Michael Schwingenschlögl

Märchenstunde


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Für unser Volk! Für unsere Brüder und Schwestern! Wir werden das Reich unserer ewigen Königin Leila wiedererrichten! Wir kämpfen bis in den Tod!“, propagierte er.

      Damir, Fürst von Woldawa, war da natürlich anderer Meinung und so bekriegten sich zwei Männer und deren Anhänger, die eigentlich dasselbe Ziel verfolgten, nämlich die Unabhängigkeit.

      Das war leider kein Einzelfall, täglich entstanden neue Gruppierungen und bald blickte niemand mehr durch, wer nun für etwas oder gegen etwas war. Es hatte den Anschein, dass Ithrien in tausend Teile zerbrach. Koljas Kämpfer und der Widerstand der Hochelfen, hinter dem wohl die Brüder des Lichts steckten, waren die beiden größten und mächtigsten Gefahren des Kaiserreichs.

      Nur die Armee war gegen alle und ging eben gegen jeden weiterhin mit roher Gewalt vor.

      Was war eigentlich mit den Zwergen?

      Die Zwerge hielten sich da brav heraus, die hatten ja ihre eigenen Reiche und die anderen Völker interessierten sie noch nie. Sie hatten aber Angst, dass wieder jemand in ihre Berge einfallen und ihnen die Schätze rauben würde. Von daher schlossen sie ihre Tore und verbarrikadierten sich in ihren steinernen Hallen. Jene Zwerge, die in einem Dorf oder in einer Stadt lebten, wanderten wieder in eines der zahlreichen Zwergenimperien, dort konnte ihnen nichts passieren.

      Und obwohl das Chaos, der Kampf und der Hass regierten, traf man noch auf ein wenig Fröhlichkeit.

      Wir begeben uns in einen Gasthof in der Kaiserstadt und lernen nun endlich die Protagonisten der weiteren Geschichte kennen!

      Seid ihr bereit dafür? Perfekt, dann kann es ja losgehen!

      Corin, Maya, Nevin

      Wenn man sie da so sah, wie sie bei Tisch saßen, aßen, tranken, tanzten und lachten, dann hätte man kaum daran gedacht, dass es um das Land nicht gerade rosig stand. Dieses heitere Bild wirkte wie eine Oase des Friedens und der Fröhlichkeit.

      Darf ich euch bekannt machen?

      Ladies first, würde ich sagen. Im hinteren Bereich der großen Gaststube lehnte sich ein Mädchen ganz lässig gegen einen Pfeiler, flirtete mit einem hübschen, versnobten Jungen und verdrehte ihm dabei den Kopf. Nun, diese junge Dame war Maya.

      Nein, nicht wie die Biene, die Biene schreibt man ja mit „J“. Maya war Ende zwanzig, hatte wunderschöne bernsteinfarbene Haare, die sie meistens zu zwei Zöpfen geflochten hatte, ein schelmisches Lächeln im Gesicht, tiefbraune Augen, kleine Grübchen und einen kleinen hellroten Mund. Maya war ein taffes, quirliges und freches Mädchen, das immer munter durch die Welt spazierte und mit beiden Beinen im Leben stand. Sie war überhaupt nicht auf den Mund gefallen und posaunte ihre Meinung stets geradeaus heraus. Am besten gefiel mir aber immer ihr Humor, denn sie war fürchterlich sarkastisch, was nicht immer jeder gerne mochte.

      Der junge Mann an dem Tisch, vor dem ein Berg leerer Krüge stand, das war ihr Bruder, Corin. Ein richtiger Lebemann, das kann ich euch sagen. Er hatte Ähnlichkeit mit einem kalifornischen Surferboy, also blonde, zerzauste Haare, blaue Augen, in denen man sich verlieren konnte und einen athletischen Körper.

      Ja, Ladies, ihr müsst ja schließlich auch etwas zum Gucken haben, obwohl ihr ja eigentlich schon mich habt, aber lassen wir das.

      Corin war 34 Jahre alt und hatte meistens einen Blick und ein Grinsen im Gesicht, dass jedem das Herz aufging. Er hatte Ähnlichkeit mit seiner Schwester und war ein offener und fröhlicher Mensch, der immer für jeden Spaß zu haben war. Wären die beiden Geschwister nicht ein paar Jahre auseinandergelegen, dann hätte man vermuten können, dass sie Zwillinge waren.

      Und neben ihm, der schlanke, schüchterne Kerl mit den schwarzen Haaren, der still ins Leere starrte, das war der jüngste Bruder, Nevin, Mitte zwanzig. Er war das genaue Gegenteil seiner Geschwister, zurückhaltend und ruhig, aber dafür war er ein umso größerer Denker. Ein ernster Mensch, der stets nach seiner Vernunft und nie spontan handelte. Seine Schwester nannte ihn immer einen Spießer und ihr gefiel seine Ordentlichkeit und seine Introvertiertheit nicht. Daher versuchte sie immer, ihn betrunken zu machen und ihn zu Schandtaten anzustiften, was ihr aber nur sehr selten gelang.

      Der sonst so heitere Corin, wirkte aber an diesem Abend nicht ganz so heiter. Mit einem traurigen Blick starrte er die leeren Krüge vor sich an und versank dabei völlig in seinen Gedanken.

      Da stürzte sich seine Schwester von hinten auf ihn: „Du denkst schon wieder an sie, stimmt’s?“

      „Ja, heute vor 20 Jahren haben wir uns das erste Mal geküsst.“, seufzte er betrübt.

      Ui, schleicht sich da etwa gar eine Liebesgeschichte in unser Epos ein? Das wäre ja der Hammer, denn so etwas darf natürlich auch nie fehlen, aber wir wollen da nicht schon wieder zu viel verraten. Ihr werdet begeistert sein, das kann ich euch versprechen, wir lassen wirklich überhaupt nichts aus, das wird in der Tat noch grandios.

      Nun wieder zurück zu Maya: „Meine Güte, nicht das schon wieder! Vergiss sie endlich, sie ist weg und du weißt auch, dass es nicht deine Schuld war. Und ihren Vater darfst du auch keine Schuld geben, sie brauchte Abstand und er tat das Richtige.“

      „Dass sie den Kontinent verließ, stört mich ja gar nicht, mich stört nur dieses Ende. Sie wirkte so verändert zum Schluss, das war nicht mehr das Mädchen, in das ich mich verliebt habe und ich habe keine Erklärung dafür.“, murmelte Corin weiter.

      Seine Schwester schüttelte nur ihren Kopf und sprach: „Du musst nicht immer für alles eine Erklärung haben, Corin. Los, bestell dir noch einen Krug! Oder trinken wir eine Runde Heidelbeerschnaps? Ich hol welchen!“

      Ihr Bruder schien ihr gar nicht zuzuhören und taumelte weiter in seinem Liebeskummer umher: „Sie war die Liebe meines Lebens. Glaubst du, dass sie auch noch manchmal an mich denkt? Wo ist sie jetzt? Was macht sie? Wie sieht sie aus? Zehn Jahre lang habe ich sie nicht mehr gesehen.“

      Maya verdrehte ihre Augen und sagte: „Ok großer Bruder, du brauchst anscheinend wirklich einen Heidelbeerschnaps, am besten ich hole gleich eine ganze Flasche. Und Nevin! Du trinkst gefälligst auch mit, du bist ja noch stocknüchtern!“

      Diese Einladung konnte Nevin nicht abschlagen: „Gut, gut, Schwesterherz, ich trinke mit, aber nur, damit du dann endlich still bist. Und Corin, sie hat ausnahmsweise einmal recht, vergiss sie endlich, sieh dich doch um, hier gibt es einige adrette Dirnen, du musst endlich einmal eine binden.“

      „Hör mir doch auf damit.“, raunzte sein älterer Bruder.

      Nevin trank einen klitzekleinen Schluck von seinem Bier und sagte: „So, das reicht jetzt, guter Bruder! Lass uns endlich das Thema wechseln.“

      „Wahre Worte, lieber Nevin. Wir haben uns so lange nicht gesehen und Corin fällt nichts anderes ein, als über seinen ewigen Liebeskummer zu sprechen, Schluss damit!“, meinte Maya.

      „Der erste vernünftige Satz von dir, Maya. Also Corin, wie war es denn in Woldawa?“, fragte Nevin.

      Corin genehmigte sich einen etwas größeren Schluck als sein Bruder und legte los: „Über das Berufliche werde ich jetzt sicherlich nicht sprechen, das müssen wir in den nächsten Tagen ohnehin zur Genüge tun. Es war leider keine leichte Mission, aber Woldawa an sich ist malerisch. Dort herrscht eine ganz andere Stimmung als hier bei uns. Alles ist irgendwie dunkel, grau und schroff und die Leute haben dort auch einen ganz eigenen Charakter.“

      „Du bist ebenfalls noch immer ganz grau und schroff, das kann es doch nicht sein! Wie waren die Kneipen in Woldawa?“, fragte Maya.

      Corin sah sie merkwürdig an und sprach: „Glaubst du tatsächlich, dass wir Zeit für eine Sauftour hatten? Wir waren auf einer extrem wichtigen Mission. Mutter sagte früher immer, dass ich schlampig bin, aber ich glaube fast, dass du noch schlampiger bist, sonst würdest du um den Ernst unserer Reise Bescheid wissen.“

      „Ach Quatsch, du klingst schon fast wie Nevin! Es wird wohl höchste Zeit für die Flasche Heidelbeerschnaps, ich hole sie jetzt endlich.“, äußerte sich Maya stürmisch.