Mathias Bestle

Robinson.Leva


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und spülte sie mit sehr viel Orangensaft hinunter.

      „Was ist das?“, fragte ich erschrocken.

      „Eisentabletten", sagte sie mit geschlossenen Augen. Sie war leichenblass.

      Ich griff nach der Dose. Nahrungsergänzungsmittel zur Einnahme bei Eisenmangel stand darauf. „Bist du sicher, dass du so viele nehmen solltest?“

      Sie antwortete nicht mehr, doch als ich mich über sie beugte, ging ihr Atem ruhig und gleichmäßig. Ich saß noch eine Weile neben ihrem Bett am Boden, dann wankte ich erschöpft zu einer kleinen roten Couch und rollte mich darauf ein.

      Keuchend schreckte ich auf und erst als ich Dala sah, begriff ich, wo ich war. Das Zimmer wurde vom sanften Licht der Nachtsonne erhellt. Ich wusste, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich stand auf und sah mich um. Gleich neben meinem Sofa stand ein alter Plattenspieler mit einer großen geschwungenen Schallmuschel. Rundherum auf dem Boden lagen stapelweise Schallplatten und CDs. Die Stereoanlage dazu entdeckte ich im Regal daneben. Es enthielt ein buntes Gemisch von Dingen, von Büchern bis zu einem Glasauge – hoffentlich kein Geschenk aus dem Altersheim. Lange betrachtete ich die Wandbilder. Von einer Blumenwiese in silbernem Mondlicht flog ein Schwarm schwarzer und weißer Schmetterlinge auf. Die Vordersten umflatterten – auf der nächsten Wand - eine lebensgroße Elve, die den Arm nach einer glühenden Sonne über Dalas Bett ausstreckte. Planeten kreisten um die Sonne und wurden von Lianen umrankt, die aus einem Urwald entsprangen. Darin entdeckte ich unzählige Augenpaare. Aus dem Dickicht heraus ragten zwei Arme und hielten ein Terrarium. Das Terrarium war echt, es stand unter einem der mächtigen Fenster. Darin wuchs Gras und neben einem Teich entdeckte ich den Bewohner des kleinen Reichs: Eine Schildkröte, kaum so groß wie meine Handfläche, musterte mich neugierig und ließ dabei ein halb zerkautes Gänseblümchen fallen. Ihr Panzer war bizarr gemustert. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass ihr Dala Federn gemalt hatte. Sie sah aus wie eine besonders dicke Wachtel mit vier Beinen. Ich lächelte. Dala...

      Erst als mein Magen knurrte, bemerkte ich meinen großen Hunger. Ich aß ein Stück vom Brot, das Dala auf den Schreibtisch gelegt hatte. Da klopfte es leise an der Tür. Ich zuckte zusammen.

      „Dalaphne, bist du noch wach?“, fragte eine Männerstimme mit leichtem Akzent. Die Klinke wurde nach unten gedrückt, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Dala hatte abgesperrt. Das hieß wohl, ihr Vater sollte nicht wissen, dass ich hier war. Stumm wartete ich, bis sich seine Schritte über die Treppe wieder entfernten.

      Nun da ich wusste, dass ich das Zimmer vorerst nicht mehr verlassen konnte, musste ich plötzlich unheimlich dringend zur Toilette. Ich erinnerte mich, dass die Blumenwiese an der Wand über eine zweite Tür verlaufen war und zappelte hoffnungsvoll darauf zu. Tatsächlich, dahinter befand sich ein Badezimmer.

      Beim Händewaschen sah ich mich selbst im Spiegel und erschrak. Mein Hals war blutverschmiert und Abdrücke von Saats Fingern waren als blaue Flecken auf meiner Haut zu sehen. Seine Nägel hatten verkrustete Schnitte hinterlassen.

      Mein Puls beschleunigte sich.

      Zurück im Zimmer bei Dala kauerte ich mich auf der Couch zusammen und fürchtete mich vor dem Einschlafen.

      Als ich am Morgen erwachte, saß Dala aufrecht in ihrem Bett und frühstückte. Erleichtert stellte ich fest, dass ihre Wangen wieder einen Hauch von Rosa zeigten. Auch ihre Stimme klang schon kräftiger.

      „Hast du gut geschlafen?“, fragte sie.

      Ich zuckte mit den Schultern. „Du?“

      „Wie ein Stein.“ Sie gähnte. „Und das ist ein Ausziehsofa.“

      Ich blinzelte verwirrt.

      „Das Sofa, auf das du dich da gezwängt hast – man kann es zu einem Bett machen.“

      „Oh", machte ich. „Es war schon in Ordnung so...“ Mein Rücken knackte. „Wie geht es dir?“

      „Schon viel bescher!“, sagte sie mit vollem Mund. „Und dir?“

      „Ich fühle mich ein wenig... krank. Aber das sind bestimmt nur die Folgen von gestern.“

      Sie wirkte bekümmert und ließ sich nicht davon abhalten, mir eine Decke zu bringen.

      Wir frühstückten stumm.

      „Heißt du wirklich Dalaphne?“, fragte ich irgendwann.

      „Woher“ - sie hustete - „weißt du das?“

      Ich musste lächeln über ihr empörtes Gesicht. „Gestern Abend hat jemand angeklopft.“

      Sie verdrehte die Augen. „Vater... Du hast ihm doch nicht geantwortet? Oder aufgemacht?“

      „Nein.“

      „Gut.“ Sie wirkte erleichtert. „Rob, es ist furchtbar wichtig, dass er dich nicht sieht.“

      „Schon klar", sagte ich. „Ein Junge, in deinem Zimmer, in der Nacht...“

      „Auch nicht bei Tag.“

      „Oh. Okay. Ist er zu Hause? Jetzt gerade meine ich?“

      „Nein, er hat Wochenenddienst, aber... Rob, du wirst für längere Zeit hierbleiben müssen und Vater darf es wirklich nicht wissen.“

      „Wieso müssen?“, fragte ich verwirrt. „Ich meine, versteh mich nicht falsch, ich bin furchtbar froh wenn ich bleiben kann, aber-“ Plötzlich hielt ich inne. „Ist es wegen Saat? Es ist wegen Saat, nicht wahr? Dala, was weißt du über ihn?“

      „Ich... nein, also es ist nicht direkt wegen ihm...", sagte sie abwehrend und bohrte mit einem Finger in ihrem Brot herum.

      „Dala, bitte sag mir endlich, was du weißt!“, sagte ich und zog ihre Hand vom Teller weg. „Es macht mich verrückt, das alles nicht zu verstehen! Und dir geht es doch jetzt besser...!“

      Sie zögerte und zupfte ein Stück Schinken von ihrem Finger. „Ja, du hast recht", sagte sie schließlich. „Es hat keinen Sinn das hinauszuschieben. Es ist nur... so furchtbar schwierig! Die Sache ist so kompliziert und... Rob, du... du darfst dir nicht erwarten, dass diese Erklärung einfach für dich wird...“

      „Mache ich nicht", sagte ich schnell. Dass das keine Geschichte über Sonnenblumen und Pandabären sein würde, war mir klar.

      „Wo soll ich bloß anfangen?“, murmelte sie und ich konnte mich nicht länger zurückhalten. Ich wollte nicht, dass sie jetzt auch noch Zeit brauchte zu überlegen.

      „Woher hast du gewusst, was Saat vorhatte?“, fragte ich schnell. „Denn das hast du gewusst, nicht wahr? Und wie hast du uns wirklich dort draußen gefunden? - Nur Glück, das kann ich nicht glauben. Hast du sogar gewusst, wohin er mich bringen würde? Warum hast du dann nicht gewusst wann? Und wie konntest du uns trotzdem noch einholen? Und-“

      „Rob!“, unterbrach sie mich. „So einfach ist das nicht! Da ist so vieles, was du nicht weißt!“

      Ich wurde ungeduldig. „Dann erkläre es mir doch endlich!“

      „Was glaubst du, was ich hier gerade versuche?“, rief sie.

      Jetzt blieb ich still. Sie klang wirklich überfordert.

      „Mein ganzes Leben...", sagte sie schließlich leise, „wurde mir beigebracht, nichts zu verraten. Und jetzt hab ich sogar... - Aber ich hatte keine andere Wahl!“

      „Dala, ich verstehe kein Wort", sagte ich vorsichtig.

      Sie sah mich an. „Natürlich...“ Sie atmete tief durch. „Also... also es ist so. Da ist vieles... was die Menschen über diese Welt nicht wissen.“

      Ich runzelte die Stirn. „Klar.“

      „Ja, nur... ich rede hier nicht von Dingen, die sie noch nicht erforscht haben. Was ich dir erzählen muss, ist eine Sache, die bewusst und gezielt vor ihnen verborgen wurde... und wird. Jetzt kling' ich für dich wahrscheinlich wie eine verrückte Verschwörungstheoretikerin. Aber es ist wahr. Es betrifft mich selbst.