Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 3


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Bach, über den sie ge­mein­sam, Hand in Hand mit Vik­tor und An­na hat­te sprin­gen müs­sen, um ins El­fen­reich zu ge­lan­gen.

      Als sie ihn dort er­blickt hat­te, war sie stock­sau­er ge­wor­den, und zwar auf An­na. Ih­re ei­ge­ne Schwes­ter hat­te ihr nichts da­von er­zählt, dass aus­ge­rech­net Sen­tran kom­men und Le­na zu sich auf den Rü­cken ei­nes rie­si­gen schwa­r­zen Pfer­des zie­hen wür­de.

      Gott, war ihr das pein­lich ge­we­sen, wie ihr das Herz bis zum Hal­se ge­schla­gen und sie vor Angst und Auf­re­gung ge­zit­tert hat­te. Be­stimmt hat­te er es be­merkt. Schließ­lich war sie ja hin­ter ihm ge­ses­sen, hat­te ihn fest um­schlin­gen müs­sen, da­mit sie nicht von dem ver­ma­le­dei­ten Pferd fiel.

      Na­tür­lich hat­te er es be­merkt! Denn als sich ihr Puls fast über­schlug, hat­te er ganz sanft ih­re Hand ge­drückt. Oh mein Gott, dem blieb wirk­lich nichts ver­bor­gen! …

      Nun hob er sie be­hut­sam von dem Pferd, das so ele­gant durch die El­fen­welt ge­glit­ten war. Er hielt sie in sei­nen Ar­men, als wä­re sie fe­der­leicht, und in ei­ner Art, die ih­rer Atem­lo­sig­keit neu­en Schwung ver­lieh. Un­ter­des­sen blieb sei­ne Mie­ne ernst und zu­rück­hal­tend, wes­halb sich Le­na aufs Neue furcht­bar är­ger­te.

      »Der tut ja ge­ra­de so, als wür­den wir uns gar nicht ken­nen«, dach­te sie miss­mu­tig.

      Noch be­vor ihr klar wur­de, dass Sen­tran ih­re Ge­dan­ken be­stimmt hat­te le­sen kön­nen, sprach er die ers­ten Wor­te seit dem letz­ten Zu­sam­men­tref­fen: »Möch­test du dir das Schloss noch ein we­nig an­schau­en oder lie­ber rein­ge­hen? Du kannst es dir aus­su­chen, ganz wie du es wünschst. Es ist viel­leicht ein biss­chen kalt zum …«

      »Le­na ist nicht kalt«, fiel An­na ihm ins Wort. »Du könn­test ei­ne Run­de mit ihr durch den Park dre­hen. Da kann sie das Schloss auch von der an­de­ren Sei­te be­wun­dern. Au­ßer­dem be­kommt sie da­mit die Ge­le­gen­heit, sich ein Bild von der Kirsch­bau­mal­lee zu ma­chen, schließ­lich wer­den wir in nicht mal zwei Mo­na­ten dort zur Hoch­zeit ent­lang­wan­deln.«

      »Wer­de ich ei­gent­lich auch noch ge­fragt?« Le­na gab ih­rer Stim­me einen ge­fähr­lich lei­sen Klang. Da­bei blitz­te sie An­na wü­tend an.

      Sen­tran ant­wor­te­te an An­nas Stel­le, ganz ru­hig, fast schon un­ter­kühlt: »Falls du dich er­in­nerst, Le­na, ich ha­be dich ge­ra­de erst ge­fragt, was du ger­ne tun möch­test. Ich woll­te dir dei­nen Wunsch er­fül­len. Doch jetzt weiß ich nicht so recht. Es ge­bie­tet wohl die Höf­lich­keit, dich nicht ein­fach hier ste­hen­zu­las­sen.«

      ***

      Vik­tor zog An­na aus der Ge­fechts­li­nie.

      »Komm, Sü­ße. Lass uns schnell rein­ge­hen, be­vor wir noch was ab­krie­gen. Das dürf­te zwar äu­ßerst in­ter­es­sant wer­den, aber viel­leicht auch ein biss­chen ge­fähr­lich, wenn zwi­schen den bei­den die Fet­zen flie­gen«, flüs­ter­te er ihr ins Ohr und schob sie wei­ter.

      Na­tür­lich hat­te Sen­tran das mit­be­kom­men. All­mäh­lich zeig­ten sich die ers­ten Ris­se in sei­ner zwar noch be­herrsch­ten, aber oh­ne­hin be­reits brö­ckeln­den Fas­sa­de.

      … Ihm war klar, dass Vi­tus ihn so­wohl auf Vik­tors als auch auf An­nas Bit­te zum Bach­sprung ge­schickt hat­ten, um Le­na ab­zu­ho­len. Als ge­hor­sa­mer Wach­mann muss­te er die­sem Be­fehl selbst­ver­ständ­lich oh­ne Wi­der­wor­te Fol­ge leis­ten, was ihm aus­ge­spro­chen schwer­ge­fal­len war. Die Vor­stel­lung, die­ses auf­re­gen­de Men­schen­mäd­chen hin­ter sich auf dem Pferd sit­zen zu ha­ben, mach­te ihm Bauch­schmer­zen.

      Schon auf der Ge­burts­tags­fei­er der Zwil­lin­ge hat­te ihn Le­n­as Nä­he ge­hö­rig ir­ri­tiert und ihm spä­ter schlaf­lo­se Näch­te be­rei­tet. Des­halb hat­te er sich fest vor­ge­nom­men, ihr aus dem We­ge zu ge­hen, so­weit es ihm ir­gend mög­lich war. …

      Jetzt war es al­so ganz an­ders ge­kom­men, was ihn wü­tend mach­te, zu­mal er Vik­tors lei­sen Spott deut­lich wahr­neh­men konn­te. Auf­ge­bracht dreh­te er sich zu An­na und Vik­tor, doch die hat­ten be­reits ihr Pferd Ari­el­la zum Stall ge­schickt und lie­fen nun ki­chernd durchs gro­ße Schloss­tor.

      Mit zor­ni­ger Mie­ne wand­te er sich wie­der Le­na zu. Aber all sein Zorn ver­rauch­te bei ih­rem An­blick: Di­cke Trä­nen kul­ler­ten ihr über die Wan­gen.

      Was war denn nun schon wie­der los? Ge­ra­de war sie doch noch so wü­tend ge­we­sen, ge­nau­so wie er.

      »Das muss am Mensch­sein lie­gen«, ent­schied er für sich. »Sie schreit, sie zit­tert, sie fällt in Ohn­macht, sie weint. – Oh, Him­mel noch­mal, sie weint!«

      Ab­so­lut un­über­legt stürz­te er auf sie zu, leg­te ihr ei­ne Hand in den Nacken und zog sie sacht zu sich her­an. Ih­rem stör­ri­schen Ver­such, sich ihm zu ent­zie­hen, gab er nicht nach und leg­te auch sei­nen an­de­ren Arm um sie.

      »Wie­so weinst du denn?«, frag­te er lei­se, dar­um be­müht, mög­lichst freund­lich zu klin­gen.

      »Ich wei­ne ja gar nicht«, schluchz­te sie.

      Er­leich­tert re­gis­trier­te er Le­n­as Ge­dan­ken, die ihn dar­über auf­klär­ten, dass sie sich dumm vor­kam, hier zu ste­hen, in sei­nen Ar­men und zu heu­len, weil ih­re Schwes­ter sie ein­fach al­lei­ne mit ihm hat­te ste­hen­las­sen.

      Er zog sie noch dich­ter an sich, beug­te sich zu ihr hin­un­ter und ver­grub sein Ge­sicht in ih­rem Haar. Sie duf­te­te wie­der so wun­der­bar wie schon bei den vor­he­ri­gen Zu­sam­men­tref­fen, nach Zi­trus, Oran­gen­blü­ten und Som­mer.

      »Gut, wenn du al­so gar nicht weinst und dich höchst­wahr­schein­lich auch gar nicht un­wohl mit mir al­lei­ne fühlst, könn­ten wir ja tat­säch­lich ein paar Schrit­te durch den Park ge­hen.«

      Er leg­te einen Fin­ger un­ter ihr Kinn, um ihr Ge­sicht an­zu­he­ben, da­mit sie ihm in die Au­gen sah. Dann strich er ihr mit dem Dau­men der an­de­ren Hand die Trä­nen fort.

      … Er woll­te nichts mehr mit Frau­en zu tun ha­ben, die sein Herz be­rühr­ten. Nie wie­der! Das hat­te er sich ge­schwo­ren, denn er war ein ge­brann­tes Kind. Au­ßer­dem schien auch Le­na nicht ge­ra­de auf der Su­che nach ei­ner neu­en Be­zie­hung zu sein. Das hat­te er schon letz­tens über­deut­lich bei ihr ge­spürt. …

      ***

      Doch sie ta­ten ge­nau das Ge­gen­teil von dem, was sie sich vor­ge­nom­men hat­ten. Sie wa­r­fen ih­re fes­ten Vor­sät­ze über Bord, trotz ih­rer ar­gen Be­den­ken. Bei­de gleich­zei­tig!

      Als ih­re Mün­der sich tra­fen, zer­barst et­was in Le­n­as Kopf und ih­re Bei­ne ga­ben nach. Aber er hielt sie fest. Sie ver­fluch­te sich da­für, dass ihr in sei­ner Nä­he schon wie­der schwind­lig wur­de, und kämpf­te mit al­ler Macht da­ge­gen an. Sie woll­te nicht auf­hö­ren mit dem, wo­mit sie ge­ra­de erst be­gon­nen hat­te. Nein, auf kei­nen Fall woll­te sie es be­en­den!

      Le­na stell­te sich auf die Ze­hen­spit­zen, schlang ih­re Ar­me um sei­nen Nacken und ver­sank in über­schäu­men­den Ge­füh­len. Schon der Be­ginn des Kus­ses hat­te sie ins Wan­ken ge­bracht, doch es wur­de im­mer fes­seln­der und er­re­gen­der.

      Ei­ner Ach­ter­bahn­fahrt gleich stürz­te Sen­tran sie einen tie­fen Ab­grund