Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 3


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Was, wenn ich ihr weh­tue, sie ver­let­ze.«

      Als hät­te auch sie die Fä­hig­keit, in sei­nen Geist ein­zu­t­au­chen, klam­mer­te sie sich an ihn und wur­de da­bei ste­tig for­dern­der. Je­de Fa­ser ih­res Kör­pers schrie nach ihm: Nicht auf­hö­ren! Bit­te nicht auf­hö­ren!

      Doch er tat es. Lang­sam lös­te er sich von ih­rem Mund und leg­te sei­ne Stirn an ih­re. Al­ler­dings hielt er sie nach wie vor fest in sei­nen Ar­men, so­dass ih­re Fü­ße ein paar Zen­ti­me­ter über dem Bo­den bau­mel­ten.

      »Nein, ich glau­be wirk­lich nicht, dass du Angst hast, mit mir al­lein zu sein, sü­ße Le­na.« Jetzt sah er ihr in die grün schim­mern­den Au­gen. »Wie schön du bist. Am liebs­ten wür­de ich dich im­mer­zu an­schau­en.« Vor­sich­tig stell­te er sie auf ih­re Fü­ße. »So klein und zart.« Er strich mit dem Fin­ger über ih­re er­rö­ten­de Wan­ge. »Dei­ne Haut, sie schim­mert. Dei­ne Au­gen, manch­mal sind sie grau und dann wie­der grün. Und dein Mund, die­ser Mund …«

      Er riss sie er­neut von den Fü­ßen und ver­schlang die­sen Mund. Ei­gent­lich hat­te er es be­en­den wol­len, doch jetzt sieg­te sein Be­geh­ren über jeg­li­che Ver­nunft. Er woll­te sich nur noch in die­sem Kuss ver­lie­ren. Mit ihr!

      ***

      »Stopp, stopp, stopp! Wo willst du denn hin?«, er­kun­dig­te sich Vik­tor, als An­na sich heim­lich aus der Schloss­kü­che zu schlei­chen ver­such­te.

      »Ich will nur mal kurz nach Le­na se­hen. Sie ist schon seit fast ei­ner Stun­de da drau­ßen, mit Sen­tran, in der Käl­te.« Has­tig wand­te sie sich ab, weil Vik­tor sie amü­siert an­grins­te. »Wir ha­ben sie ein­fach ste­hen­las­sen, Vik­tor. Das war ge­mein von uns.«

      Er lach­te auf. »Fühlst du denn nicht, dass du dir kei­ne Sor­gen zu ma­chen brauchst, du Dum­mer­chen?« An­na sah ihn fra­gend an. »Sü­ße, Sen­tran küm­mert sich um dei­ne Schwes­ter. Sehr in­ten­siv, sehr lie­be­voll und sehr stür­misch.«

      Vik­tor grins­te wei­ter­hin der­art breit und frech, dass An­na sich et­was be­ru­hig­te. »Oh, na dann, hhm«, drucks­te sie.

      »Du brauchst dir wirk­lich kei­ne Sor­gen zu ma­chen, Klei­nes. Le­na ist er­wach­sen und Sen­tran kein Wüst­ling.« Er blick­te sich de­mon­s­tra­tiv um. »Ich mach mir eher Sor­gen um mei­nen Va­ter und Lo­a­na. Wo ste­cken die bei­den bloß? Vi­tus weiß doch, dass wir hier sind.«

      ***

      »Ooh, Vi­tus, tut mir leid, es geht schon wie­der los.« Lo­a­na rann­te Rich­tung Bad und Vi­tus hin­ter­her. »Ach, Liebs­ter, nun lass mich doch bit­te al­lein. Ich …«

      Wei­ter kam sie nicht, denn sie er­brach sich zum drit­ten Mal an die­sem Tag. Sie kau­er­te vor der Toi­let­ten­schüs­sel und wur­de so hef­tig von Wür­ge­krämp­fen ge­schüt­telt, dass ihr Trä­nen die Wan­gen her­un­ter­lie­fen.

      »Lo­a­na, da kann doch gar nichts mehr zum Aus­spu­cken sein. Das gibt’s doch nicht. Was ist denn nur mit dir los?«

      »Ich glau­be, jetzt ist es gut«, keuch­te sie, wäh­rend sie wie­der auf­stand. Als sie dar­auf­hin zum Wasch­be­cken ging, fun­kel­te sie Vi­tus an. »Geh doch bit­te schon mal run­ter zu den Kin­dern. Ich mach mich nur schnell ein biss­chen frisch.«

      »Ich weiß nicht.«

      »Vi­tus, lass mich ein­fach mal al­lein, ja?« Lo­a­nas Ton­fall war deut­lich ge­reizt, wie schon so oft in letz­ter Zeit.

      Zö­gernd ging Vi­tus in Rich­tung Tür. »Bist du dir si­cher?«

      »Ja, bin ich. Ich kom­me so­fort nach.« Sie seufz­te, als sie sei­nen zwei­feln­den Blick sah. »Ganz be­stimmt, Vi­tus. Ich kom­me gleich.«

      Zu­tiefst be­un­ru­higt ver­ließ Vi­tus das Bad.

      … Bei Estra hat­ten sie noch ge­dacht, es hät­te am Obst­ler ge­le­gen. Seit­dem hat­te sich Lo­a­na je­den Tag über­ge­ben müs­sen. Mal war es hef­tig, mal et­was we­ni­ger, doch im­mer re­gel­mä­ßig. Vi­tus kam fast um vor Sor­ge. Sei­ne Ke­ned war krank. Und er konn­te nicht er­ken­nen, was ihr fehl­te. …

      Mit die­sen Ge­dan­ken be­trat er die Kü­che, wo An­na und Vik­tor am Tisch sa­ßen und ge­mein­sam an ei­ner Sup­pe löf­fel­ten. Bei­de hör­ten so­fort auf zu es­sen, als sie Vi­tus er­blick­ten.

      »Him­mel, Va­ter, was ist pas­siert?«, woll­te Vik­tor wis­sen. »Na­tür­lich ist was nicht in Ord­nung«, füg­te er rasch hin­zu, weil Vi­tus ab­weh­rend den Kopf schüt­tel­te.

      »Ist et­was mit Lo­a­na?«, hak­te An­na nach.

      »Ich weiß es nicht.« Vi­tus konn­te sei­ne Ver­zweif­lung und Be­sorg­nis nicht mehr un­ter­drü­cken. »Ihr geht es nun schon seit meh­re­ren Wo­chen so schlecht. An­dau­ernd ist ihr übel und sie kann kaum noch et­was bei sich be­hal­ten.« Er schau­te sei­nen Kin­dern in die Au­gen. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.«

      Völ­lig er­schöpft und aus­ge­laugt setz­te er sich zu ih­nen an den Tisch.

      Nach ei­ner kur­z­en Denk­pau­se lä­chel­te An­na mil­de.

      »Re­gel­mä­ßi­ge Übel­keit und Er­bre­chen? Mü­dig­keit, Kraft­lo­sig­keit? Viel­leicht hier und da auch Reiz­bar­keit? Vi­tus! Denk nach!«

      Ihr Lä­cheln ver­stör­te ihn. Er hat­te die El­len­bo­gen am Tisch auf­ge­stellt, rauf­te sich die lan­gen Haa­re, als er schlag­ar­tig in­ne­hielt und An­nas Ge­dan­ken mit sei­nen kom­bi­nier­te. Er spür­te, wie sämt­li­che Fa­r­be aus sei­nem Ge­sicht si­cker­te. Sei­ne Hän­de be­gan­nen zu zit­tern.

      Dann ließ er sei­ne El­len­bo­gen auf den Tisch sin­ken und sah An­na un­gläu­big an. »Du meinst, sie ist … Du meinst, sie be­kommt … Sie, sie ist …«

      ***

      Lo­a­na kam ge­ra­de zur Kü­che her­ein, da hör­te sie, wie Vi­tus ein, nein, das Licht auf­ging. Über­g­lü­ck­lich um­schlang sie ihn von hin­ten und flüs­ter­te ihm zärt­lich ins Ohr: »Ja, Vi­tus, ich bin es, ich be­kom­me tat­säch­lich ein Kind. Wir be­kom­men ein Ba­by.«

      Vi­tus dreh­te den Kopf zu ihr. Sei­ne Mie­ne ver­stei­ner­te sich zu ei­ner har­ten Mas­ke. Er zit­ter­te leicht und war krei­de­bleich.

      »Was ha­be ich ge­tan?« Er sprang der­art schnell auf und ging auf Lo­a­na zu, dass sie er­schro­cken zur Sei­te trat. »Es tut mir so leid.« Fah­rig fuhr er sich mit der Hand über Ge­sicht und Haar. »Das hab ich nicht ge­wollt. Was sol­len wir denn jetzt nur tun?«

      Lo­a­na brach es fast das Herz. Mit ei­ner sol­chen Re­ak­ti­on hat­te sie wahr­lich nicht ge­rech­net. Sie hat­te jah­re­lang an­ge­nom­men, kei­ne Kin­der be­kom­men zu kön­nen. Doch heu­te Mor­gen war sie sich mit ei­nem Mal über ih­ren Zu­stand klar­ge­wor­den. Heu­te Mor­gen hat­te sie end­lich er­kannt, war­um ihr an­dau­ernd so schlecht war, und sich so sehr dar­über ge­freut. Ein Ba­by! Sie und Vi­tus wür­den El­tern wer­den.

      Aber nun ver­flog all ih­re Freu­de dar­über, weil sie in Vi­tus’ Au­gen eben kei­ne sol­che Freu­de, son­dern schie­re Ver­zweif­lung sah – und Angst, pu­re Angst, eher so­gar Pa­nik. Im ers­ten Mo­ment be­griff sie über­haupt nicht, wie­so er so an­ders als er­war­tet re­a­gier­te. Mitt­ler­wei­le hat­te sie ge­glaubt, ihn trotz der Kür­ze der Zeit gut ge­nug zu ken­nen.

      Für