Michael Schwingenschlögl

Märchenstunde


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Wäsche dort nie trocken wurde.

      Wie hoch er war, willst du wissen? Schwere Frage, lass mich nachdenken. Naja ich glaube, er war so um die 350 Fuß hoch.

      Ein Wunderwerk der damaligen Architektur jedenfalls, sogar die Elfen aus den fernen Landen, die auf ihren Reisen gerne die Kaiserstadt mir ihrer Anwesenheit bereicherten, waren jedes Mal fasziniert von ihm und konnten sich einfach nicht vorstellen, dass dieses Monstrum von Menschen geschaffen wurde. Selbst die besten elfischen Architekten hätten so einen hohen Turm nicht verwirklichen können. Wie japanische Touristen begafften sie ihn, nur hatten die Elfen damals leider noch keine Fotoapparate.

      Die Rolle des Gegenspielers vom Turm der weißen Wacht, nahm der schwarze Uhmahr im Süden der Stadt ein. Beim schwarzen Uhmahr handelte es sich um den Gefängnisturm, der aus schwarzem Stein erbaut war. Obwohl Uhmahr ein Stück kleiner, als sein weißer Bruder war, war sein Antlitz genau so mächtig. Oben auf den Zinnen waren Galgen angebracht, an denen noch die Leichen baumelten und als Abschreckung für künftige Verbrechen dienten. Prävention war eben auch schon damals der beste Schutz.

      Ein bisschen südöstlicher vom schwarzen Uhmahr, stand der dritte große Turm der Stadt, der exakt dieselbe Höhe wie der dunkle Gefängnisturm hatte. Es war der Glockenturm, ein alleinstehender mächtiger Pfeiler aus Stein und Holz, dessen Glocken nur an einem einzigen Tag im Jahr erschallen durften. An einem ganz speziellen Tag, dem wichtigsten des ganzen Jahres, wir werden später mehr darüber erfahren, ihr dürft gespannt bleiben.

      Noch ein Stück weiter südlicher, fast schon am Rande der Stadt, auf einem großen, schroffen Felsen, lag die alte Kaiserfeste. Bis Quirin an die Macht kam, residierten hier die Staatsoberhäupter. Quirin wollte aber lieber etwas Geräumigeres haben und ließ eine neue erbauen. Die alte war jedenfalls ein richtiges Schmuckstück und noch sehr gut erhalten, denn in ihr lebte der Fürst der Kaiserprovinz. Sie sah wie eine Ritterburg aus dem Bilderbuch aus, so wie die aus Lego, die ihr sicher früher zu Weihnachten bekommen habt. Genau, mit Wehrgang, Falltür und Zugbrücke und dem ganzen Schnick und Schnack, richtig kitschig eben.

      Ganz im Osten lag dann die neue Kaiserfeste, die mindestens doppelt so groß, wie ihre Vorgängerin war, ihr aber in vielen Belangen sehr ähnlich sah. Weitläufige, dicke steinerne Mauern, spitze Türme in einem schlichten Grau, die Dächer in Purpur und deren Spitzen in Gold. Auch wenn das jetzt alles wie aus einem Disneyfilm klingt, die Kaiserfeste wirkte bedrohlich und monströs. All die Zinnen und Zacken und das große schwarze Tor, da wusste ein jeder, dass hier ein mächtiger Herrscher nistet.

      Der Hafen lag ebenfalls im Osten der Stadt. Dieser war der größte Binnenhafen der damaligen Zeit und für den Handel von immenser Bedeutung. Das Hafenviertel war ein äußerst entzückender Ort, all die betrunkenen Seemänner, die großen Schiffe und die vielen Lokale, die immer mit den exzellentesten Fischgerichten aufwarteten, herrlich.

      Den großen Markt will ich euch auch nicht vorenthalten. Er befand sich am westlichen Rand der Innenstadt und war eine Quelle des quirligen Großstadtlebens. Hier gab es nichts, was es nicht gab. Händler aus aller Welt schlugen ihre Stände auf und verkauften dabei die ungewöhnlichsten Sachen. Kräuter, Getränke, Tabak, Früchte, Tee, seltene Tiere, Stoffe, Drogen, Edelsteine, kein Wunsch blieb unerfüllt. Der Lärmpegel am großen Markt war selbstverständlich extrem hoch. Die ganzen Leute, die Marktschreier, die unzufriedenen Kunden, die vom Händler übers Ohr gehauen wurden und dann randalierten, Ruhe und Stille fand man hier nie. Die weiße Wacht war am riesigen Marktplatz besonders präsent. Dauernd kam es zu Raufereien zwischen den unzufriedenen Kunden und den Händlern und für die Taschendiebe war es das reinste Paradies, da durfte die Wache keinen Winkel aus den Augen verlieren.

      So, ich glaube, die Reisegruppe „Cognac“ beendet jetzt die muntere Stadtführung. Natürlich gäbe es noch mehr zu sehen wie die Donnerbrücke, das Tor der Freiheit, den Schrein von Vigdis, die Kaserne der kaiserlichen Armee und noch zahlreiche andere Wahrzeichen, an den heute wohl ein PokeStop eingerichtet wäre, aber das würde jetzt alles zu lange dauern und wir können ja später noch immer darauf zurückkommen. Seht ihr das auch so? Perfekt!

      Eine prächtige Stadt wie gesagt, aber die Stimmung in ihr war an jenen Tagen leider alles andere als prächtig. Kaiser Hieronymus war seit über einem Jahr tot und bis jetzt war noch immer kein Nachfolger gefunden.

      Wie denn auch? Es gab ja keinen. Der dicke Hieronymus war nicht nur kinderlos, er hatte auch sonst keine anderen Verwandten. Er war der letzte aus der Linie des weißen Bluts. Die einst so mächtige Herrscherfamilie war ausgestorben.

      Nicht nur einige der 13 Fürsten spitzten auf den Thron, sondern auch jeder andere Mann, der glaubte wichtig zu sein. Die Elfen, genauer gesagt die Hochelfen, waren außerdem der Meinung, dass es nun endlich einmal Zeit für einen Kaiser elfischen Blutes sei. Manche der neuen Provinzen, die früher eigenständige Königreiche waren und einst von Quirin erobert wurden, strebten nach Unabhängigkeit und wollten sich von Ithrien abspalten. Hieronymus war ein guter Kaiser, der für jeden noch so kleinen Bürger ein Ohr hatte und sorgte, dass all die alten Probleme von der Bildoberfläche verschwanden. So einen Kaiser gibt es kein zweites Mal. Was nun, wenn wieder so ein Quintus oder Jove den Thron besteigen würde? Es wäre das gleiche Elend wie früher gewesen. Speziell die Elfen hatten riesige Angst, erneut unterdrückt zu werden. In Siien und Milanth, den ehemaligen Elfenreichen, kam es als erstes zu Aufständen. Bald sprangen auch Groß Zimmen und Woldawa auf den Unabhängigkeitszug auf. Die angespannte Lage breitete sich aus, es brodelte wie in einem Suppentopf und es gab weit und breit keinen Kaiser, der den Topf vom heißen Gussofen nehmen konnte.

      Frühzeitliche Terroranschläge fanden statt, um den Ernst des Willens nach Unabhängigkeit zu unterstreichen. Häuser und Karren brannten, der rassistische Hass zwischen den Völkern kochte wieder auf.

      „Die Elfen sind schuld am Tod des Kaisers! Es war Mord! Sie wollen die Macht an sich reißen!“, riefen die Menschen.

      „Wir haben genug unter den Menschen gelitten, wir sind nur Abschaum in ihren Augen, das waren wir schon immer, obwohl wir etwas Besseres sind! Unter Hieronymus ging es uns gut, ja, aber bald wird wieder ein Rassist am Thron sitzen. Das machen wir nicht mehr länger mit! Hunderte von Jahren der Unterdrückung sind genug, viele von euch haben das noch selbst miterlebt. Setzt einen Elfen auf den Thron, oder gebt uns ein eigenes Land! Wenn nicht, dann werden wir zur Gewalt greifen!“, tönte es von den Elfen.

      Die kaiserliche Armee griff gegen alle mit eiserner Härte durch und wurde deswegen bald zum Feindbild und somit auch zum Ziel einiger Attacken. Aber was sollten sie tun? Irgendwer musste ja für Recht und Ordnung sorgen.

      Ithrien stand am Rande eines Bürgerkriegs, wenn er nicht schon längst ausgebrochen war. Elfen gegen Menschen, Elfen und Menschen gegen die Armee, Menschen gegen Menschen und Elfen gegen Elfen. Denn nicht alle Elfen waren derselben Meinung. Das ist jetzt ein bisschen kompliziert, ich weiß. Die Wald- und Dunkelelfen waren perfekt integriert, fühlten sich tief mit Ithrien verbunden und hatten kein Bedürfnis nach Eigenständigkeit, sie unterschieden kaum noch zwischen Mensch und Elf, genau wie es Hieronymus wollte. Obwohl es eigentlich nur sehr wenige Waldelfen in Ithrien gab. Es war nie ihre wirkliche Heimat, sie kamen als Wirtschaftsflüchtlinge im goldenen Zeitalter unter Hieronymus. Dunkelelfen dagegen gab es viele. Das Problem allerdings waren die Hochelfen, die sorgten für den Krawall. Die anderen Elfenarten distanzierten sich auch von ihnen. Dennoch war das vielen Menschen egal, Elf ist nun einmal Elf und so wurden auch viele unschuldige Dunkelelfen vom Hass erfasst, was denen natürlich auch nicht gerade gefiel und dadurch entstanden wieder neue Brandherde.

      Die einst so blühende Blume namens Ithrien war verwelkt.

      Der Handel stagnierte, die Unruhen wurden immer mehr, der Wohlstand floss den Yaldul hinunter, die Armut machte sich wieder breit. Die Leute schrien nach einem Anführer, der sie aus diesem Sumpf wieder herausführen würde.

      Diesen Schrei nutzten einige aus und präsentierten sich dem Volk als Heilsbringer.

      Kolja von Gorod, Ritter von Yanov, zweitmächtigster Mann in der Provinz Woldawa, war so einer. „Der Fürst ist zu schwach, er wird uns nicht in die Unabhängigkeit führen, folgt mir und ich werde euch ein Leben in Freiheit und Luxus bescheren! Wir können uns auf niemanden mehr verlassen,