Mathias Bestle

Robinson.Leva


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gekauft, der gut zu meiner sonstigen Kleidung passte – das meiste von dem, was ich von meinem alten Ich geerbt hatte, gefiel mir nämlich auch nicht. Ich freute mich höchst angemessen. Für mein Geschenk an ihn hatte ich die paar Kronen zusammengespart, die mir von Busgeld übrigblieben. Saat lachte lauthals, als er den kleinen Kamm auspackte und fuhr sich damit über den kurzgeschorenen Kopf. Ich grinste zufrieden. Bis Mitternacht spielten wir ein Kartenspiel mit Sonderregeln, die Saat selbst erfunden hatte, was er natürlich nicht zugab.

      Auch wenn ich mich an kein anderes Julfest erinnern konnte, war mir später im Bett klar, dass dieses seltsam gewesen war. Doch irgendwie hatte es Spaß gemacht. Und ich war froh, dass Saat offenbar nicht zu sehr an unsere Eltern gedacht hatte. Ich hatte befürchtet, dieser Abend könnte sehr traurig für ihn werden.

      In den kommenden Tagen schlief ich jeden Morgen immer noch länger, es wurde ohnehin nie richtig hell. Spätestens zu Mittag warf Saat mich jedoch aus dem Bett, um mich mit wundervollen Speisen zu mästen. Für jeden Nachmittag hatte er eine andere sportliche Aktivität geplant. Ich kann sein Motivationstalent nicht genug betonen. Immer wieder brachte er mich dazu, an meine Grenzen zu gehen und mich weiter zu steigern. Und Dala hatte nicht Unrecht gehabt: Man sah es mir an. Mein Körper war bereits deutlich kräftiger geworden.

      Nachdem die Hälfte der Ferien vergangen war, wurde ich nervös. Ich musste endlich wieder für die Schule arbeiten! Ich räumte also erst einmal mein Zimmer auf, bis ich mich darin nicht mehr wohlfühlte. Dann ölte ich die Räder meines Stuhls – sie quietschten. Bis zum Abend waren meine Bücher neu sortiert und quer über meinen Schreibtisch lag ein hässliches Palmenstrand-Puzzle. Um acht Uhr öffnete ich zum ersten Mal meine Schultasche und bis halb neun schrieb ich eine Liste mit all den Dingen, die ich zu tun hatte. Dann ging ich zu Bett. Es war unmöglich, alles noch rechtzeitig zu schaffen.

      Die nächsten Tage verbrachte ich am Schreibtisch. Nicht einmal den Silvesterabend konnte ich mir freinehmen, weil Saat darauf bestanden hatte, am Nachmittag schwimmen zu gehen. Wir stiegen nur kurz vor Mitternacht aufs Dach, um das Feuerwerk über Tromsø anzusehen. Pünktlich zur ersten Rakete stürzten wir ab. Zum Glück lag im Vorgarten so viel Schnee, dass wir später darüber lachen konnten. Wir hatten das neue Jahr im Flug begonnen... Die unheimliche Symbolik dieser Aussage konnte ich zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht erahnen. Hätte mir jemand gesagt, was ich in diesem Jahr herausfinden und was mit mir passieren würde – ich hätte es bestimmt nicht geglaubt. Kein Mensch der Welt hätte das wohl getan...

      Die Schule ging wieder los und ich war darüber ziemlich verzweifelt. Gleichzeitig freute ich mich jedoch unheimlich darauf, Dala wiederzusehen. Umso größer war meine Enttäuschung, als der Bus an ihrer Haltestelle hielt und sie nicht da war. Ich starrte gebannt auf den Eingang des Altersheims, doch diesmal kam sie nicht in letzter Sekunde daraus hervorgesprungen. Ich begann, mir Sorgen zu machen. Was, wenn ihr etwas zugestoßen war in Italien? Ich hatte Der Pate gelesen...

      Am nächsten Tag lehnte sie wieder am Haltestellenschild und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Und noch einen, als sie dann vor mir stand.

      „Hi Robinson! Frohes Neues Jahr!“, strahlte sie.

      „Das wünsche ich dir auch! Schön dich zu sehen!“, sagte ich. Meine Wangen glühten, noch von der Kälte. „Ich hatte dich eigentlich gestern schon erwartet!“

      „Ja, ich hab den Bus verpasst.“

      „War logisch", grinste ich. „Au!“ Sie hatte mir in die Seite geboxt und ich tat, als hätte es weh getan, obwohl es eigentlich gut tat.

      „Wie waren deine Ferien bei den Großeltern?“, fragte ich.

      „Anstrengend!“, stöhnte sie. „Nonna hat dauernd auf mich eingeredet, Nonno hat dazwischengebrüllt, weil er schwerhörig ist und alle haben mich wie ein Kleinkind behandelt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mir Kekse und Panettone zum Hals raushängen...“

      Ich grinste. Dala war lustig und wunderschön und klug und -

      „Bist du noch da?“, lachte sie. „Manchmal driftest du einfach weg, was?“

      „Ja, ich... Weißt du, ich dachte, wir sollten unsere Handynummern austauschen. Nur für den Fall, dass wieder einmal jemand den Bus verpasst... Au!“

      Grinsend stolperte ich einige Minuten später durch den Schnee auf unser kleines, blaues Haus zu und starrte auf den Namen, den Dala in mein Handy eingetippt hatte: ‚Dala DeLuca’. Wunderschön.

      Eine Woche später bewehrte sich mein Vorschlag bereits.

      „Halt den Bus auf!“, rief Dala ins Telefon und ich lief nach vorne. Ausgerechnet heute saß dort ein neuer Busfahrer. Er schob nur wichtig das bärtige Kinn vor und verkündete: „Junge, ich habe einen Fahrplan einzuhalten.“ Dann streckte er den Arm nach dem Türschließknopf aus. Ich fing ihn reflexartig ab und war darüber mindestens genauso überrascht wie er.

      Ich blickte von meiner Hand in sein wütendes Gesicht und schluckte. „Hat Ihnen eigentlich schon jemand gesagt, dass Sie wunderschöne Augen haben?“, fragte ich und tätschelte sein haariges Handgelenk.

      Er starrte mich fassungslos unter seinen wuchernden Augenbrauen hervor an, und gerade als es unerträglich wurde, kam Dala in den Bus gestürzt.

      Ich hätte schwören können, dass mir der bärtige Busfahrer am nächsten Tag zuzwinkerte.

      Endlich kehrte die Sonne zurück und einige Wochen später begann der Schnee zu schmelzen. Er zog sich auf die Berge zurück und die Luft in Tromsø wurde wärmer. Der Frühling kam und mit ihm Frühlingsgefühle in mir.

      Einmal sagte Dala, sie finde es süß, wie sich meine Haare um meine Ohren kringelten. Das genügte schon, dass ich in dieser Nacht kaum schlafen konnte. Um vier Uhr früh gab ich es schließlich auf. Ich beschloss, nach draußen zu gehen und Saat kam mir an der Haustür entgegen. Wir sahen uns ziemlich überrascht an.

      „Was machst du?“, fragte er unfreundlich.

      „Nichts. Was machst du?“

      „Geh wieder zu Bett.“

      „Du bist auch nicht im Bett. Wo warst du?“

      „Geht dich nichts an. Morgenspaziergang.“

      „Wenn du das machst, darf ich das ja wohl auch", sagte ich und schlüpfte an ihm vorbei. Ohne mich umzusehen ging ich hinaus auf die Straße. Ich erwartete, dass er mir nachrufen oder sogar folgen würde, doch er begnügte sich mit lautem Zuschlagen der Haustür.

      Er war so anstrengend! Er ließ mir keinen Freiraum - außerdem war er launisch. Mal war er der perfekte Bruder und im nächsten Moment war er schlimmer als die Stabheuschrecke.

      „Hast du von der Wasserleiche gehört, die sie gefunden haben?“, fragte ich Dala kurz nach dieser nächtlichen Begegnung mit meinem Bruder.

      „Wer hat hier nicht davon gehört? Endlich was los in Tromsø", sagte sie sarkastisch.

      „Es heißt jetzt, sie wurde aufgeschlitzt..."

      „Rob, lass uns über was anderes reden", bat sie.

      Das Thema beschäftigte mich jedoch und Saat hatte mich ebenfalls schon abgeblockt. „Denkst du, sie wurde hier in Tromsø umgebracht?“, fragte ich. „Ich meine, sie könnte doch mit der Strömung-“

      „Robinson!“, rief Dala und klang nun beinahe hysterisch. „Ich will nicht darüber reden, ich muss ohnehin schon ständig daran denken!“ Sie drehte sich zur Seite und starrte über den Mittelgang hinweg.

      War sie sauer auf mich? Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie so sensibel reagieren würde!

      „Dala?“, sagte ich vorsichtig.

      „Was?“, fragte sie trotzig und wandte sich mir wieder zu. Sie war ganz weiß im Gesicht.

      „Tut mir leid."

      Sie atmete tief durch. „Schon gut. Ich hab mich hineingesteigert.“

      „Willst