Dominik Michalke

Arym Var


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über ihnen war fast schwarz, doch vor ihnen nahm er bereits eine leuchtende dunkelblaue Farbe an. Im Nordwesten prangte das Gorres-Massiv wie eine hohe, pechschwarze gerade Wand aus dem Boden und streckte sich über einen großen Teil des Horizonts.

      Da die Sonne des Arym Var-Systems – der Nexus – fast im Norden aufging, würde das Gorres-Massiv der Länge nach bestrahlt werden.

      »Und, was war dann der Grund, weshalb du von Mol Ondune hierher strafversetzt wurdest?«, sagte Anjiara frei heraus. Sie hielt sich mit beiden Händen am Stahlgeländer des Balkons fest und sah in die Ferne des blauen Horizonts.

      Ihre grünlichen schulterlangen Haare flatterten in einer leichten Brise, die über die Station strich.

      Kargan stützte sich mit den Armen auf das Geländer und sah in Richtung des Gorres-Massivs. Seine Stimme klang gleichgültig. »Hat dir das auch der Expeditionsleiter bei seiner Einführungsrede erzählt?«

      Sie sah ihn an und blieb ernst. »Tut mir leid Kargan. Es ist halt das, worüber sich die anderen das Maul zerreißen, wenn sie ihren Kaffeeklatsch austauschen.

      Du kennst es ja bestimmt selbst. Ich weiß, ich bin immer zu neugierig. Also wenn du nicht darüber reden willst, finde ich das vollkommen verständlich.«

      Kargan schnaubte verächtlich. »Die anderen. Was wissen die denn. Die wissen überhaupt nichts.« Er machte eine kurze Pause, bevor er weiter sprach.

      »Kennst du Raul Densing?«

      »Nicht persönlich. Hab nur von ihm gehört. Und nicht besonders viel Gutes«, erwiderte Anjiara.

      »Raul Densing ist ein Dreckschwein. Er gehört hinter Gitter. Aber da kommt er nicht hin, weil er genügend Beziehungen im Karndalf-Kanton durch Verwandtschaften hat.« Kargan stockte kurz, als würde er angestrengt nachgrübeln. Er fuhr wütend fort. »Er ist korrupt und arbeitet mit Erpressung. Ich bin froh, dass ich nicht mehr auf dem Mol Ondune Forschungszentrum arbeiten muss und unter seinem Befehl stehe. Aber die Strafversetzung hat einen unangenehmen Beigeschmack. Ich muss fast die dreifache Zeit für den gleichen Verdienst abarbeiten und ich kann nicht aus. Was das Geld betrifft, das könnte ich verkraften. Aber die Tatsache, dass dieser Bastard mich gewissermaßen immer noch unter seiner Fuchtel hat, treibt mich in den Wahnsinn.«

      Langsam wurde der blaue Bereich am Horizont heller und bekam einen dunklen, orangefarbenen Ton. Der Nexus ging auf, doch noch war er nicht in seiner Form zu erkennen.

      »Offiziell arbeite ich nicht mehr unter Rauls Kommando, aber er hat überall seine Finger im Spiel. Das Problem ist, dass ich nicht einmal konkrete Beweise hätte, seine Korruption aufzudecken. Und wer glaubt schon einem kleinen Funkoffizier, der gegen einen angesehenen Forschungsinstitutsleiter des Karndalf-Kantons aussagt.«

      »Das ... Das hört sich ja alles schrecklich an! Aber warum genau wurdest du strafversetzt?« Anjiara sah mitfühlend aus.

      »Da waren diese Schmuggler ...« Kargan schien einen Punkt weit weg am Horizont zu fixieren. »Sie kamen regelmäßig. Was genau sie lieferten, hab ich nicht spitzbekommen, aber ich glaube, dass da was Größeres im Gange war. Du weißt ja, Schmuggel ist laut dem Kodex der Andragon-Kantone strengstens verboten. Aber ich war der Funkoffizier auf dem Mol Ondune Forschungszentrum. Ich weiß eine illegale Schiffsauthentifizierung von einer rechtlichen zu unterscheiden. Als ich zu Raul Densing ging, um ihn zu fragen, stellte sich heraus, dass er selbst hinter dem Schmuggelbetrieb stand. Seit dem Moment ging der Terror los. Ich wurde von vermummten Schlägertypen verprügelt und gewarnt, ich solle dichthalten, sonst würde mir weiß Gott was passieren. Ich fühlte mich immer beobachtet, egal wohin ich ging, und ich hatte verdammt noch mal Angst, das muss ich zugeben.«

      Anjiara sah ihn schweigend an.

      Das Dunkelorange des Horizonts hatte sich mittlerweile in ein helles strahlendes Orange verwandelt. Man konnte nun einen kleinen Teil des aufgehenden Nexus erkennen, der einen Bereich der Rotsandwüste in einem schimmernden Licht bestrahlte. Dort, wo sich vorhin lediglich schwarze Umrisse der Dünen befunden hatten, erstrahlte nun das Gorres-Massiv in goldbrauner Farbe.

      Man konnte sogar die Struktur der zerklüfteten steilen Felswand erkennen, die etwa dreihundert Meter hoch war.

      Kargan wirkte, als würde ihn das Spektakel nicht im Geringsten interessieren. »Dann, nach etwa eineinhalb Wochen ist es passiert. Ein Regulator der Karndalf-Geheimpolizei war zufällig auf dem Mol Ondune Forschungszentrum. Der Typ verfolge irgendeine Spur einer Frachterpiraten-Gruppe und war dann zufällig auf Hinweise über die Schmuggler gestoßen. Da Raul Densing Schiss hatte, dass er auffliegen würde, wollte er die Schmuggler hochgehen lassen und ihnen eine Falle stellen, um vor dem Regulator in gutes Licht gerückt zu werden.

      Ich wollte den Regulator kontaktieren, aber ich merkte, dass ich mehr beobachtet wurde als je zuvor. Raul würde mich umbringen lassen, würde ich versuchen, die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen. Dessen war ich mir sicher.

      Ich konnte nichts dagegen machen. Das Letzte was ich tun konnte, war zu verhindern, dass Raul als der ‚Held, der die Schmuggler enttarnt‘ erschien. Mein Gedankengang war: Wenn die Schmuggler durch Raul nicht auffliegen würden, würde der Regulator weiter an dem Fall dranbleiben. Damit wäre Raul nicht aus dem Schneider gewesen. Ich weiß, das Ganze war ein wenig aussichtslos ... aber was hätte ich tun sollen?

      An meinem Arbeitsplatz war ich sicher. Die Schlägertypen von Raul konnten mir nicht in die Kommunikationszentrale folgen. Als die Schmuggler dann wieder kamen, sendete ich ihnen das gewöhnliche Begrüßungssignal, jedoch verschlüsselt mit einer geheimen Botschaft über den Verrat. Die Schmuggler verstanden die Botschaft und flohen vor der Station, bevor Raul oder die Geheimpolizei eingreifen konnte.

      Ja ... und so kam es dann, dass ich strafversetzt wurde. Natürlich fiel sofort der Verdacht auf die Kommunikationszentrale, aber ich konnte mich weitestgehend rausreden. Ich sagte, dass ich versehentlich die Kom-Schnittstellen für externe Zugriffe frei geschaltet hatte und die Schmuggler so von der Anwesenheit der Geheimpolizei spitzbekommen hatten. Es ging sozusagen als ein dummer Fehler meinerseits durch, der die Aktion der Polizei vermasselte.

      In meiner und Rauls Anwesenheit ordnete der Regulator an, dass mein Vorgesetzter – Raul Densing – mir eine angemessene Strafe laut Karndalf-Kodex verhängen sollte.

      Raul konnte nun nichts Fatales gegen mich hegen, weil der Regulator anwesend war. So versetzte er mich nach Infidelis.

      Ich sehe heute noch seinen Blick vor mir, der sagte: ‚Du bist ein toter Mann, früher oder später kriege ich dich‘. Und hier bin ich ... auf Infidelis.«

      Der Nexus war nun fast in seiner ganzen Größe zu sehen. Der Tag erwachte zum Leben. Die Wüste erstrahlte in rotgelbem Farbton und das Gorres-Massiv ragte deutlich sichtbar im Nordwesten auf.

      Anjiara schien von Kargans Geschichte erstaunlich mitgenommen zu sein.

      »Kargan, ich ... Musst du nun um dein Leben fürchten? Das ist ja entsetzlich. Weißt du, als ich die anderen gehört habe, dachte ich, du hast einfach nur irgendwo Mist gebaut. Aber das, was du erzählt hast, lässt alles gewaltig in einem anderen Licht erscheinen. Aber kannst du nicht irgendwie versuchen, was dagegen zu unternehmen? Du musst irgendjemandem davon erzählen ...«

      »Wie ich schon sagte, ich bin nur ein unbedeutender Funkoffizier. Und ich kenne nicht die richtigen Leute. Ich kann dir nur sagen was ich denke: Eine korrupte Ader zieht sich durch das Karndalf-Kanton. Man muss immer aufpassen, mit wem man es zu tun hat. Vielleicht gibt sich mir irgendwann eine Möglichkeit. Aber bis dahin muss ich jeden meiner Schritte genau überlegen.«

      Eine kurze Pause des Schweigens entstand.

      Kargan wandte sich vom Sonnenaufgang ab und lächelte Anjiara schwach an. »Aber vorerst bin ich hier mal sicher. Hoffe ich zumindest. Denn wer will schon auf diesem trocken Rotsandklumpen nach jemandem suchen.«

      Anjiara legte die Hand auf Kargans Schulter. »Kargan, ... wenn es mir irgendwie möglich ist dann ... würde ich dir gerne helfen.«

      »Das wüsste ich sehr zu schätzen, Anjiara. Schau, das Gorres-Massiv, es sieht wunderschön aus.«