Dominik Michalke

Arym Var


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wurde laut. Ein Knistern fügte sich hinzu. Kargan hatte das Gefühl, mitten in einem Hochspannungswerk zu stehen. Er konnte nicht erklären warum, doch er war wie gebannt. Er konnte nicht Wegrennen, irgendetwas schien ihn verharren zu lassen.

      Das Summen und Knistern schien sich langsam aber sicher lokalisieren zu lassen. Es kam von hinter der Betonwand links von Kargan.

      Kargan starrte wie besessen auf die Wand. Das Summen wurde noch lauter, war nun fast unerträglich. Kargan ging in langsamen Schritten rückwärts, ohne den Blick von der Wand abzuwenden, die wie ein gesichtsloser grauer Dämon vor ihm prangte. Kargans Atem ging schwer. Er war stark angespannt.

      Dann fasste von hinten eine Hand auf seine linke Schulter und lies ihn herumfahren.

      »Was zum Teufel machen Sie hier draußen?«

      Kargan registrierte erst nachdem der unglaubliche Schock halbwegs nachgelassen hatte, dass der rote Punkt in der silbernen Scheibe, die er anstarrte, nicht das Auge eines todbringenden Wesens sondern das seltsame Ersatzauge von Rukkbert war.

      Kargan wirbelte erneut herum und starrte die Betonwand an. Das Summen war wie aus dem Nichts abgeklungen. Das leichte Rauschen des Windes war zu vernehmen, als wäre nichts passiert. Die Betonwand war nichts weiter als ein schweigender grauer Klotz und Kargan spürte keine Elektrizität mehr.

      »Haben sie das gerade gehört?«, keuchte er und musste sich beherrschen, seine Stimme nicht überschlagend klingen zu lassen.

      »Ich dachte das könnten sie mir sagen. Und jetzt beantworten sie meine Frage: Was machen sie hier draußen? Warum sind sie nicht im Kom-Turm?«

      Rukkberts Stimme klang wie eine rostige Maschine.

      Kargan fühlte sich überhaupt nicht wohl. Auch wenn allen Anscheins nach nichts mehr passierte, wollte er sofort weg von hier. »Das erkläre ich ihnen in der Station! Jetzt müssen wir hier weg, und zwar sofort! Schnell, beeilen sie sich!« Er starrte Rukkbert an.

      Rukkbert starrte zurück und sagte nichts. Einen Augenblick dachte Kargan, Rukkbert würde wie in einem Horrorfilm das Gesicht zu einer Fratze verziehen und ihn anfallen.

      Doch eine Sekunde später knurrte er: »Dort will ich eine Erklärung.«

      Kargan befahl seiner Sonde, den Rückweg zu leiten und hastete an dem unbeeindruckten Rukkbert vorbei durch das Labyrinth aus Betonwänden. Auch wenn kein Zeichen mehr auf das Erlebnis von eben hindeutete, wurde Kargan sein ungutes Gefühl im Bauch nicht los. Er blickte sich ununterbrochen um, als würde er ein Gespenst sehen können.

      Als er bei der Hauptschleuse angekommen war, wartete er ungeduldig, bis Rukkbert hinter einem der Betonklötze hervorkam und ihn mürrisch musterte. Kargan hatte fast das Gefühl, als käme der Mann absichtlich langsam daher getrottet.

      »Sperren sie die Schleuse wenn sie drin sind!«, rief Kargan in fast befehlshaberischem Ton und rannte durch den Eingang in die Station.

      »Warten sie im Besprechungsraum, Saturon«, vernahm er das Knurren von Rukkbert, der hinter ihm die Schleuse erreichte.

      Kargan entschied sich, dem Befehl vorerst nicht Folge zu leisten, sämtliche Verbleibenden SHIRE Alpha Teammitglieder zusammenzusuchen und in den Besprechungsraum zu bitten. Sie hatten seinen Verdacht belächelt und ihn nicht ernst genommen. Aber jetzt sollten sie zuhören. Jetzt würde er sie eines Besseren belehren.

      Viktoria kam als letzte in den Besprechungsraum. Sie hatte gerade – am helllichten Tag und während der Arbeitszeit – geduscht und sich noch die Haare geföhnt, wie Kargan fassungslos feststellen musste.

      Er war gerade dabei, auf die Plasmamonitore zu starren und verbissen zwischen den verschiedenen Überwachungskameras hin- und herzuschalten, als sie den Raum betrat. Ihre Haare waren noch leicht feucht und ihr Gesichtsausdruck war mehr als mürrisch.

      »Also, was soll nun das Ganze, wenn ich mal fragen darf?«, fragte der Geologe ungeduldig, den Kargan noch nicht kannte. Der eher unscheinbare Mann sah ihn stirnrunzelnd an.

      Kargan wandte sich von den Monitoren ab und sah in die Runde. Auf der linken Seite sah er Anjiara und Barg-Sa, die ihn freundlich und dennoch erwartungsvoll ansahen. Die Ärztin hatte neben Rukkbert Platz genommen, der Kargan musterte, als würde er versuchen, seine Gedanken zu lesen. Auf der rechten Seite saß der Geologe, der die Frage gestellt hatte und nun abwartete.

      Kargan holte tief Luft und erzählte ihnen alles. Er fing bei seiner von Werland ignorierten Vermutung der Sabotage an, erzählte vom unbekannten Geruch, den die Sonde registriert hatte und endete bei dem Muster im Sand und beim seltsamen Erlebnis zwischen den Betonwänden. Anschließend fiel ihm das Geräusch ein, das der Terra-Kom-Receiver im Kom-Turm geliefert hatte. Auch dass Dagobert von der Andragon Outrange 14 beim letzten Gespräch von einem seltsamen Signal gesprochen hatte, behielt er nicht für sich.

      Nachdem er fertig war, lag ein Schweigen in der Luft.

      Kargan vermochte anhand der Blicke nicht zu interpretieren, ob sie ihn nun des Verfolgungswahns bezichtigen oder beistimmen würden.

      Nicht zum ersten Mal war Barg-Sa wieder derjenige, der als erster das Wort ergriff. »Es tut mir leid, Kargan.«

      Aber du bist völlig verrückt, hörte Kargan die Stimme in seinem Kopf den Satz fortsetzen.

      »Es tut mir leid, dass ich die Sache nicht ernst genommen habe. Die Dinge von denen du berichtet hast verursachen mir Ärger über mich selbst, dass ich überhaupt so dumm sein konnte, die Geschichte so zu ignorieren.«

      Aus dem Augenwinkel sah Kargan den Geologen leicht nicken. Anjiara starrte nachdenklich ins Leere.

      Barg-Sa fuhr fort. »Wir haben zwar keine konkreten Fakten und ich hätte nicht die geringste Ahnung, wie jemand in diese Station unbemerkt eindringen könnte, um sinnloserweise einen Generator zu sabotieren. Aber dennoch sollten wir auf der Hut sein. Da ich der Sicherheitsoffizier bin und es eh unter meinen Aufgabenbereich fällt, werde ich ab jetzt, wenn immer es mir möglich ist, die Kamerastreams überwachen. In der Nacht werde ich Sicherheitsrundgänge einlegen, damit ihr in Ruhe schlafen könnt.« Er drehte sich zu Anjiara. »Wie ich das durchhalte, werde ich mir allerdings noch überlegen müssen«, murmelte er.

      »Wir wechseln uns ab.« Der Geologe kaute lässig an einem Kaugummi. Die anderen sahen ihn an. »Jeder ist mal dran. Einmal er, dann mal ich, dann mal du ...« unbeeindruckt und kauend blickte er die entsetzte Ärztin an.

      »Was soll ... glaubt ihr etwa alle diesem Spinner? Was ist in euch gefahren? Diese Station ist absolut sicher. Was ist mit den Bewegungssensoren und so? Bloß weil dieser Verrückte sich seltsame Signale einbildet und irgendwo ein Summen außerhalb der Station hört – pah. Das war bestimmt der Wind«.

      Viktoria sprach in arrogantem Tonfall und fuhr sich durch die Haare.

      »Was bildest du dir eigentlich ein! Du widerliche Zicke. Du hast nicht die geringste Ahnung! Und du beschuldigst ihn ...« brach es aus Anjiara heraus.

      Rukkbert, der bisher noch keinen Ton gesagt hatte, unterbrach sie mit seiner rostigen Stimme. »Schluss mit dem Gezeter. Das bringt hier niemanden weiter.

      Ich kann im Moment noch nicht sagen, was ich von der ganzen Sache hier halten soll. Aber wie Gerents korrekterweise gesagt hat, müssen wir dennoch auf der Hut sein. Ich selbst war außerhalb der Station bei Saturon und habe das summende Geräusch gehört, bevor es abrupt verstummt ist. Es war definitiv kein Wind.« Er warf Viktoria einen mürrischen Blick zu. »Dennoch müssen wir uns kontrollieren und dürfen nicht unseren Verstand verlieren. Wir müssen unserem Arbeitsverlauf folgen. Das Karndalf-Kanton setzt Erwartung in uns. Das dürfen wir nicht vergessen. Ich werde einen Schichtplan aufstellen, der ab sofort in der Nacht gelten wird.«

      Die Erwartungen des Karndalf-Kantons sind mir scheißegal, dachte sich Kargan.

      »Das ist doch alles absurd. Ein Eindringling. Auf diesem Planeten! Und wie sollte er jemals an den Sensoren vorbei ...«, schimpfte Viktoria leise vor sich hin, aber ihre Stimme wurde vom Geräusch der rutschenden Stühle übertönt, als die anderen langsam und miteinander murmelnd aufstanden.