Mathias Bestle

Robinson.Leva


Скачать книгу

      „Gemein!“, rief ich. „Das hast du mit Absicht gemacht!“ Mein Herz hüpfte vor Freude.

      „Vielleicht...“

      „Wann können wir uns treffen?“

      „Ich hab morgen Samstagsschicht bis halb sieben am Abend, du könntest mich danach beim Altersheim abholen.“

      Beim Altersheim, wie romantisch.

      „Gut", sagte ich.

      „Schön, ich freue mich! Bis dann!“

      Sie freute sich! „Ich mich auch!“, rief ich dem Besetztzeichen zu, sobald ich das verarbeitet hatte.

      Ich war bereits aufgeregt, als ich am Morgen erwachte. Es fiel mir schwer, mich auf meine Hausaufgaben zu konzentrieren und noch nie hatte ich so lange gebraucht, meine Kleidung auszusuchen.

      Um halb sechs ging ich nach unten. Saat saß im Wohnzimmer an seinem Computer. „Wo willst du hin?“, fragte er, als ich meine Schuhe anzog.

      „Ich treffe mich mit Dala", sagte ich cool.

      Seine Augen wurden eng. „Das machst du nicht.“

      „Was willst du dagegen tun?“, fragte ich und öffnete die Haustür.

      Er sprang auf und kam auf mich zu.

      „Fass mich nicht an!“, rief ich und lief nach draußen. Ein altes Ehepaar blieb am Gehsteig vor unserem Vorgarten stehen und starrte uns an. Wütend drehte sich Saat in der Tür um und warf sie hinter sich zu.

      Er war verrückt geworden! Das war doch nicht mehr normal! Ich eilte zur Haltestelle. Erst als ich im Bus saß, beruhigte ich mich einigermaßen - bis mir einfiel, wohin ich gerade unterwegs war.

      Ich war zu früh, doch das war mir nur recht, so hatte ich noch Zeit, in die kleine Bäckerei gegenüber zu gehen. Um Punkt halb sieben öffnete sich die Tür des Altersheims und Dala trat heraus. Sie trug ein buntes Sommerkleid und hatte eine riesige Sonnenbrille auf der Nase. Sie kam die Rollstuhlrampe herabgeschwebt wie eine Fee. Eine sehr tollpatschige Fee zwar, aber innerhalb weniger Sekunden war sie wieder auf den Beinen.

      „Hat nicht wehgetan!“, rief sie, während sie die Brille hochhob und einsteckte. „Ich sehe einfach nichts mit diesem Ding!“

      „Hi!“, sagte ich und grinste.

      „Rob, du schaust richtig ungewohnt aus ohne Uniform!“

      Ich zupfte an meinem Kapuzenpullover herum und wusste nicht, was ich sagen sollte. Der Papierbeutel aus der Bäckerei raschelte in meiner Hand und ich streckte ihn ihr erleichtert entgegen. „Ich habe dir Skoleboller mitgebracht. Ich dachte, du hast bestimmt Hunger nach deiner Schicht!“

      „Das ist lieb, danke", strahlte sie.

      „Wie war dein Tag?“, fragte ich.

      „Wieder sehr anstrengend. Aber besser als gestern, Hermina ist aus Harstad schon wieder zurück.“

      „Ist ihr Großvater...?“

      „Keine Sorge, es war falscher Alarm. Er hatte nur zu viel Bohnensuppe gegessen.“

      Wir begannen unseren Spaziergang und Dala wollte nun alles über meinen Streit mit Saat wissen. Ausführlich erzählte ich ihr also, was gestern und heute geschehen war.

      „Wow", sagte sie, als ich geendet hatte. „Wieso hasst er mich, er kennt mich doch gar nicht!“

      „Oh nein, bitte sieh das nicht so!“, sagte ich schnell. „Das ist nichts gegen dich, er hat nur aus irgendeinem Grund furchtbare Angst, dass ich, na ja, eine Freundin haben könnte. Er hat schon so überreagiert, als ich damals das Mehndi auf der Hand hatte.“

      „Hat der Typ ein Problem mit Mädchen?“

      Ich lachte. „Kann ich mir nicht vorstellen.“

      „Hat er eine Freundin?“

      „Nein.“

      „Ein Glück, die täte mir leid“, sagte sie düster. „Hatte er denn je eine?“

      „Nicht dass ich wüsste.“ Nicht, dass es aussagekräftig war, wenn ich das nicht wusste. Als ich Dalas Gesicht sah, musste ich wieder lachen. „Das beweist noch gar nichts!“

      „Jedenfalls benimmt er sich blöd", sagte sie. „Der spielt sich ja auf, wie der Vater einer frühreifen Dreizehnjährigen!“

      „Besser hätte ich es nicht ausdrücken können", seufzte ich.

      Bald schon ließen wir Saat und den Streit jedoch hinter uns und wandten uns erfreulicheren Themen zu. Der Abend verlief wunderbar. Wir plauderten und spazierten durch Tromsø. Mir fiel auf, wie reizend diese Stadt doch eigentlich war.

      Am Hafen setzten wir uns auf eine Bank und Dala begann, ihre Skoleboller zu essen. Eine Möwe beobachtete sie eifersüchtig vom Kopf einer Walfängerstatue aus und schoss plötzlich auf uns zu. Wir kämpften mutig und verließen am Ende - erhobenen Hauptes - fluchtartig den Platz. Aus sicherer Entfernung warfen wir der Möwe böse Blicke zu, während sie glücklich die Kokosflocken von ihrer Beute pickte.

      Wir setzten unseren Spaziergang fort und kamen an einer großen Blume mit vielen weißen Blüten vorbei, die aus dem Asphalt wucherte.

      „Nicht anfassen, die ist giftig!“, rief Dala, als ich versuchte, sie abzupflücken. Ich ließ enttäuscht den Stiel los, doch dann nahm sie meine Hand und untersuchte sie. Auch gut.

      Die Sonne stand gerade am Anfang ihres Sommermarathons, sie würde wochenlang nicht mehr untergehen. So saßen wir einige Zeit später genießend auf der Hafenmauer, als ich plötzlich begann, mich zu kratzen.

      „Du hattest recht, die Pflanze war giftig!“, sagte ich überrascht und zeigte Dala die rot gefleckte Haut zwischen meinen Fingern.

      „Klar hatte ich“, lachte sie und griff wieder nach meiner Hand. „Sieht aber nicht schlimm aus. Mein Bruder hatte mal den Stiel als Blasrohr verwendet, das war dann wirklich kein schöner Anblick...“

      Ich lachte abwesend. Mein Bauch war plötzlich voller kleiner Dala-Feen. Sie duftete nach Frühling und Wind, ihre Augen glitzerten golden in der Sonne und ihr Mund... ihr Mund. Mein Herz begann zu rasen und mit einem Mal konnte ich nicht mehr anders.

      Ich küsste sie.

      Sie wich erschrocken zurück und sah mich an, als sei ich verrückt geworden.

      Etwas in mir starb. Blut schoss in meinen Kopf und meine Ohren rauschten. Am liebsten wäre ich davongelaufen.

      „Robinson, was machst du denn?“, fragte sie nach einer Ewigkeit.

      „Keine Ahnung", murmelte ich und wünschte, sie würde mich nicht ansehen.

      „Wir sind doch Freunde!“, sagte sie, als würde das alles erklären.

      Was hatte ich falsch gemacht? Ich starrte ins Wasser. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sie immer wieder zu mir herüberlinste. Plötzlich boxte sie mir kumpelhaft in die Seite. Heute tat es weh. „Komm schon!“, sagte sie aufmunternd. „Halb so schlimm.“

      Von wegen.

      Sie deutete auf meine Hand. „Ich glaube, du solltest damit aus der Sonne gehen.“

      „Ja", murmelte ich, noch immer zu beschämt sie anzusehen. Ich wollte plötzlich nur noch nach Hause und weg von ihr. Ich stand auf, sie tat es mir gleich und ich schlug den Weg zur Bushaltestelle ein.

      Die ganze endlose Heimfahrt über gab sie sich große Mühe, Themen zu finden, bei denen ich nur ‚Ja’ und ‚Nein’ sagen musste. Sie tat, als wäre nichts geschehen. Doch es war geschehen. Warum hatte ich sie bloß geküsst? - Warum wollte sie bloß nicht, dass ich sie küsste? War es zu früh? Nach fast einem halben Jahr?!

      Nein. Sie empfand eben nicht dasselbe für mich, wie ich für sie, das war die einzige Erklärung. Es tat weh, wie nichts anderes in meiner Erinnerung.