Rozalia Wnuk

Piotr, der Zwangsarbeiter


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zwei jetzt in immer kürzer einsetzenden Wehen setzte, schrubbte sich erneut die Hände in einem der bereit stehenden Eimer mit heißem Wasser und griff beherzt in den Geburtskanal der Gebärenden hinein.

      Zur Hebamme gewandt sagte er: >>Es liegt verkehrt herum. Ich muss versuchen, es zu drehen. Das Kind atmet nicht mehr. Ich höre keinen Herzschlag des Kindes. Helfen sie ihr, so gut sie können!<< Die Hebamme wischte mit einem warmen, feuchten Tuch den Schweiß von Rozalias Stirn, der nun schon in kleinen Bächen seinen Weg zu ihrem Hals und weiter abwärts suchte. Immer wieder redete sie mit der Patientin und versuchte, tröstende und ablenkende Worte zu finden. Obwohl sich in ihrem Gesicht zu lesen fand, was gerade auf dem Spiel stand; - nämlich das Leben von Mutter und Kind. So ging es zeitlos weiter. Niemand hätte eine Zeit nennen können, wie lange alles dauerte, bis der Spuk seinem Ende entgegen ging. Bis dann der Mediziner plötzlich ein blutverschmiertes Bündel in der Hand hielt und zu Rozalia sagte: >>Es ist geschafft. Wir haben es heraus. Entspanne dich ein wenig und atme ganz ruhig.<< Unmerklich verfiel der Arzt in ein vertrauliches Du mit seiner Patientin. Es schien ihm angebrachter und näher für das Kommende, was sie zu verkraften hatte.

      >> Es ist wieder ein Junge, Rozalia. Kann denn dein Władek nur Jungen machen?<< Anna klopfte ihm auf die Schultern. Dann auf sich selbst zeigend drohte sie ihm lächelnd mit dem Finger, um dann auf ihren Vater zu zeigen, der schon eine Weile im Raum anwesend war und der kreidebleich in einer Ecke auf einem Stuhl mehr hang, als saß. Auch Anna betrachtete nun das neugeborene Kind. Das war so winzig, gab keinen Laut und keinen Atemzug von sich. Der Doktor klopfte ihm immer wieder auf den verschrumpelten kleinen Po um ihm einen Laut zu entlocken, horchte verzweifelte die kleine Brust ab, doch; - vergebens. Die Hautfarbe des Kindes war unter dem vielen Blut, jetzt nach dem Abwischen erst zu sehen. Und jeder im Raum konnte erkennen, dass dieses Kind, ein totes Kind war.

      Rozalia streckte die Arme nach ihrem eben geborenen Kind aus. Der Arzt schüttelte verneinend den Kopf. Sie rief und schrie und wollte ihr Neugeborenes in den Armen halten. Ihr Schreien steigerte sich bis sie mit dem Kopf nur noch wie irre hin und her auf den harten Tisch aufschlug. So jämmerlich, dass Anna die Geduld riss und der Hebamme den toten Bruder aus den Händen nahm, ihn in ein warmes, bereit gelegtes Tuch wickelte und ihn ihrer Mutter in die Arme legte.

      Sofort hörte diese auf zu schreien und aus ihrer Kehle entschlüpfte nur noch ein herzzerreißendes Gurgeln, wie man glaubt, es nur bei verletzten Tieren zu hören. Nachdem die Nachgeburt ausgeschieden war, säuberte man die trauernde Mutter, die alles wortlos über sich ergehen ließ, hob sie vom Küchentisch herab, trug sie mit vereinten Kräften in ihr Ehebett in die Stube nach nebenan, und ließ sie mit ihrem Mann und dem totgeborenen Knaben, alleine zurück.

      Die Hebamme und Anna, der unaufhörlich stille Tränen die Wangen herunterliefen, schrubbten den Tisch von allen Entbindungsspuren sauber. Der Doktor reinigte sich peinlich Hände und Arme, bis sie sich alle drei sichtlich ermattet und erschöpft um den noch nassen Tisch niederlassen und ihren Tränen freien Lauf ließen.

      So, in ihrer traurigen Stimmung versunken, fanden sie dann Piotr und Edek, die sich in den Stall zurück gezogen hatten, weil sie die Schmerzensschreie ihrer Mutter nicht ertrugen. Edek fand zuerst die Sprache wieder, um die um den Tisch Sitzenden anzusprechen. >>Es wurde plötzlich so schmerzlich laut, das Schreien unserer Mutter. Warum hatten wir keinen Kindsschrei gehört? Warum weint ihr alle? Wo ist unsere Mutter?<<

      Der Arzt richtete sich zur vollen Größe auf, schaute den Jungen an und erklärte ihm den Sachverhalt: >>Lasst eure Mutter noch ein wenig mit eurem Vater und dem kleinen Jungen, der nicht leben durfte, alleine!<<

      Piotr und Edek umarmten ihre Schwester Anna, die das ja alles miterlebte und alle drei weinten nun um ihren totgeborenen Bruder.

      Bis die Hebamme es nicht mehr aushielt, aufstand und mit fester Stimme sagte: >>Mir ist schlecht! Die Ärmste! Selten habe ich eine Frau bei einer Entbindung so viel leiden sehen. Bitte gebt mir einen starken Tropfen, damit ich den bitteren Geschmack in meinem Mund wegspülen kann.<< Piotr erhob sich, ging zum Schrank und nahm die Wodkaflasche mit dem guten, weichen polnischen Wodka heraus, schaute sie an, nahm zwei Gläschen vom Regal, füllte je eines für den Arzt und die Hebamme ein und sagte: >>Zu feiern haben wir ja keinen neuen Bruder. Eigentlich. Aber einen Namen sollte er trotzdem erhalten. Und außerdem, danke Herr Doktor und allen hier Anwesenden, dass ihr das Leben unserer Mutter retten konntet! Denn wenn ich das richtig verstand, war auch ihr Leben in Gefahr.<<

      Arzt und Hebamme nickten schweigend, mit nassen Wangen von den vielen vergossenen Tränen, nahmen das angebotene Glas und tranken langsam und mit Bedacht die alkoholische Flüssigkeit. >>Es muss nicht immer ein Festtag sein, an dem sich so ein warmer Schluck bezahlt macht. Ich danke dir Piotr, und jetzt muss ich gehen. Morgen komme ich nach der Kranken schauen. Ihr müsst bestimmen, wie der Körper des Kindes bestattet wird. Gelebt hat er ja eigentlich nicht.

      Also dürfte der Priester Schwierigkeiten machen, ihn auf dem Friedhof in eurem Familiengrab beizusetzen. Doch ehrlich gesagt, schaut euch eure Mutter an. Für sie hatte das Kind gelebt. Es war acht Monate in ihrem Bauch. Für sie hatte es gelebt. Sollte es Schwierigkeiten geben, sagt es mir und ich erkläre dies dem Priester; - auf meine Weise!<<

      Betroffen schauten sie sich an, die dort am Tisch saßen und standen und wussten im Moment keinen Satz hervorzubringen. >>Erst einmal kommt unser Brüderchen in die Wiege, die für ihn bereit gestellt war, sobald es Mutter zulässt.<< Sagte Anna. Die Hebamme warf ein, dass es nicht gut wäre, ein totes Kind so lange im Hause zu haben.

      >> Er ist unser Bruder und bleibt hier, so lange dies unsere Eltern wünschen.<< Entschied nun Edek ziemlich brüsk. >>Ich meine ja nur, für die Psyche der Mutter ist es nicht gut, Edek. Verstehe mich bitte nicht falsch. Wenn euer Vater heraus kommt, werde ich nach ihr schauen. Auch was die Blutungen machen, muss ich kontrollieren.

      Aber zuerst müsst ihr natürlich zu ihr gehen und sie trösten.<< Ein verständnisvolles Nicken und Starren zur Zimmertür, die zum Schlafzimmer der Eltern führte, folgte ihrer Aufforderung. Angespannt warteten sie darauf, dass sie sich öffnen sollte.

      Warten mussten sie noch eine ganze Weile. Von drinnen hörte man seit geraumer Weile zweistimmiges Weinen. Władek lag mit dem Kopf auf der Brust seiner weinenden Frau, die er mit einem Arm umschlungen hielt und diese ihrerseits im Arm das leblose Bündel festhielt. Beide konnten ihr Unglück nicht fassen, dass sie dieses Kind nun betrauern mussten, anstatt ihm ins Leben zu helfen. Warum nur, warum? Eine immer wieder stumm gestellte Frage stand im Raum. Beide hatten sich nichts vorzuwerfen. Alles war wie bei den anderen Schwangerschaften auch. Und doch, etwas musste anders gewesen sein?! Aber was war es nur, was diesem unschuldigen Kind das Leben schon im Mutterleib nahm?

      Als die Dämmerung einsetzte drückte Władysław seiner Frau und dem toten Jüngelchen einen langen Kuss auf die Stirn, verließ den Schlafraum und trat in die Küche zu den anderen. Alle starrten ihn an. Der Doktor wartete nicht und war gegangen. Auch ging er schon früher, um die Trauernden nicht zu stören. Die Hebamme erklärte nun dem bleichen verstörten Vater, warum es zum Tode seines Kindes kam. Dem einzigen Kind, was sie in all den Jahren verloren. Es sollte das letzte Kind sein, welches Rozalia nach so vielen Jahren Pause vom Kinderkriegen gebären wollte. So hatten sie es sich gewünscht. Und sie wollten ihn Czesław nennen.

      Denn für sie war es gewiss, dass es ein Junge werden würde, erklärte er stolz. Er umarmte schweigend und dankbar seine Kinder in der Küche, dankte der Hebamme und ging in Richtung Stall, um alleine so zu weinen, wie nur ein Mann weinen kann.

      Die Tage, die folgten, waren wirklich die schwersten, die diese Familie zu ertragen hatte. So glaubten sie damals. Nach vielen Gesprächen willigte der Priester dann doch ein, Czesław im Familiengrab beizusetzen. Eine kleine Trauerfeier im Kreise der doch zahlreichen Familie gab es nach der Messe für das totgeborene Kind. Was zuvor auf dem Friedhof von Leszkowice, am Dorfanfang gelegen, begraben wurde.

      Fast das ganze Dorf zog traurig in einer Prozession einem kleinen weißen Sarg hinterher.

      Die Familie zog sich anschließend ins Haus von Władeks Eltern zurück, um weiteren neugierigen und schmerzhaften Fragen zu entgehen. Man saß