte sich über mich. Ich löste mich auf...

      Und etwas seltsames geschah. Etwas, das meine Ruhe störte, meine Schmerzen zurückbrachte und das selbst wie ein Schmerz war. Ein heißer Strahl schoss durch meinen Hals in meinen Kopf und hinab in meinen Körper. Mein Herz begann, wie wild zu schlagen und trieb die Hitze weiter voran. Wo sie hinkam, kehrte das Leben zurück. Meine erschlafften Muskeln spannten sich und im nächsten Moment wurde ich nach oben gezogen.

      Und alles wurde wieder schwarz... Doch erneut breitete sich die Glut von meinem Hals durch meinen Körper aus und weckte mich. Mein Brustkorb zog sich zusammen und ich spie Wasser aus. Ich atmete ein und meine Lungen füllten sich mit Luft.

      Luft!

      Zum zweiten Mal brach das Einströmen der Hitze ab, so jäh, wie es begonnen hatte, doch diesmal blieb ich wach. Genug von ihr war in mir geblieben.

      Durch das Rauschen und Dröhnen meines Kopfes hindurch hörte ich eine Stimme. Im nächsten Moment wurde ich gewürgt. Ich schrie, schlug wild um mich, riss die Augen auf, ohne etwas zu sehen, und versuchte gleichzeitig, nach hinten zu fliehen. Ich wurde zu Boden gedrückt und etwas klatschte mir mit voller Wucht ins Gesicht.

      „Robinson, hör auf! Ich bin’s!“, hörte ich die Stimme rufen.

      Und jetzt erkannte ich sie. Sie lag auf meiner Brust und presste ihre Hand auf meinen Hals.

      „Dala?!