Ich glaube, ich würde über sie herfallen, so sehr will ich sie. Nach diesen fünf Jahren weiß ich einfach nicht, ob es meine Abstinenz oder mein Verlangen oder meine Liebe ist, die mich treibt.«
»Ich würde sagen, dass du trotz fünf Jahren Enthaltsamkeit kein Wüstling bist, der über eine wehrlose Menschenfrau herfällt, Sentran.«
Erschrocken wirbelte er herum und blickte geradewegs in Ketus ruhige hellbraune Augen. Sentran hatte ihn nicht kommen gehört, ihn nicht gespürt, sich selbst nicht verschlossen, noch dazu laut mit sich und einem Pferd gesprochen.
»Wie hat Vitus das so treffend gesagt?: Es sind die Frauen. Sie machen uns schwach. Und wir können nichts dagegen tun. Du bist auch nur ein Mann, der seinen Geist aufgrund der Liebe zu einer Frau nicht mehr im Griff hat.« Ketu trat ein Stück näher. »Und du bist kein lüsternes Monster, Sentran. Du hast dich einfach nur verliebt.«
Ketu schien Sentrans Reaktion sehr genau zu beobachten. »Ich hatte eigentlich gar nicht vor hierherzukommen, aber als ich vor ein paar Minuten meine Schicht antrat, habe ich unbeabsichtigt deine Gefühle und Gedanken wahrgenommen.« Er sah Sentran in seiner typisch besonnenen Art an. »Ich wollte es nicht, doch es hat mich angerührt, wie sehr du verletzt worden bist und wie du über Lena denkst.«
»Danke, für dein Mitgefühl, aber das ist nicht nötig«, gab Sentran schroff zurück.
Es ärgerte ihn, dass ausgerechnet Ketu ihn erspürt hatte. Ausgerechnet der Mann, der ihm von Anfang an so argwöhnisch gegenübergetreten war, weil er in der Trauer um seinen Bruder immer noch glaubte, Sentran würde als Sistras Nachfolger dessen Andenken schaden.
»Nein, das glaube ich nicht, nicht mehr. Du schadest Sistras Andenken nicht. Niemand kann das. Du schadest nicht, ganz im Gegenteil, denn wir brauchen dich als sechsten Mann, Sentran. Dessen bin ich mir bewusst. Mein Schmerz um den Tod meines Bruders hat nichts mit dir zu tun.«
»Wie kommt es zu dem Sinneswandel?«
»Wir sind Elfen. Zwischenelfische Eindrücke und Empfindungen entstehen bei uns nun mal häufig extrem schnell und kompromisslos, im Elfentempo halt. Soll heißen, ich kann meine freundschaftlichen Gefühle für dich nicht länger verhehlen.«
Sentran lächelte, als er bemerkte, dass Ketu eher zerknirscht denn froh über diese »freundschaftlichen Gefühle« dreinschaute.
»Also gut, das freut mich natürlich, denn mir geht es nicht anders. Ein Wort noch und dann sollten wir nie mehr darüber reden, Ketu: Ich habe deinen Bruder nicht gekannt, jedoch viel Gutes über ihn gehört. Wo und wann immer sich mir dir Gelegenheit bietet, werde ich ihm Ehre erweisen. Das verspreche ich dir.«
Ketus Blick blieb verschlossen. Sentran sah trotzdem seine Freude. »Danke, Sentran. Lass mich jetzt Pan weiter versorgen und geh du zu Lena.« Ketu nahm ihm den Striegel aus der Hand. »Ach, übrigens, ich habe Lenas Emotionen deutlich wahrgenommen. Sie und auch Anna werden vielleicht böse sein, weil ich es dir erzähle. Aber, ich denke, das ist wichtig. Ich habe es gesehen, Sentran. Lena begehrt dich genauso wie du sie. Geh zu ihr und trage sie in dein Bett. Deine Schicht ist schließlich seit ein paar Minuten vorbei.«
Für einen Moment schwieg Sentran, bevor er antwortete: »Ich weiß nicht, ob ich sie in mein Bett tragen werde, doch werde ich jetzt mit ihr sprechen. Auch ich danke.«
Sobald er den Stall verlassen hatte, raste Sentran mit Elfenschnelligkeit ins Schloss und erspürte Lenas Aufenthaltsort. Ohne anzuklopfen, betrat er die Bibliothek und sah Lena geradewegs in die Augen.
»Könnte ich dich sprechen, Lena? Bitte. Unter vier Augen.«
»Tja, ich geh dann mal.« Anna huschte schmunzelnd an ihm vorbei durch die Tür und schloss sie leise hinter sich.
Er schluckte schwer, versuchte, sich zu sammeln, um die richtigen Worte zu finden. Es half ihm nicht, dass Lenas Augen sich kurzzeitig weiteten. Dieser grüne Schimmer darin verriet ihm ihre ganze Aufregung und spiegelte damit seine eigene wieder. Doch er musste einfach mit ihr reden.
»Ich bin nun mal ein Elfe«, begann er. »Ich weiß nicht, was daraus werden wird. Aber ich weiß, dass du mir sehr viel bedeutest, Lena, sehr viel. Wirklich sehr viel.«
Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu und er wich genau diese Schritte zurück.
»Lena, du musst wissen, wer, was und wie ich bin.«
Als Reaktion trat sie noch näher zu ihm. Nun konnte er nicht weiter zurückweichen, da er schon mit dem Rücken an der Tür stand.
»Du bist ein ziemlich großer Elfenmann, Sentran. Das sehe und das weiß ich. Mehr interessiert mich derzeit nicht.« Sie kam noch etwas näher. »Würdest du mich bitte noch einmal küssen, anstatt von wer, was und wie zu reden?« Jetzt stand sie so dicht vor ihm, dass sie sich berührten.
Erneut schluckte Sentran, dieses Mal so schwer und so laut, dass Lena es sehen und hören konnte. »Aber, Lena, ich … Ähm … Ich wollte eigentlich nur mit dir … Ich wollte dir nur erklären, dass …« Völlig aufgewühlt fuhr er sich mit den Händen durchs helle Haar. »Ach …« Endlich gab er sich einen Ruck. »Ach, was soll’s?«
Wie schon draußen im Park riss er sie an sich und verschmolz seine Lippen mit ihren. Seine Leidenschaft raubte Lena kurzzeitig die Sinne, sodass Sentran sie erschrocken wieder losließ.
»Nicht«, stieß sie keuchend aus. »Nicht aufhören. Bist du verrückt?«
Lächelnd nahm Sentran sie bei der Hand. »Doch, Lena, ganz kurz nur. Komm mit.«
***
Sentran brachte sie in sein Zimmer, einem spartanisch eingerichteten Raum mit einem Stuhl, einem Tisch und einem großen, breiten Bett. »Ich bin erst kurze Zeit hier. Es ist noch etwas ungemütlich«, entschuldigte er sich leise und schaute sie dabei an, als hätte er flüssiges Silber in den Augen.
Er hob ihre Hände an seine Lippen und küsste zärtlich ihre Fingerknöchel, wobei er ihr weiterhin derart tief in die Augen blickte, dass sie eine wunderbare Gänsehaut überlief. »Bist du dir sicher, Lena?«
»Nein, aber ich will es«, antwortete sie aufrichtig. »Ich halte es nicht mehr aus, Sentran. So etwas habe ich noch nie erlebt.« Seine Augen funkelten regelrecht. Lena stellte sich vor, wie sein Silber ihrem grünen Glanz begegnete
Sanft strich er ihr mit seinen Fingern durchs Haar. »So etwas habe ich auch noch nie erlebt.« Nun sah er verlegen aus. »Lena, ich kenne dich so gut wie gar nicht. Ähm, hast du schon mal …? Nimmst du irgendwas? Es tut mir leid, dass ich dich das frage, aber …«
Seine Verlegenheit milderte