Dominik Michalke

Arym Var


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und Andragon Outrange 14 antworteten nicht. Auf den Videoaufzeichnungen hatte er auch noch nicht das Geringste entdeckt. Außer Barg-Sa, der etwa einmal pro Infidelis-Stunde einen Rundgang machte, herrschte absolute Regungslosigkeit auf allen sechs Bildern.

      Kargan warf einen Blick nach Nordwesten. Das Gorres-Massiv war nur als eine verschwommene dunkle Wand in der Ferne zu erkennen. Im Süden näherte sich der Nexus wieder dem Horizont.

      Kargan wandte sich wieder dem Kurzstreckentransceiver zu und versuchte, Werland oder Andragon Outrange 14 zu erreichen.

      Als er keinen Erfolg hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Videostreams.

      Nach einigen Infidelis-Minuten fragte sich Kargan ernsthaft, weshalb er sich all diese Aufzeichnungen ansah. Wäre ein von Sensoren nicht erfassbarer Aggressor in die Station eingedrungen, hätte er dann nicht auch etwas getan?

      Die Nacht war ruhig verlaufen, hatte Barg-Sa gesagt.

      Für Barg-Sa vielleicht, aber nicht für ihn, dachte Kargan. Ihm brannten die Augen.

      Eine Fluktuation war am Rande des dritten Bildes für einen Sekundenbruchteil zu sehen.

      Kargan sprang vor Schreck von seinem Sessel auf. Sofort ging sein Puls nach oben.

      Das Bild zeigte nichts Besonderes: Barg-Sa saß im Besprechungsraum. Die anderen fünf Bilder zeigten den Generatorraum, den Hauptgang im ersten Kellergeschoss, den Gang vor der Hauptschleuse im Erdgeschoss sowie die zwei Hauptgänge zu den Quartieren im ersten Stock.

      Kargan fasste sich langsam und setzte sich wieder in seinen Sessel. Die Erscheinung war am dritten Bild von links sichtbar gewesen, also einer der Hauptgänge zu den Quartieren.

      Kargan spulte zurück und schaltete die Abspielgeschwindigkeit von zweifach auf einfach.

      Da war es. Nur ein Bruchteil einer Sekunde.

      Dass Kargan es zum zweiten Mal sah, verhinderte nicht, dass er erneut erschrocken zusammenzuckte. Das Bild schien sich kurzzeitig zu verzerren und etwas bewegte sich vom Seitengang zum Hauptgang hin.

      Kargan schaltete Bild drei auf den gesamten Monitor. Er spulte zurück und ließ die Aufzeichnung mit null Komma einfacher Geschwindigkeit abspielen.

      Die Stelle kam. Er pausierte das Bild.

      »Scheiße«, flüsterte Kargan. Er zitterte. Das gesamte Bild schien sich an dieser Stelle verzerrt zu haben, als würde eine Oberfläche aus Wasser durch Wind zu Unruhen bewegt werden. Doch was Kargan entsetzte, war ein schemenhafter Umriss aus dem Seitengang ragend, der an einen dünnen nadelförmigen Arm mit mehreren fadenartigen Fingern erinnerte.

      Kargan betrachtete das reglose, festgehaltene Bild der Aufzeichnung. Die Urzeit zeigte 341 Infidelis-Zeit. Er schnappte nach Luft. Er konnte sich noch genau an die Anzeige der Uhr erinnern, die er nach dem Alptraum in der Nacht gehabt hatte: 342 Infidelis-Zeit.

      Was zum Teufel wird hier gespielt, dachte Kargan. Sein Puls raste. Langsam stand er auf und bewegte sich rückwärts, ohne die Augen von dem Monitorbild abzuwenden.

      Er stieß einen lauten Schrei aus, als Anjiaras Stimme ihn von unten durch die Luke beim Namen rief.

      »Kargan ... Kargan? Alles in Ordnung? Kargan, du solltest ... runterkommen. Und zwar schnell.«

      »Allerdings«, murmelte Kargan und glitt durch die Luke nach unten. Er ließ sich an den Seiten der Leiter herunterrutschen, ohne die Sprossen zu benutzen. Hätte Anjiara nicht einen Sprung nach hinten vollbracht, hätte Kargan ihr vermutlich seine Füße gegen den Kopf gestoßen, als er im ersten Stock herunterdonnerte.

      »Rukkbert und die anderen ...«, fing Anjiara an, aber Kargan hastete an ihr vorbei.

      »Wo sind sie?« schrie er, als er niemanden im Raum für Oberflächenanalyse und Geologie vorfand.

      »Sie sind unten, sie sind ...« Weiter kam Anjiara nicht, weil Kargan bereits die Treppe hinunterhastete.

      Was, wenn jetzt eine dünne Hand mit fadenartigen Fingern um die Ecke fassen würde, schoss es Kargan kurzzeitig durch den Kopf. Niemand war hier mehr sicher. Aber er schaffte es, den Gedanken zügig zu verdrängen.

      Die anderen standen im Gang vor der Hauptschleuse.

      »Hört alle zu! Ich habe etwas, das ihr unbedingt sehen müsst! Kommt alle in den Besprechungs ...« Er stockte, als er die anderen genauer ansah. Sie hatten alle Expeditionsanzüge an. Rukkbert war über einen offenen Kompaktbehälter gebeugt und brachte irgendwelche Gegenstände darin unter, die Kargan nicht erkennen konnte. »Was zum Teufel macht ihr hier? Kann mir jemand sagen was hier los ist?«

      »Deswegen wollte ich dich holen«, sagte Anjiara hinter ihm. Sie hatte auch einen Expeditionsanzug an. Barg-Sa sah betreten zur Seite. »Wir gehen und suchen Werland und das Außenteam.«

      »Was?« Kargans Stimme überschlug sich. Doch er zügelte sich und sagte: »Ich komme mit! Wir müssen hier alle weg und zwar ...«

      »Sie bleiben hier.« Rukkbert knallte den Kompaktbehälter zu.

      »Das ist nicht ihr Ernst.« Kargan flüsterte fast. Er war fassungslos. »Warum? Und warum diese spontane Aktion?«

      »Hören sie.« Rukkbert richtete sich zu seiner vollen Größe auf und stand wie ein Riese vor Kargan. »Es muss so gehandhabt werden. Einer muss in der Station bleiben, das ist Pflicht. Sie sind der Kommunikationsoffizier. Sie halten die Stellung. Sie werden den Kontakt zu uns und zu den anderen Stationen halten. Sie werden weiterhin versuchen Werland zu erreichen. Niemand von uns kann das, deswegen bleiben sie hier. Haben sie verstanden?«

      »Was soll diese Aktion? Was wollen sie erreichen? Ihr habt nicht einmal einen Crawler! Wir müssen Hilfe anfordern von der ... der RS Terranigma!«

      »Sie wissen, dass sie nach Zirkulationspfaden kursiert und erst morgen wieder erreichbar sein wird«, knurrte Rukkbert.

      »Warum müssen sie jetzt los? Es ist fast Nacht! Es wird eiskalt und ihr werdet nichts sehen! Was soll diese unüberlegte Vorgehensweise? Warum können wir nicht warten?« Ein Ton von Aggression schlug sich zu Kargans Fassungslosigkeit in der Stimme.

      Rukkbert versteinerte seine Miene als verschweige er etwas und wandte sich ab.

      Kargan fiel die Erscheinung auf der Aufzeichnung ein. »Ich kann nicht allein auf dieser Station bleiben. Hören sie mir wenigstens zu, gottverdammt. Ich habe eine Aufzeichnung des unbekannten Wesens! Sie müssen sich das ansehen! Es war in der Station!«

      Die anderen, die bislang betreten und zurückhaltend die Diskussion beobachtet hatten, starrten ihn nun fragend an. Auch Rukkbert wandte sich ihm wieder zu und starrte ihn mit seinem silbernen Ersatzauge an. »Lassen sie sehen. Schnell!«

      Die sechs Menschen hasteten in den Besprechungsraum.

      Kargan holte die Aufzeichnung der entsprechenden Kamera auf einen der Monitore und spulte zu Infidelis-Minute 340. Bei Minute 341 hielt er dem Stream gezielt an.

      Alle starrten auf den Monitor.

      »Was ist das.« Anjiara Stimme war kaum zu hören. Asruans Mund stand offen. Barg-Sa kniff seine wachsamen Augen zusammen während Rukkbert nur ausdruckslos auf den Monitor blickte. »Ich ... ich weiß nicht was das ist! Aber wir müssen jetzt los!« Er sprang ruckartig auf und bewegte sich zur Tür des Besprechungsraums.

      Kargan platzte der Kragen. »Was zum Teufel soll dieses Verhalten, Rukkbert?«, brüllte er und sprang auf. Er rannte zu Rukkbert, fasste ihn an der Schulter und riss ihn herum. »Raus damit!«

      »Wir müssen jetzt gehen! Und sie bleiben hier, das ist ein Befehl, verstanden? Sie wissen, dass ich der Teamleiter bin, seit Werland die Station verlassen hat, also nehmen sie ihre Finger von mir weg!« Beim Wort ‚Finger‘ schubste er mit einer abfälligen Bewegung Kargans Hand von seiner Schulter.

      Der Funkoffizier starrte ihn an. »Was ist das für ein Befehl? Das ist nicht ihr Befehl.«

      Rukkbert wirkte, als würde er mit sich selbst kämpfen.