Mathias Bestle

Robinson.Leva


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auch!“, rief ich. „Hat dir dein Bruder von der Direktorin erzählt?“

      Sie nickte. „Sie hat ihm mal Nachsitzen verpasst, weil er in der Eingangshalle gelacht hat ... Stimmt es, dass sie aussieht wie eine Stabheuschrecke?“

      Ich lachte. „Das trifft es genau.“

      „Ich bin nur froh, dass die nur Jungen aufnehmen“, sagte Dala. „Sonst hätte mich meine Mutter bestimmt auch dorthin geschickt.“

      Ich musste schlucken, um diese Ungerechtigkeit zu verkraften. „Wo gehst du zu Schule?“, fragte ich. Vielleicht konnte ich ja wechseln...

      „Nirgends", sagte sie. „Kennst du das Fjellrev Altersheim? Das ist das gelbe Gebäude hinter meiner Haltestelle. Dort mache ich gerade ein Praktikum.“

      „Oh. Das ist... gut", sagte ich überrascht.

      Sie lachte.

      „Das heißt, du hast nach den Pflichtschuljahren beschlossen, gleich Arbeiten zu gehen?“, fragte ich und hoffte inständig, dass sie mir jetzt nicht erklärte, 23 zu sein und nur jung auszusehen.

      „Nein, ich mache ein Jahr Pause. Im Sommer fang ich mit der oberen Sekundarstufe an.“

      „Du bist also jetzt auch 16 oder so?“

      „Äh, ja.“

      Ich konnte mir ein erleichtertes Grinsen nicht verkneifen.

      „Altersheim also... Klingt interessant!“, sagte ich, bevor sie mich fragen konnte, was so lustig war. „Was machst du dort?“

      „Aufpassen, dass uns niemand abhaut", lachte sie. „Im Ernst jetzt, Herr Myklebust verirrt sich jeden Tag in der Stadt und ich muss ihn suchen gehen... Manchmal kommen mir die alten Leute vor wie kleine Kinder. Frau Aune ist auch ein gutes Beispiel. Die klaut immer Rührei beim Frühstück und versteckt es unter ihrem Kopfkissen.“

      „Ist doch klar, sie will sich etwas für später aufheben“, lachte ich.

      „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft wir ihr schon erklärt haben, dass sie jederzeit was bekommt", sagte Dala. „Aber es nützt alles nichts. Und wir wissen nicht einmal, wie sie das immer wieder schafft! Ihre Hände sind leer wenn sie vom Frühstück auf ihr Zimmer geht, ihre Taschen genauso!“

      „Wie viel nimmt sie denn mit?“, fragte ich.

      „Nicht viel, ein kleines Häufchen.“

      „Und... redet sie viel?“

      „Na ja, sie diskutiert gern mit sich selbst.“

      Ich grinste. „Auch nach dem Essen?“

      „Nein, da nimmt sie die Zähne raus.“ Plötzlich machte Dala große Augen. „Du meinst - in den Backen, wie ein Hamster?“

      Ich lachte. „Könnte doch sein!“

      „Robinson, du bist ein Genie! Auf die Idee hätt’ ich auch mal kommen können!“

      Ich war ein Genie.

      „Oh", sagte sie plötzlich, während ich selbstzufrieden vor mich hin grinste. „Hättest du nicht gerade aussteigen müssen?“

      Nein, jetzt schon...? Ich sah zum ersten Mal seit sie neben mir saß aus dem Fenster.

      „Stimmt", sagte ich cool. Nur meine Ohren wurden natürlich rot.

      Sie lachte und stand auf, um mich nach draußen zu lassen.

      „Bist du morgen wieder im Bus?“, fragte sie.

      „Ja, wie immer. Und du?“

      „Wie immer.“

      „Na dann... bis morgen?“, fragte ich unsicher, während der Bus auch schon an der nächsten Station hielt.

      „Ja, bis morgen!“, nickte sie und schenkte mir ein Lächeln, von dem auch noch der Rest meines Kopfes zu glühen begann.

      Auf dem Heimweg konnte ich mein Grinsen kaum abstellen. Am liebsten hätte ich mich auf den Rücken geworfen und Schneeengel gemacht. Ich hatte mit dem Mädchen im Bus geredet! Dala... Ein richtiges Gespräch! Nicht mit Saat oder einem Therapeuten, sondern eine lange, lustige Unterhaltung, mit ihr!

      Plötzlich läutete mein Handy.

      „Jan, wo bist du?“

      Es war Saat. Natürlich, niemand sonst hatte meine Nummer.

      „Ich bin eine Station zu spät ausgestiegen.“

      „Wieso?“

      „Aus Versehen. Ich bin in einer Minute zu Hause.“

      Er war immer so überbeschützend. Natürlich, er sorgte sich um mich und wollte alles richtig machen, wohl auch wegen unserer toten Eltern. Manchmal hatte ich das Gefühl, er machte sich Vorwürfe, dass er damals nach Tromsø abgehauen war. So gut seine Fürsorge gemeint war, sie war jedenfalls anstrengend. Heute konnte er mir damit jedoch bestimmt nicht die Laune verderben...

      In unserem verschneiten, blauen Häuschen duftete es wie immer nach herrlichem Essen.

      „So, hier bin ich. Wohlauf und unversehrt", sagte ich fröhlich, als ich die Küche betrat.

      „Was war los?“, fragte Saat.

      „Ich bin im Bus eingeschlafen", log ich. Ich hatte beschlossen, ihm jetzt nichts von Dala zu erzählen. Er benahm sich gerade viel zu elterlich.

      Er sah mich kritisch an.

      „Ich war so müde!“, sagte ich.

      „Du siehst hellwach aus.“

      „Na, weil ich doch gerade geschlafen habe!“ Ich verkniff mir ein Grinsen.

      Sein Blick war misstrauisch, doch er schien zu begreifen, dass er im Moment nicht mehr erfahren würde. „Na gut, setz dich", sagte er, und ich machte mich hungrig über den Berg Essen her, den er vor mir auf den Tisch stellte.

       Eine meiner Hausaufgaben an diesem Abend war ein Aufsatz über Bjørnstjerne Bjørnsons Daglannet. Konsequent schrieb ich den Title des Werks immer wieder ohne g in der Mitte. Als mir mein Fehler auffiel, grinste ich und hielt es für einen Wink des Schicksals. In der Nacht schlief ich nicht besonders gut, ich war zu aufgeregt. Mein Gespräch mit Dala schlug in meinem Kopf Purzelbäume. Mit ihr zu reden war das Tollste gewesen, was ich in vier Monaten gemacht hatte. In vier Monaten, die alles waren, was ich vom Leben kannte. Die mit Schmerzen und Angst begonnen hatten und mir Überlastung und Einsamkeit gebracht hatten. Nun hatte ich die Chance auf Freundschaft – und vielleicht sogar mehr. Wenn ich nur daran dachte, klopfte mir das Herz bis zum Hals. Es war mir egal, dass ich nicht schlief. Ich stellte mir ihr Lächeln vor und fragte mich, wie sie das bloß machte, mit dem Leuchten.

      Meine Vorfreude dauerte noch den ganzen nächsten Schultag über an, erst am Heimweg im Bus bekam ich plötzlich Angst. Es lag vielleicht an der Raske Skole, doch ich hatte das Gefühl, ich hätte mich vorbereiten müssen. Was, wenn wir nur stumm nebeneinander saßen und nicht wussten, was wir reden sollten? Das hieß... falls sie sich überhaupt wieder neben mich setzte!

      Ruhig bleiben, durchatmen. Sie hatte 'Bis morgen' gesagt. Also, was fragten sich Leute in Unterhaltungen? ... Wie geht es dir? Und: Schönes Wetter heute, nicht wahr? Und dann... Hobbys! Jeder Mensch hatte doch Hobbys!

      Plötzlich hielt der Bus an ihrer Haltestelle. Ich starrte aus dem Fenster. Wo war sie? Sie war nicht da! War es wegen mir? Sie hasste mich! Wie konnte es anders sein? Es gab wohl einen Grund, warum ich keine Freunde gehabt hatte in meinem früheren Leben...

      Die Tür des Altersheims flog auf, sie schoss heraus und stolperte über die Rollstuhlrampe herab. Im selben Moment heulte der Motor des Busses auf.

      „Halt!“, rief ich und alle sahen mich an, da trommelte sie auch schon von draußen gegen die Tür. Der Fahrer öffnete noch einmal und sie kam hereingekrochen.

      „Danke Jens, hast