Mathias Bestle

Robinson.Leva


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später saß sie neben mir. „Hi Rob, wie geht’s?“, fragte sie außer Atem.

      „Gut! Schönes Wetter heute, nicht wahr?“, stammelte ich. Sie hatte meine erste Frage geklaut!

      Sie sah mich an und dann aus dem Fenster. Ich folgte ihrem Blick. Draußen war es dunkel und grau.

      „Hast du eigentlich irgendwelche Hobbys?“, fragte ich hastig.

      Jetzt sah sie wirklich verwirrt aus und ich wäre am liebsten im Boden versunken, auf die salzige Straße gestürzt, von einem Lieferwagen überfahren worden und erfroren.

      Plötzlich huschte ein Schmunzeln über ihr Gesicht. „Du hast dir Fragen überlegt?“

      Ich nickte, rot wie eine Ampel.

      „Ist ja süß", lachte sie.

      Süß?

      „Weißt du, ich habe tatsächlich ein paar Hobbys...“

      Lieber süß als doof.

      „Ich hör’ furchtbar gern Musik. Und ich male gerne.“

      „S-so?“, stammelte ich.

      „Ja, ich bemale einfach alles! Am Anfang meines Praktikums hätten sie mich fast hinausgeworfen, weil ich ein paar Kopfkissen verziert habe. Das war wirklich unfair, die alten Leute fanden es schön, auf Blumenwiesen zu schlafen!“

      Es war sehr anständig von ihr, nicht auf meinen kläglichen Unterhaltungsversuchen herumzureiten.

      „Du hattest übrigens Recht mit Frau Aune! Wir sind ihr heute auf die Schliche gekommen: Sobald sie satt ist, kommt das Gebiss raus und das Rührei rein. Das fällt überhaupt nicht auf, so ein zahnloser Mund schaut ja immer komisch aus. Du bist wirklich ein Genie, Rob! Das erspart uns und der Wäscherei eine Menge Arbeit.“

      Mein Selbstbewusstsein erholte sich plötzlich prächtig.

      „Das Problem war nur, dass die arme Frau Aune völlig aufgelöst war, als wirs herausgefunden haben. Sie hat geschrien, wir nähmen ihr hier alles weg und den ganzen Tag lang geweint.“

      „Oh.“

      „Ja, es war herzzerreißend. Deshalb hätte ich auch beinahe den Bus verpasst. Ich konnte doch nicht gehen, bevor ich es geschafft hatte, sie zu trösten!“

      „Natürlich... Wie hast du es geschafft?“

      Sie grinste. „Wir werden jetzt jeden Morgen gemeinsam einen Apfel vom Frühstücksbuffet klauen.“

      Dala beim Erzählen zuzuhören war wie Musik, nur lustiger. Über ein paar Umwege gelangten wir wieder zu ihrem Hobby, dem Zeichnen und Malen. Ich fragte mich, warum ich mich nicht schon früher dafür interessiert hatte. Das Bild, das sie an die Wand ihres Zimmers gemalt hatte, musste ich unbedingt sehen!

      „He“, sagte sie irgendwann. „Du hast mir noch gar nichts von deinen Hobbys erzählt!“

      „Ach ja...", murmelte ich und überlegte, ob ich Hobbys hatte. „Ich lese gerne.“

      „Das zählt nicht, das wusste ich ja schon!“, lachte sie. „Was noch?“

      „Ich gehe gerne schwimmen.“

      „Schwimmen? Mit Wintersport wärst du hier aber besser dran!“

      „Ich gehe ja in die Halle", erklärte ich. „Längen schwimmen, nicht herumplanschen.“

      „Natürlich", sagte sie mit ernster Miene, doch mit lachenden Augen. „Machst du das oft?"

      „Ja, fast jeden Abend.“

      „Echt wahr?“, staunte sie. „Na, jetzt wo du’s sagst: Du hast einen Schwimmerkörper!“

      Ich wurde schon wieder rot. Was machte sie nur mit mir?

      Um ihre Lippen zuckte ein Schmunzeln. „Und... gehst du immer alleine schwimmen?“

      „Nein, mit Saat. Er hat mich erst darauf gebracht", sagte ich. Doch plötzlich fiel mir auf, dass diese Frage auch etwas anderes bedeuten konnte. „Aber du könntest trotzdem gerne mitkommen!“, rief ich schnell.

      „Oh, nein, nein! So hab ich das nicht gemeint!“, wehrte sie beinahe erschrocken ab. „Ich bin keine große Schwimmerin.“

      „Ach...", sagte ich enttäuscht. Jetzt wo ich wusste, dass ich einen Schwimmerkörper hatte...

      „Unternimmst du viel mit deinem Bruder?“, fragte sie.

      „Ja, eigentlich alles", sagte ich. „Ich... ich bin im Sommer erst nach Tromsø gezogen und lebe jetzt bei ihm.“ Ich hatte keine Lust, ihr von meiner Amnesie zu erzählen. Ich wollte so normal wie möglich erscheinen, nachdem ich mich heute ohnehin schon zum Affen gemacht hatte.

      „Wie schön!“, sagte sie. „Ich wünschte, ich könnte auch bei meinem Bruder leben. Haben dich deine Eltern einfach so wegziehen lassen, mit – wie alt bist du?“

      „16.“

      „Mit 16 Jahren?“

      „Ähm, nein, sie sind tot.“

      „Oh...! Das tut mir furchtbar leid, ich hätte nicht fragen sollen!“, rief sie erschrocken.

      „Schon gut, woher hättest du das denn wissen sollen?“, sagte ich schnell. „Also dein Bruder lebt nicht mehr bei euch zu Hause?“

      „Nein, Alex lebt jetzt in Wien", sagte sie, offenbar froh über meinen Themenwechsel. „Ich vermisse ihn ziemlich. Ich bin jetzt praktisch mit meinem Vater allein, meine Mutter ist so selten zu Hause. Alex hätte mich sogar mitgenommen, aber meine Eltern sagen, er sei noch zu jung, um für mich zu sorgen.“

      „Wie alt ist er denn?“

      „Er ist ähm... 20.“

      „Saat ist 23. Aber, na ja, ich bin ja auch kein Kind mehr. Und für meinen Geschmack könnte er sich ruhig etwas weniger... verantwortungsbewusst verhalten. Gestern hat er mich doch tatsächlich angerufen, als ich nicht pünktlich zu Hause war!“

      „Ach ja, das hatte ich fast vergessen!“, grinste sie. „Hast du dich verirrt?“

      „Nein", sagte ich cool. „In 15 Minuten war ich daheim.“

      „Gut, dann schaffst du’s ja heute vielleicht in 10.“ Und sie deutete aus dem Fenster, wo gerade meine Haltestelle vorbeifuhr.

      Obwohl in der Schule eine Prüfung die nächste jagte, vergingen die kommenden zwei Wochen vor den Julferien viel zu schnell. Der Grund dafür war natürlich Dala, die die tägliche gemeinsame Busfahrt zur besten Zeit des Tages machte. Sie nahm mich noch ernst, wenn ich mich selbst schon lange blöd fand und sie verstand sogar meine unverständlichsten, längsten, verschachteltsten Sätze. Wir lachten über dieselben Dinge und ich wurde von Tag zu Tag sicherer, dass auch sie mich mochte. Wie sehr ich in Wirklichkeit auf sie stand, zeigte ich ihr natürlich nicht, das wäre nach so kurzer Zeit kein gutes Timing gewesen - ich hatte trotz meiner wenigen Freizeit genug ferngesehen, um das zu wissen. Entsprechend vorsichtig war ich, als ich sie während der letzten Busfahrt vor Weihnachten fragte, ob wir uns in den Ferien vielleicht einmal treffen wollten.

      Was herauskam, war der komplizierteste Satz, der jemals nördlich des Polarkreises formuliert worden war und ein einfaches Nein als Antwort. Ihre Familie würde die nächsten zwei Wochen in Italien bei den Großeltern verbringen. Ich konnte meine Enttäuschung nur schwer verbergen.

      Am 24. Dezember durchsuchten Saat und ich das ganzen Haus nach Dingen, die glänzten. Wir hatten einen Weihnachtsbaum gekauft und verbrachten den Nachmittag damit, ihn zu dekorieren. Am besten eigneten sich Löffel, Powerriegel und Alufolie. Darüber kamen als Schneeflocken Wattepads, mit denen ich normalerweise mein Gesicht mit Antipickelmittel einrieb. Der Baum sah prachtvoll aus.

      Gegen Abend kochte Saat ein mehrgängiges Menü und ich half ihm dabei, so gut ich konnte. Wir gingen damit ins Wohnzimmer, suchten die Kerzen unter all