Torben Stamm

Die skurrile Verwandtschaft des Friedrich K.


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ignoriert meinen Wunsch aber vollkommen“, gab Bernd empört zurück.

      „Jaja, ihr seid beides Idioten“, sagte Gustav genervt. „Scheint also genetisch bedingt zu sein. Ich wusste schon immer, dass die Ärzte und Psychologen sich irren, wenn sie was über schwere Kindheiten oder so quasseln. Das würde ja auch bedeuten, dass die Kriegsgeneration komplett verkorkst sein müsste bei der Kindheit.“ Er verdrehte die Augen: „Jetzt kommt her, ich muss euch einweisen, bevor es losgeht.“

      Sie stellten sich hinter Gustav und schauten auf den Computer.

      „Wir befinden uns hier vorne auf der Straße“, begann Gustav. „Das Haus wird durch einen großen Zaun gesichert. Es gibt aber eine Pförtnerloge. Dort ist ein Zahlenschloss. Das ist kein Problem.“

      „Nein?“, fragte Friedrich.

      „Nein. Heute verbinden alle Leute ihre Home-Systeme mit dem Internet. Das sind so Idioten wie du. Das wird kein Problem sein. Von dort müsst ihr durch den Garten, einmal ums Haus. Dort ist der Kellereingang.“

      „Ich habe noch eine Frage“, unterbrach Friedrich ihn. Gustav atmete hörbar aus. Friedrich ignorierte ihn und wandte sich an seinen Opa: „Was erhoffen wir uns davon? Ich meine, ich verstehe, warum wir hier sind. Wegen des Umschlags mit dem Bild und der Staffelei. Aber was sollen wir hier finden? Die Polizei hat das Bild ja auch gesehen und ist bestimmt auch zu dem Schluss gekommen, sich das Atelier genauer anzusehen. Was sollten wir dann finden, was die nicht gefunden haben?“

      „Die Frage ist nicht mal so dumm“, stimmte Gustav ihm zu. „Ich finde deinen Plan auch dämlich, Bernd. Aber mir war langweilig, also ist es für mich in Ordnung. Für euch besteht aber ein gewisses Restrisiko, das meiner Einschätzung nach in keinem Verhältnis zum Nutzen steht, wenn ich das so höre.“

      „Das ist ganz einfach“, sagte Bernd. „Die Polizei sucht nur nach Spuren, die Friedrich oder mich irgendwie belasten. Dorfler leitet keine neutrale Ermittlung. Wir gleichen das jetzt aus, indem wir nicht einseitig Spuren suchen, die uns belasten, sondern auch Spuren akzeptieren, die uns entlasten, indem sie uns zu dem wirklichen Täter führen. Außerdem muss es ja irgendeinen Sinn haben, dass er das Foto der Polizei zuspielt.“

      „Apropos Polizei“, warf Friedrich ein. „Könnte es nicht sein, dass die Polizei das Haus hier überwachen lässt?“

      „Tut sie auch“, antwortete Gustav. „Das Haus hat zwei Zugänge. Das hier ist der hintere. Die Bullen stehen vorne an der Straße, sodass es nicht auffällt. Meinen sie zumindest.“

      Friedrich war entsetzt: „Wir brechen also in ein Haus ein, das unter Polizeischutz steht?“

      „Ja, genau.“ Bernd grinste: „Ist doch spannend, oder?“

      „Wenn die uns kriegen...“

      „Wenn die uns kriegen, haben wir absolut gar keine Ausrede, warum wir dort sind. Wir wandern direkt in Untersuchungshaft.“

      Friedrich ließ die Schultern hängen: „Gibt es keinen anderen Weg?“

      „Schiss?“, fragte Gustav schadenfroh.

      Friedrich fixierte ihn: „Nein. Ich suche nach einer Alternative, die weniger riskant ist. Das hat nichts mit Schiss, sondern mit Intelligenz zu tun.“

      „Große Worte für einen kleinen Idioten. So, und jetzt Mund halten. Ich bin noch nicht fertig.“ Damit deutete Gustav wieder auf den Bildschirm und fuhr mit seinen Instruktionen fort.

      Einbruch

      Friedrich und Bernd liefen geduckt an der Mauer entlang - oder was man in Bernds Alter „geduckt“ nennen konnte. Oder laufen. Sie erreichten das Pförtnerhäuschen. Bernd sagte: „Zentrum, bitte kommen.“

      Es rauschte, dann meldete sich Gustav: „Hier Zentrum. OB, ich mache jetzt die Tür auf.“

      „OB?“, fragte Bernd irritiert.

      „Opa Bernd.“ Bernd lächelte. OPA BERND! Das gefiel ihm. Als er merkte, dass er lächelte, schaute er schnell wieder grimmig. Allerdings fiel ihm dann ein, dass er eine Sturmhaube trug und sein Enkel nicht erkennen konnte, dass ihm die Bezeichnung ‚Opa‘ gefiel.

      Die Tür vor ihnen klickte. Bernd betätigte die Klinke und sie schwang problemlos auf.

      „Tür offen, Zentrum.“ Sie betraten das Pförtnerhäuschen. Es bestand lediglich aus einem kleinen Raum mit einem Schreibtisch, auf dem ein Telefon stand. Zwei Türen gingen ab: Eine führte zu einer kleinen Toilette, die andere war offensichtlich der Ausgang zum Garten.

      „Hier entlang“, sagte Bernd und öffnete die Tür zum Garten. Sie folgten einem Gartenweg, der von dichten Büschen und Bäumen gesäumt wurde.

      „Hier OB. Zentrum: Ist die Luft rein?“, fragte Bernd, als der Weg endete und sie einen Blick auf die Silhouette des Hauses werfen konnten: Es war eine alte, großzügig geschnittene Villa mit einer geschwungenen Auffahrt. Sie befanden sich auf der rechten Seite des Gebäudes, mussten aber leider auf die linke.

      „Hier Zentrum. Ihr müsst vorsichtig sein. Ich habe zwar nur an der Straße Polizei gesehen, aber man kann nie wissen.“

      „Woher weiß er das?“, fragte Friedrich.

      „Er hat die Kameras gehackt. Deswegen werden wir später auch nicht mehr zu sehen sein“, antwortete Bernd.

      „Aber... Er kann sowas?“

      Bernd sah seinen Enkel verständnislos an: „Warum sollte er das nicht können?“ Er wartete die Antwort erst gar nicht ab: „Nur weil er alt ist? Das ist wirklich...“

      „Schon gut, wir sollten vielleicht unsinnige Gespräche einstellen, während wir in eine Villa einbrechen“, sagte Friedrich schnell. Er wollte auf keinen Fall erwischt werden, nur weil sein Opa ihm einen Vortrag über die möglichen technischen Kompetenzen der verwitternden Generation hielt.

      Sie schlichen in einem großen Bogen um das Haus herum und erreichten die andere Seite.

      „So, das war doch ganz leicht“, sagte Bernd. „Warten Sie kurz.“ Er griff sich in die Hosentasche und holte ein Döschen hervor. Er öffnete es und nahm eine lila Pille heraus, die er sich schnell in den Mund steckte.

      „Was war das?“, fragte Friedrich.

      „Das?“, sagte Bernd. „Das war meine Tablette, damit ich pinkeln kann. Da kommen Sie auch noch hin. Es läuft nämlich nicht immer so geschmeidig wie jetzt.“

      „Du nimmst das mitten in der Nacht?“

      „Habe sie vergessen. Wegen des Gedächtnisses hatte ich auch mal ne Pille, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wo ich das Rezept hingelegt habe. Und jetzt kommen Sie endlich.“

      Friedrich schüttelte den Kopf und folgte seinem Opa, der über ein kleines Rasenstück zum Haus schlich. Als sie die Hauswand erreicht hatten, funkte Bernd Gustav an: „Zentrum: Wohin, links oder rechts?“

      „Hier Zentrum: OB nach rechts.“

      „Du brauchst dringend einen neuen Codenamen“, sagte Friedrich.

      „Warum?“

      „OB?“

      „Opa Bernd.“

      „Egal.“

      Sie schlichen die Hauswand entlang und erreichten eine kleine Tür. Auch diese war mit einem elektronischen Schloss gesichert.

      „Zentrum: Wir sind da. Bitte öffnen.“

      Es klickte. Bernd öffnete die Tür und sie betraten das Haus von Bruno Grenadier.

      Grenadier verstand offensichtlich etwas davon, sich geschmackvoll einzurichten - oder er kannte einen sagenhaft begabten Innenausstatter. Sie eilten eine Treppe hinauf. Friedrich wäre am liebsten alle fünf Meter stehen geblieben, um sich in Ruhe umzusehen, aber Bernd trieb ihn immer wieder zur