Mathias Bestle

Robinson.Leva


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müssen. „Wie wäre es mit Tennis?“, schlug ich vor.

      „Bloß nicht, in Ballsportarten bin ich eine totale Niete. Wie wär’s mit Malen?“

      „Du hast mich noch nie malen gesehen.“

      „Komm schon! Ich bring’s dir bei!“, grinste sie aufmunternd. Oder war es siegesgewiss?

      „Na von mir aus...", brummte ich. „Aber nur, wenn wir uns ein richtiges Hobby auch noch suchen.“ Ich wich ihrem Boxschlag aus.

      „Das ist ein richtiges Hobby! Außerdem machst du schon genug Sport. Die Leute halten dich inzwischen wahrscheinlich für meinen Bodyguard!“

      Ich grinste. „Ist doch schön, dann halten sie dich für einen Star.“

      Sie reckte die Nase in die Luft und streckte mir die Hand entgegen. „Robinson, meine Autogrammkarten bitte!“

      Ich tätschelte beruhigend ihren Arm.

      „Also, wann hast du Zeit?“, fragte sie.

      „Die Frage muss in den Ferien wohl eher lauten, wann du Zeit hast.“

      „Immer, außer zwei Wochen im August, da sind wir in Italien.“

      „Großartig!“, freute ich mich. „Ich hatte schon befürchtet, du wärst wieder die ganze Zeit weg.“

      „Hilfe, nein! Glaub mir, zwei Wochen bei den Verwandten sind mehr als genug.“

      Wie ich vermutet hatte.

      „Hast du denn gar nichts vor in den Ferien?“, fragte sie.

      Ich verneinte, doch da fiel mir eine alte Abmachung mit Saat wieder ein. „Ach so... Eigentlich hat Saat mir letztes Jahr versprochen, dass wir im Sommer nach Oslo fahren würden.“

      „Wie schön! Was macht ihr dort?“

      Ich zögerte. War nun der Zeitpunkt gekommen, Dala endlich von meiner Amnesie zu erzählen? Seit sie herausgefunden hatte, dass meine Eltern gestorben waren, hatte sie mich nie nach meiner Vergangenheit gefragt.

      „Was ist?“, fragte Dala und sah mich forschend an.

      Mir blieb wohl nichts anderes übrig, ich wollte sie nicht belügen. Sie würde deshalb doch bestimmt nicht anders zu mir stehen...?

      „Ich möchte nach Oslo, weil es mir helfen könnte, mich zu erinnern", sagte ich zu meinen Händen. „An mein früheres Leben. Dala, ich habe dir das bisher nicht erzählt, weil ich mich geschämt habe... Ich habe letzten Sommer mein Gedächtnis verloren. Ich kann mich an nichts erinnern, was vor diesem Zeitpunkt in meinem Leben passiert ist.“

      Jetzt war es also heraus. Ich wartete, dass sie etwas sagte, doch sie blieb stumm. Ich hob meinen Blick und was ich sah, war schlimmer als alles, was ich befürchtet hatte. Sie war bleich, ihr Mund stand offen und sie starrte mich an. In ihren Augen lagen Schock und Horror. Noch bevor ich irgendetwas sagen konnte, sprang sie auf.

      „Tut mir leid!“, sagte sie heiser, drehte sich um und rannte den Gang entlang. „Halt!“, rief sie dem Busfahrer zu, der gerade die Türen schließen wollte. „Ich muss hier noch raus!“

      Dann war sie fort.

      Kapitel 4, Leben

      Ich starrte ihr fassungslos hinterher. Ich saß vollkommen reglos, doch meine Gedanken überschlugen sich. Sie stolperten so wirr durcheinander, dass sie zu einem unverständlichen Rauschen verschwammen. Ich konnte nicht glauben, was eben geschehen war.

      Als ich durch unsere einsame Straße auf unser kleines blaues Haus zuging, erinnerte ich mich kaum, wie ich vom Bus hierher gekommen war. Ich begann, mich unendlich müde zu fühlen. Es war doch gerade erst alles wieder in Ordnung gewesen mit Dala!

      „Hallo!“, sagte Saat.

      „Hallo", murmelte ich und setzte mich.

      „Was ist los?“

      „Ich bin nur müde...“

      „Ein Tag noch, dann hast du es geschafft“, lachte er und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Er stellte mir einen Berg Essen vors Gesicht. „Iss, dann geht es dir besser.“

      Ich aß, damit ich nicht reden musste.

      Als ich fertig war, ging ich auf mein Zimmer. Ich dachte nach. Ich hatte mich nicht zu Recht für meine Amnesie geschämt, das wusste ich. Sah Dala das denn nicht genauso? Hatte sie etwa Angst vor mir? Oder war sie wütend? Sie musste doch verstehen, dass ich ihr nicht schon früher davon erzählt hatte! Dachte sie etwa, ich vertraute ihr nicht?

      Ich musste mit ihr reden.

      Ich kramte das Handy aus meinem Rucksack und wählte zum ersten Mal seit langem ihre Nummer. Im vergangenen Monat hatte immer nur sie mich angerufen, damit Saat auf der Telefonrechnung nicht sah, dass wir noch Kontakt hatten.

      Es klingelte kurz, dann kam das Besetztzeichen. Sie hatte mich abgewiesen.

      Ich starrte fassungslos auf mein Telefon. Sie weigerte sich, mit mir zu reden! Ich rief noch einmal an und diesmal antwortete eine Tonbandstimme. Ich warf mich auf mein Bett und mir kamen Tränen. In all den Monaten, an die ich mich erinnern konnte, hatte ich nicht geweint.

      Ich war verletzt und verwirrt. Fragen, Ängste und Unsicherheit, die ich überwunden glaubte, holten mich wieder ein. Außerdem war ich furchtbar wütend. Auf mich selbst, weil ich Dala von meiner Amnesie erzählt hatte, auf meine Amnesie und den Unfall, und auf Dala, die so falsch reagierte.

      Am nächsten Vormittag überhörte ich beinahe, dass ich in Biologie zur Klärung meiner Endnote zur Prüfung aufgerufen wurde. Der letzte Schultag war auf der Erik Raske Skole wie jeder andere. Die Prüfung lief nicht besonders gut, doch das war mir egal, ich würde das Fach trotzdem gut bestehen. In Gedanken war ich schon auf der Heimfahrt, wo ich Dala treffen würde.

      Als ich endlich im Bus saß, zwang ich mich, ruhig zu bleiben. Ich überlegt, was ich tun würde, wenn sie sich nicht zu mir setzte.

      Wir hielten an ihrer Haltestelle und sie war nicht da. Ich sprang auf und stieg aus.

      Die Eingangshalle des Altersheims war hell, der Geruch wie im Krankenhaus. Links neben der Tür gab es einen Empfangsschalter.

      „Suchen Sie jemanden, junger Mann?“, fragte die Frau, die dahinter saß und leicht als Bewohnerin hätte durchgehen können.

      „Ja, Dala DeLuca, sie arbeitete hier.“

      „Ach das liebe Fräulein DeLuca, natürlich", lächelte sie. „Da dürften Sie Glück haben, die ist heute noch nicht an mir vorbeigestoben. Sie ist ja immer so in Eile. Nimm doch den späteren Bus, Mädchen, sage ich immer zu ihr. Dir läuft ja nichts davon. Aber für euch jungen Leute dreht sich die Welt eben noch schneller...“ Sie lachte, erzählte mir ihr halbes Leben und setzte schließlich ihre Brille auf, um mit zwei Fingern Dalas Namen in einen Computer zu tippen.

      „Oh", machte sie nach beinahe unerträglich langer Zeit. „Das Fräulein DeLuca war heute ja gar nicht hier, sie hat sich frei genommen! Na so ein Pech, und Sie haben sich extra so fein gemacht...“

      Ich konnte nur annehmen, dass sie meine Schuluniform meinte. Ich bedankte mich und ging. Noch einmal versuchte ich, Dala anzurufen, doch wieder antwortete nur die Tonbandstimme. Nun war ich richtig wütend. Sogar noch viel wütender, als ich es gestern gewesen war und heute richtete sich mein ganzer Zorn auf Dala. Wie kam sie dazu, mich so zu verurteilen? Mich einfach zu ignorieren, mir keine Chance zu geben, mich zu erklären? Ich war mir sicher, dass sie heute nur zu Hause geblieben war, um mir auszuweichen.

      Blind vor Wut stolperte ich durch Tromsø, bis plötzlich mein Handy läutete. Ich zog es so eilig aus der Hosentasche, dass es beinahe zu Boden fiel. Doch es war nur Saat.

      „Wo bleibst du?“, fragte er.

      Ich sah auf die Uhr. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie viel Zeit vergangen war. „Ich bin noch im Zentrum",