Radieschensprossen, grünen Oliven, schwarzen Tomaten und Kräutern in einer delikaten Vinaigrette.
- Den Burgunderbraten in entsprechend fein abgestimmter Rotweinsoße mit karamellisiertem Weißweinmöhrengemüse, sautierten Pilzen im roten Schalottensud, winzig kleinen Semmelknödeln und zartgelber Butterpasta.
- Die fluffige Zitronenmousse.
- Die zartschmelzende Schokoladentarte mit flüssigem Kern.
- Den Früchtecocktail mit Sprizz zum Abschluss.
Anna verdrehte kaum merklich die Augen, als sie beobachtete, wie Wonus zufriedene Miene sich während des Essens allmählich verfinsterte. Und das, obwohl all seine exquisiten Speisen so regen Anklang fanden. Offenbar passte es ihm nicht, dass die menschlichen Dinner-Teilnehmer und auch Loana langsam, aber sicher zu schwächeln begannen.
Sie wusste ja, dass der Koch stets versuchte, Loana aufzupäppeln, weil diese seiner Meinung nach viel zu wenig aß, weswegen er sich ständig mit ihr zankte. Dass er sich allerdings auch an den Menschen samt ihren Schwierigkeiten mit den elfischen Essensmengen stören könnte, dafür brachte sie kein Verständnis auf.
Ein Blick in Viktorias Richtung ließ sie grinsen. Ketu hatte es tatsächlich geschafft, sie immer wieder auf ihren Sitz zurückzudrücken, wenn sie aufspringen und etwas holen oder zurechtrücken wollte.
So war es ein äußerst ausgiebiges, aber auch ruhiges und ausgesprochen schönes Mittagessen, obwohl insgesamt zweiundzwanzig Leute dicht gedrängt am Tisch saßen.
»Im Sommer lade ich dich hierher ein, Wonu. Da kannst du dich mal ausruhen und stattdessen Viktoria und mir beim Grillen zusehen.« Viktor schob sich genüsslich einen weiteren Löffel der Mousse in den Mund. Da der Koch ihn ratlos anstarrte, ergänzte er: »Die ganze Familie Nell hat Viktoria und mir einen riesigen Gasgrill geschenkt. Damit kann man draußen im Garten Fleisch und Gemüse braten. Das wird bestimmt super. Ich freu mich jetzt schon darauf. Vielen Dank, noch mal.«
»Ja, ähm, Dankeschön«, pflichtete Viktoria ihrem Bruder kleinlaut bei. »Vielleicht lässt Viktor mich ja auch mal an das Ding. Bis jetzt hab ich es nur aus der Ferne bewundern dürfen, so wie Viktor, Vater, Ketu, Johannes und Jens mit ihrer Fachsimpelei davor gestanden sind. Hhm.«
»Das ist doch der Sinn der ganzen Geschichte, du Dummerchen«, klärte Anna sie auf. »Wenn das Haus wieder mal von Leuten überquillt und die obendrein was zu essen brauchen, dann lässt du Viktor draußen grillen. Du kümmerst dich nur um Salat und Brot. Kein fettverspritztes Küchenchaos à la Vitus. Kein Kochstress. Alles ist gut.«
Vitus’ Miene verfinsterte sich, jedenfalls tat er so. Doch Loana hielt ihn zurück, ehe er den Mund für eine Bemerkung zu Annas Spitze aufmachen konnte.
Dafür hellte sich Viktorias Gesicht deutlich auf. »Das ist ja toll. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Deshalb hat nur Viktor diese Schürze samt alldem anderen Zeugs dazubekommen und ich das Salatbuch. Hey, das ist wirklich gut, danke!«, rief sie nun hocherfreut aus.
Nach dem Essen machten sie es sich mit Espresso im Wohnzimmer gemütlich. Nur der Koch war aus der Küche zu hören, wie er zwar lautstark, aber letzten Endes zufrieden brummend mit Töpfen, Tellern und Besteck klapperte.
Indes legte Anna schläfrig den Kopf an Viktors Schulter, während sie sich träge umblickte.
Loana war bereits zum vierten Mal auf der Toilette verschwunden.
»Sie sieht ein bisschen käsig aus. Ob sie krank ist?«
Doch da betrat Loana, ihr übliches Temperamt ausstrahlend, wieder das Wohnzimmer. Kurz darauf unterhielt sie sich mit Vitus, Theresa und Johannes über Theresas Mutter aus Ulm.
Jens fachsimpelte aufs Neue mit Ketu über den Grill, wobei Silvi Viktorias Schmuck bewunderte.
Panu hatte Bruder, Schwester und sogar seine Eltern, Estra und Isinis, dazu überreden können, in Viktors Zimmer eine Runde Playstation zu spielen.
Alle hatten Spaß, resümierte Anna. Nur Lena fühlte sich sichtlich unwohl inmitten der vielen Pärchen und der zusätzlichen Horde hünenhafter Wachelfen. Ohne Unterlass rührte sie in ihrem winzigen Espressotässchen herum. Dabei schielte sie in schöner Regelmäßigkeit zu den fünf Wachleuten, die sich, natürlich nur auf Vitus’ Geheiß, schweigend und mit verschränkten Armen auf den Esszimmerstühlen dazugesetzt hatten.
Anna konnte es gar nicht verhindern, in Lenas Gedanken einzutauchen. So erkannte sie, dass ihre Schwester angesichts dieser großen, etwas mürrischen Wachmänner zwischen Furcht, Verlegenheit und Aufregung hin- und herschwankte:
… Zuvor hatte Lena ja nur Ketu kennengelernt – und letztens Sentran. Sie erinnerte sich an das eigenartige Kribbeln im Nacken, das Sentrans Blick bei ihr verursacht hatte, als seine Silberaugen sie für einen winzigen Moment erfassten. Im Gegensatz zu den anderen war Sentran zwar hellhaarig. Doch auch er flößte ihr gehörigen Respekt ein mit seinem ernsten, attraktiven Gesicht und der enormen Größe. Besonders aber mit diesen muskulösen Armen und der breiten Brust, die sein enges schwarzes Shirt nicht zu verbergen vermochte. …
Anna registrierte, wie Lena sich Sentran gerade etwas näher besah, als dieser ihr plötzlich den Kopf zuwandte und sie mit seinen silbergrauen Augen förmlich durchbohrte. Hastig begutachtete Lena aufs Neue ihre kleine Tasse, wobei eine deutliche Röte in ihrem Gesicht aufzog.
»Arme Lena! Jetzt wird sie vor Schreck und Scham auch noch rot. Und sie weiß nicht, wie laut ihre Gedanken zurzeit sind. O je, wenn sie das alles wüsste, sie würde schreiend davonlaufen!«
Anna war natürlich nicht verwundert darüber, dass Viktor ihrer schwesterlichen Sorgen wegen feixte, obwohl sie diese gewissenhaft verborgen gehalten hatte. Er war fast immer dazu imstande, sie zu lesen. Doch als auch Sentran sie ansah und amüsiert einen Mundwinkel hochzog, konnte sie ihr Erstaunen kaum verbergen. Dieser neue sechste Mann passte wirklich gut ins Team, schoss es ihr unwillkürlich durch den Kopf, natürlich wieder einmal so schnell, dass alle, die dazu in der Lage waren, es auch mitbekamen.
»Ach, menno, ich mach jetzt einfach meine Augen zu und denke an rein gar nichts mehr. Ich bin einfach viel zu müde, um mich zu konzentrieren. Schließlich sollen die nicht ständig alles mitkriegen, was ich so denke. Wie peinlich ist das denn?«