Dominik Michalke

Arym Var


Скачать книгу

leiden. Oder ich sollte besser sagen ‚Stationskoller‘, nicht wahr?« Er lachte dümmlich.

      Niemand lachte mit.

      »Vollidiot«, murmelte Anjiara, die das gesamte Gespräch aufmerksam verfolgt hatte.

      Kargans Wut stieg ins Unermessliche. Er musste sich beherrschen, seine Seriosität in der Stimme zu bewahren, anstatt Werland mit ausgefallenen Schimpfwörtern zu beschimpfen.

      »Entschuldigen sie, Saturon«, sagte Werland schließlich, »aber ich verstehe ihr Verhalten nicht. Sensoren lügen nicht, das wissen sie.«

      »Und was ist mit der Spur, die die Sonde entdeckt hat? Das Signal? Der seltsame Rückstand im Sand, von dem die Geruchsspur nicht mehr weiterging?«

      Kargan schrie fast.

      »Ich weiß ni ...« Jemand im Crawler unterbrach Werland. Es entstand eine Pause. Offensichtlich war Werland kurz abgelenkt.

      »Ich beende die Kom-Verbindung. Wir haben hier ein elektromagnetisches Feld entdeckt, das sich offensichtlich mitten in der Wüste ...« Er wurde wieder abgelenkt. Er schien mehr mit sich selbst zu reden als mit Kargan.

      Marios Stimme war kurz zu hören. Dann die von Luis ‚Die Brille‘ Raugen.

      Kargans Gedanken rasten. »Fahren sie nicht zu dem elektromagnetischen ...!«

      »Ich beende die Kom-Verbindung«, überging ihn Werland. »Wir hören uns dann wieder. Morgen um ... 900 Infidelis-Zeit. Außenteam SHIRE Alpha Ende«

      »Passen sie auf sich auf!« rief Kargan in das Kom-Mikrofon.

      Die Kom-Verbindung war bereits beendet.

      »Passen sie auf sich auf ...« Kargan flüsterte fast und starrte das Mikrofon an.

      Anjiara war von ihrem Stuhl aufgesprungen und hatte begonnen, hektisch auf und ab zu gehen, soweit das in dem kleinen Raum möglich war. »Werland ist ein unfähiger, engstirniger Kotzbrocken!«, schleuderte sie die Worte in den Raum.

      Kargan schüttelte nur still den Kopf und starrte ins Leere.

      »Er hat nicht einmal richtig zugehört. Hat nur noch sein bescheuertes Energiemuster im Kopf«, schimpfte Anjiara weiter.

      »Wenigstens glaubst du mir«, stellte Kargan in den Raum.

      »Natürlich glaub’ ich dir, was dachtest du denn. Alle außer Werland glauben dir. Auch Barg-Sa und ... und sogar Rukkbert.« Sie machte eine hebende Geste mit den Händen.

      »Na ja, Viktoria nicht.« Kargan zog einen Mundwinkel nach oben.

      »Die?« Anjiaras Stimme überschlug sich. Das ausgesprochene Wort allein sagte schon alles aus, was sie über die Ärztin dachte. »Wer gibt den schon einen Scheiß darauf, was die glaubt und was nicht.«

      Kargan lachte kopfschüttelnd ob Anjiaras direkter Art, worauf sie ihn boshaft grinsend ansah.

      Er wurde wieder ernst. »Aber ehrlich. Ich habe Angst vor heute Nacht. Wirklich Angst, was passieren wird.«

      Anjiara sah ihn nachdenklich an.

      Kargan sah Dunkelheit.

      Langsam wurde ein fahler Schimmer sichtbar. Er sah verschiedene Gesichter die ihn teilweise ansahen und teilweise ignorierten, die sprachen oder schwiegen. Gesichter, die sich bewegten oder starr waren.

      Er sah Barg-Sa grinsen. Dann sah er Werlands konzentriertes stummes Gesicht, das an ihm vorbei zu starren schien. Dann sah er Rukkbert, der ihn ausdruckslos mit seinem silbernen Ersatzauge anblickte. Dann sah er das bösartige Lächeln von Raul Densing.

      Dann sah er Anjiara. Ihre grün schimmernden Haare waren offen und sie lächelte ein seltsames Lächeln. Sie war nackt, und sie bewegte sich langsam auf Kargans Hüfte. Sie schloss wie in Zeitlupe ihre Augen und warf den Kopf langsam zur Seite. Sie streichelte seine Brust mit ihren schlanken blassen Händen und öffnete ihren geschwungenen Mund zu einem geräuschlosen Stöhnen.

      Kargan strich über ihre Brüste, nahm ihr Gesicht in seine Hände und fuhr ihr sanft mit den Daumen über ihre Wangenknochen. Sie öffnete langsam die Augen. Das intensive hellgrüne Strahlen ihrer Iris fixierte Kargan und schien sich in seine Seele zu bohren.

      Mit einem Mal fing ihr Körper an zu verschwimmen, ein unspürbarer Hauch vertrübte das Bild und Anjiara verschwand in Dunkelheit.

      Kargan stand auf der Korrossklippe nahe Endeavours größten Weltmeeres.

      Der Himmel bestand aus einer Mischung von gelben Schwaden auf pechschwarzem Hintergrund.

      Kargan war nackt. Der eisige Wind zerrte an seinem Körper wie eiskalte Klingen aus Flarretstahl. Kargan versuchte sich durch seine Hände zu schützen, doch die Kälte drang durch und durch.

      Er fühlte einen Sog, der ihn zur Klippe zu ziehen schien. Stolpernd setzte er sich in Bewegung. Das Tosen des Windes erzeugte einen Lärm in seinen Ohren wie ein startendes Flugzeug. Die Windböen wurden stärker und er schien hin- und hergerissen zu werden.

      Schließlich stand er an der Kante. Wenige Zentimeter vor ihm schoss der Fels senkrecht in die Tiefe und ließ die tobende Brandung des Meeres erkennen.

      Das Meer lag etwa fünfhundert Meter unter ihm. Es schien zu brodeln und zu wüten wie eine lebendige, dunkelblaue Menschenmasse.

      EINSICHT.

      Das Wort traf ihn in seinem Kopf wie ein Messerstich. Parallel dazu erfuhr er einen ruckartigen Schlag einer unsichtbaren riesigen Faust auf seinem Rücken, wodurch er über die Klippe gestoßen wurde.

      Kargan öffnete den Mund zu einem Schrei in Todesangst, doch nichts drang aus seinem Organ. Das rasende Toben des Windes und des Meerrauschens überstürzte seine Sinne in einer ansteigenden, unausweichlichen Dominanz.

      Doch Kargan stellte fest, dass er nicht fiel. Er schwebte etwa einen Meter von der Klippe entfernt starr mit ausgebreiteten Händen und offenem Mund über dem Moloch eines Meeres. Er konnte sich nicht bewegen und schien wie eine Marionette mit eisernen Fäden über den Abgrund gehalten zu werden.

      Das Tosen schien immer lauter zu werden und das Meer schien in sich in einer bizarren Bewegung zu verändern. An drei Stellen unter Kargan entstanden Schlieren im Wasser, die sich zu drei separaten Strudeln entwickelten. Die Strudel wurden zu gaffenden schwarzen Löchern, die in Dreiecksformation angeordnet waren. Die Löcher schienen immer größer zu werden und erinnerten Kargan an ein Gesicht. Das Gesicht nahm Gestalt an. Zwei der schwarzen Löcher bildeten die Augen und ein weiteres Loch einen offenen Mund.

      Kargan schien von einer Woge Angst unermesslichen Ausmaßes durchflutet zu werden.

      WERTLOSIGKEIT

      AUFLÖSUNG

      WISSEN

      Das entsetzliche Gesicht schien Kargan die Worte in seinen Kopf zu schmettern wie ein Vorschlaghammer. Die Worte waren nicht hörbar und auch nicht vernehmbar. Sie waren wie Explosionen in seinem Kopf, die sich wie eine Pistolenkugel in sein Gehirn bohrten.

      Dann fiel er.

      Das Tosen wurde unerträglich laut, der kalte Wind riss an seinem Körper wie ein eisiger Schneesturm und das schwarze Loch, das den Mund des Gesichts darstellte, rückte mit unglaublicher Geschwindigkeit näher.

      Nichts.

      Das letzte Wort schien von einer fernen Frauenstimme zu erklingen, die Kargan noch nie in seinem Leben gehört hatte.

      Kargan schoss so schnell aus seinem Stahlbett, dass er fast mit dem Kopf die Pulslampe über seinem Kissen zertrümmerte. Der Schweiß lief ihm in Strömen über seine Stirn und er keuchte so laut, dass er einen regelmäßigen leisen Ton von sich gab.

      Er konnte ohne Zweifel sagen, dass der eben geträumte Traum der schlimmste sowie der realistischste Alptraum gewesen war, den er jemals erlebt hatte.

      Er strich sich über die Stirn und blickte auf die Uhr. Es war 342 Infidelis-Zeit.

      Wertlosigkeit,