Rozalia Wnuk

Piotr, der Zwangsarbeiter


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Arbeit hatte sie schnell wieder in den Alltag eingespannt, denn der kommende Winter würde kein Erbarmen mit Trauernden zeigen, wenn nicht genügend Holz gehackt, keine Pilze gesucht und eingekocht und so vieles vorbereitet wurde. Als das Weihnachtsfest immer näher kam, gesellten sich zu den eh schon starken Frösten, starke Schneeverwehungen.

      Tagelang konnten die Männer nicht in der Kirche arbeiten, weil sie selbst zu Hause genug damit zu tun hatten, die Räumlichkeiten zu wärmen und andere Arbeiten zu verrichten, die üblicherweise im Winter getan wurden. Dazu gehörten für die Jüngeren; - das Lernen, Malen und Lesen, genauso wie Stickereien anzufertigen.

      Bei Rozalia und Władek schien die Zeit eingefroren zu sein. Sie redeten nicht mehr viel miteinander. Die Zeit verbrachten sie mit vielen Dingen um das tägliche Leben und mit wenigen Worten. Die Trauer um ihr verlorenes Kind ließ sie verstummen. Sie scherzten nicht mehr miteinander und fanden keinen Weg mehr zu ihrem üblichen leichten, in den Jahren stets neckenden, verliebten Umgang zueinander.

      Kapitel 3

      Als endlich die Arbeiten und Vorbereitungen zum Dekorieren der Kirche losgingen, trafen sich einige der Dorfbewohner und schmückten den Innenraum mit allerhand weihnachtlichem Schmuck aus wunderhübsch gebundenen Sträußen, die auch getrocknete Blüten enthielten. Es wurden zwei riesige Tannenbäume aus dem nahen Wald herbeigeholt und links und rechts neben den Altar aufgestellt. So viele Kerzen wurden gespendet, dass es zu hoffen war, die Kirche am Heiligen Abend hell erleuchten zu können, ohne dass elektrisches Licht eingesetzt werden musste.

      Die harmonische Kerzenbeleuchtung wurde stets zu Beginn eines großen Gottesdienstes bevorzugt.

      Einige Wochen vor Weihnachten zog der Geruch von frisch gebrühter Wurst durchs Dorf.

      Wo es möglich war, wurde selbst geschlachtet und anschließend auch selbst die Wurst hergestellt. Von der guten Wurstbrühe wurden dann herzhafte Suppen gekocht, auf die alle in der Familie schon mit Heißhunger warteten. So war es auch in der Familie Lato.

      Durch die mitgebrachten Schwiegerkinder vergrößerte sich die Familie um einige Personen. Man stellte neue Stühle um den Küchentisch, damit alle am Festtage um den großen Tisch versammelt sein konnten. Auch die Kinder, welche als Soldaten dienten, nahmen selbstverständlich mit ihren Bräuten am Festessen der Familie teil. Außerdem musste ein Platz mehr angeordnet werden. Ein freier Platz, der auch eingedeckt wurde und der traditionell am Heiligen Abend in Polen immer unbesetzt bleibt. Und zwar, für einen fremden Gast, den es zu ihnen verschlagen könnte und den man willkommen heißen würde.

      Die Jungen halfen ihrem Vater bei den Schnitzarbeiten, die für die Vervollständigung der Krippe nötig waren. Und auch dabei, neue Stühle herzustellen, weil sich ja die Familie vergrößerte. Geredet wurde dabei über die neuen Machtverhältnisse im Nachbarland Deutschland. Und wie radikal sich das schon auf die jüdische Bevölkerung ausgewirkt hatte. Immer mehr Menschen jüdischen Glaubens kamen nach Polen, um dort ihr Leben zu führen.

      Zu unsicher war die Situation in Deutschland für sie geworden. Es gab nun viele jüdische Mitbürger, auch in Lublin. Dorthin waren ja Piotr und Edek mit ihren neuen Freundinnen schon im Herbst geradelt. Es war ein toller Tagesausflug, der den vier jungen Leuten immer in liebevoller Erinnerung bleiben würde.

      Ein wunderschönes altes jüdisches Viertel gab es in Lublin schon immer, seit sie denken konnten. Aber nun erzählte man ihnen, dass es immer mehr Menschen aus dem Ausland in dieses Viertel ziehen würde. Diese Leute arbeiteten, waren fleißig und unterhielten ihr eigenes Viertel und sorgten dort für einen gewissen Wohlstand. Diverse Informationen über die dortige Bevölkerungs-zunahme kamen auch von den drei jungen Soldaten der Familie. Auch hier war man beunruhigt über die Verhältnisse in Niemcy, in Deutschland.

      Jetzt, im Winter 1936, zeigten sich erste Auswirkungen der gewaltigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Hitler in seinem Reich, nach seiner Wahl zum Reichskanzler vornehmen ließ. Trotzdem wurde immer wieder die Hoffnung geäußert, dass es niemals mehr zu einem Krieg kommen könnte. Dazu war die allgemeine Wirtschaftslage nicht stabil genug. Das würde doch wohl auch ein Hitler einsehen müssen.

      Im Dorf Leszkowice gab es genügend Arbeit für jedermann. Man wurde wahrlich nicht reich dabei. Die Genügsamkeit war oberstes Gebot. Aber man lebte gut und hatte sein Auskommen. Deshalb war es auch natürlich, dass über die Anwerbungen, die man in Deutschland betrieb, um polnische junge Leute ins „Reich“ zum Arbeiten zu holen, gesprochen wurde. In dieser Familie machte sich allerdings niemand ernsthafte Gedanken darüber, dass die Arbeit im Dorf ein Ende finden könnte. Wenn es nicht durch höhere Gewalt höherer Mächte, beschlossen war. Und eine höhere Macht als die der Regierung ist in Polen nur die Göttliche Macht. Und die sollte sie doch nun endlich beschützen, so beteten die Polen in diesem Dorf und lebten ihren Alltag. Jeder mit seinen eigenen Sorgen.

      In der Familie Lato gingen die Arbeiten am Ausbau des Kirchendachstuhls weiter. Neben den üblichen Verrichtungen für Familie, Haus und Hof. Die Kinder mussten nun seit es kalt wurde häufiger die Schulbank drücken. Jetzt, wo sie nicht mehr so viel auf dem Feld gebraucht wurden, hieß es, tüchtig zu lernen. Auch Piotr und Edek, letzterer im letzten Jahr, gingen dorthin. Sie trafen natürlich ihre Freundinnen regelmäßig, um zusammen Schularbeiten zu machen, so wie es überall in der Welt die Kinder und Jugendlichen machten. Mal bei Piotr, mal bei Basia. Mal bei Edek, mal bei Emilia oder am schönen und schon fast zugefrorenen See in Firlej. Dorthin zu radeln, wenn der Schnee nicht zu hoch lag und es die Dorfstraße einigermaßen zuließ, bedeutete immer einen besonderen Spaß für die drei aus Leszkowice. Unterwegs mussten sie mehrmals anhalten, weil Piotr und Basia es nicht aushielten und sich umarmen und küssen mussten. Edek, der ja schon soooo erwachsen war, schmunzelte dann immer und schaute weg, um dann anschließend tüchtig zu stänkern.

      Die beiden, Basia und Piotr, revanchierten sich prompt, sobald sie in Firlej ankamen und von Emilia willkommen geheißen wurden. Denn gleich ließ Edward sein Rad in den Schnee fallen und stürzte auf sie zu und umarmte sie herzlich. So verbrachten die vier Jugendlichen ihre Sommer und Winter über noch kommende Jahre, bis sie sich offiziell versprochen wurden oder sie von tragischen Ereignissen eingeholt wurden, die ihnen nicht erlaubten, die gegebenen Versprechen einzulösen.

      Nun nahte das Weihnachtfest in großen Schritten. Die Kirche war fast fertig ausgebaut und das Gerüst wurde da, wo es nicht mehr gebraucht und es die Feierlichkeiten zum hohen Fest stören würde, schon mal etwas abgebaut. Blumengestecke waren in üppiger Fülle aufgestellt und die Kerzen bereit, ihre Leuchtkraft in Fülle zu verschenken. In den Häusern wurden für die Festlichkeit besondere Kuchen gebacken, Schinken und Würste vom Trockenspeicher geholt, sowie Pilze und Dörrobst. Herrliche Düfte zogen nun durch die verschneite dörfliche Landschaft.

      Die Wieprz war ihrerseits fast zugefroren. So, dass man froh sein konnte, schon vor einigen Tagen ohne große Probleme das Arbeitspferd Janyk aus dem dortigen zugigen alten Schuppen auf der anderen Seite, des nun sehr kalten Flusses nach Hause in die warme Scheune geführt zu haben. Und man hoffte sehr darauf, für diesen Winter das letzte Mal durch das eiskalte Wasser des Flusses gewatet zu sein. Immerhin wurde nun endlich beschlossen, zügig eine Holzbrücke zu bauen, sobald die Kirchenausgestaltung abgeschlossen war.

      So ging es jedenfalls nicht mehr weiter. Es musste eine Brücke her. Darüber freute man sich allgemein fast noch mehr, als über den Kirchenausbau. Nur laut sagen durfte man das nicht, um niemanden zu brüskieren. Denn die allgemeine Vorfreude, auch auf der anderen Flussseite öfter durch die Wiesen zu ziehen, war schon riesig. Die Dorfjugend war begeistert von der Idee. Aber nicht nur sie. Alle wollten endlich diese Brücke. Auch der Pfarrer sah ein, dass sie nötig war und dass dann in Zukunft ein paar Groschen weniger bei der Kollekte für seine Kirche zusammen kommen würden.

      Am Abend des großen Tages erstrahlte das Dorf in frischem Weiß. Die Schneediamanten glitzerten auf den Wegen und die Gemeinde traf sich zur traditionellen Weihnachtsmette. Im Dunkeln der Nacht wurden alle gespendeten Kerzen angezündet. Die Frauen eröffneten mit ihrem herrlichen Gesang die Mette. Die Gemeinde stimmte ein und die feierlichen Töne durchzogen ein tiefverschneites, friedliches polnisches Dorf mit Ehrfurcht und Andacht.

      Die Augen der Kinder wurden riesengroß,