Michael Schwingenschlögl

Märchenstunde


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tun? In dieser Welt ist eben viel passiert, da ist es besser, ich erwähne die essentiellen Dinge gleich am Anfang. Stellt euch vor, ich hätte euch diesen Teil erspart und würde später zum Beispiel Trym oder Jove erwähnen. Und genau du, du Bengel im Ralph Lauren Poloshirt, hättest dann keine Ahnung, von wem ich denn da rede. So kennt ihr euch einmal relativ gut aus und habt ein solides Basiswissen, darauf können wir jetzt aufbauen. Ich glaube auch, dass ich das bisher ziemlich gut gemacht habe. Ich muss mir da wohl selbst auf die Schultern klopfen.

      Naja, bevor ich mit der eigentlichen Geschichte loslege, schenke ich mir noch ein großes Gläschen ein.

      Herrlich. Ich bin schon gespannt, was jetzt noch alles passieren wird, ihr auch? Da war ja wirklich schon fast alles dabei, mein Fantasyherz schlägt von Minute zu Minute höher. Krieg, Zwerge, Elfen, ein mysteriöses Königreich, die schwarzen Falken, Tyrannen, Unterdrückung, ein friedlicher König, das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Es würde mich nicht wundern, wenn jetzt auch noch Trolle oder gar ein Greif auftaucht.

      Bitte? Ein Drache? Ja, mein Freund, wenn du dem lieben Märchenonkel die nächste Flasche Cognac spendierst, dann können wir da durchaus etwas arrangieren, denn heute lassen wir gar nichts aus, alles rein damit in unsere Geschichte.

      Lassen wir uns aber nicht weiter aufhalten, haben alle ihre Giftnudel fertig geraucht? Perfekt. Der Rotschopf in der ersten Reihe soll noch in Ruhe aushusten, dann fährt der Zug wieder ab. Einsteigen, einsteigen unsere Hauptshow beginnt!

      Das Jahr eins nach Hieronymus, wir befinden uns am südwestlichen Rand der ithrieschen Provinz Woldawa. Genauer gesagt besuchen wir jetzt ein kleines Bergdorf in den Ausläufern der Nharkofagen, dem größten Gebirge Ithriens. Die Berge hier im Vorland waren nicht mehr so hoch wie im Herzen des riesigen Gebirgszugs, um die 6000 Fuß, vielleicht auch ein bisschen höher. Maißenschlag hieß das Dorf und lag auf knapp 3000 Fuß auf einem sanften und langgestreckten Bergrücken. Es war einer der letzten Abende im Weinmond. Der Herbst war längst eingezogen und im Licht der gigantischen orangen Abendsonne, schimmerten die bunten Blätter der vielen Buchen, Eichen und Ahornbäume in den Mischwäldern dieser Gegend immer besonders romantisch. Sobald allerdings die große gelbe Kugel vom Himmel verschwand und der Mond sein liebliches Antlitz zeigte, hing in den Herbstmonaten immer ein dichter Nebel in der Landschaft. Die Temperaturen waren auch bei weitem nicht mehr so angenehm wie noch ein paar Wochen davor und in den Nächten fiel schon der erste Schnee auf den Berggipfeln, der im blassen Schein des Herbstmonds silbern glitzerte.

      Irgendwo im Hintergrund schrie eine Eule ganz aufgeregt.

      Ein sehr stimmiges Bild, aber wir wollen uns nicht mehr länger mit der Fauna und Flora beschäftigen und betreten die Taverne, das Herzstück des Dorfes. Die Taverne war eigentlich in jedem Dorf das Herzstück, das ist ja heute auch noch immer so. Ein schrulliges Häuschen aus dunklem Walnussholz und einem großen steinernen Schornstein. Schon beim Öffnen der Tür kam einem eine zarte Duftwolke aus Alkohol, Tabak und Schweinefett entgegen. Drinnen war es so verraucht, dass man nicht einmal den Nachbartisch sehen konnte. Das erinnert jetzt sicher manche von euch an ein versifftes Beisl in Simmering, der Vergleich trifft es auch wahrscheinlich ziemlich gut. Nur war in der Spelunke in unserem Bergdorf die Einrichtung schöner. Alles war aus Zirbenholz, an den Wänden hingen einige Jagdtrophäen und ein großes Bärenfell diente als Teppich. Diffuses Licht, nur ein paar Kerzen an den Wandhalterungen flackerten, die Flamme im offenen Kamin war zur dieser Stunde schon sehr klein.

      Wir begeben uns zu einem Tisch. Ein paar urige, alte Männer in einfachen Lumpen saßen da, tranken Krüge voller Bier und Met, rauchten ihre Pfeifen und versuchten sich vom langen, harten Tag am Feld, in der Schmiede oder im Sägewerk zu entspannen und ihren Feierabend zu genießen. Mit tiefen, rauchigen Stimmen unterhielten sie sich über das aktuelle Geschehen vor ihrer Tür.

      „Habt ihr gehört? In den Städten soll es wieder zu Unruhen gekommen sein. Immer öfters passiert das in letzter Zeit. Wir brauchen wieder einen Kaiser, schon über ein Jahr ist’s her, dass der alte Hieronymus ins Gras gebissen hat und noch immer sitzt kein Nachfolger am Thron.“, sprach einer, während er an seiner langen Pfeife zog. Jerolf hieß er, war gut gebaut, hatte einen dicken grauen Vollbart und eine große, runde Nase.

      „Ach, was kümmern uns die Städte und der Kaiser? Mich interessiert nur wie viel Holz mein Knecht sägen kann und ob mir meine alte Lisbeth in diesem Leben noch einmal einen Hackbraten kocht! Seit Jahren gibt es das bei uns nicht mehr, nur Kartoffeln und Hühnchen, Kartoffeln und Hühnchen, was soll denn das für ein Essen sein?“, antwortete Thorger, ein klappriger Greis.

      „Mich plagen auch ganz andere Sorgen. Etwas Merkwürdiges geht in diesen Landen um. Als ich vor ein paar Tagen oben im Fichtenwald war und ein paar Morcheln sammelte, sah ich, dass Riesen in der Nähe des Rabenfelsen ihr Lager aufschlugen. Die Riesen gehen nie soweit rauf ins Gebirge, die leben sonst immer nur unten in den kahlen Einöden der Täler.“, meinte der alte Jaromir und heizte sich seine Pfeife neu an.

      Prompt meldete sich der bärtige und leicht übergewichtige Ragnar zu Wort: „Das ist doch Unfug, was hätten denn Riesen so hoch oben verloren? Etwa dir deine Morcheln wegpflücken?“

      „Nein Ragnar, ich weiß, was ich gesehen habe, und das ist nicht das einzig Seltsame hier. Harald der Schuster hat mir erst vor kurzem erzählt, dass ein paar Trolle den Karren seines Knechtes überfallen haben, als dieser gerade am Weg nach Buckelstett war. In unserer Gegend wurden seit über hundert Jahren keine Trolle mehr gesichtet, die leben alle in den Sümpfen im Westen, in den südlicheren Bergen oder ganz im Nordosten. Irgendetwas stimmt da ganz und gar nicht.“, war Jaromir besorgt.

      „Ach bitte Jaromir, Harald fantasiert doch nur. Bei uns hier gibt es keine Trolle, das war vermutlich nur ein Bär und der alte Dampfplauderer hat die Geschichte ein wenig ausgebaut, das tut er doch immer.“, Ragnar zweifelte weiterhin an Jaromirs Geschichten.

      „Ich glaube ihm!“, brachte sich Jerolf ein und fuhr fort: „Es stimmt schon, merkwürdige Dinge gehen vor sich. Aksel hat mir erzählt, dass er letztens oben in den Bergen ein paar Schneehirsche gejagt hat und als er an der alten Nordwacht vorbeikam, hat er dort Schreie gehört. Er schlich sich dann vorsichtig im Unterholz an und sah dort drinnen einen schwarzen Magier. Es war kein netter Anblick, sagte er.“

      „Jetzt fang nicht du auch noch damit an. Die alte Nordwacht ist seit ewigen Zeiten verlassen. Als ich noch ein junger Spund war, war das schon eine Ruine. Ein schwarzer Magier, das wird ja immer besser. Das waren vermutlich nur ein paar Lausbuben, die dort Räuber und Hofwache gespielt haben. Die Bengel schreien doch immer bei ihren Spielchen. Oder ein junges Liebespaar, das sich zum Ficken einen entlegenen Ort gesucht hat und dabei etwas lauter wurde. Du kennst doch Aksel und seine Jägerbande, die Jäger saufen auf der Jagd doch nur Brombeerschnaps und schießen dann lustig ein paar Pfeile durch die Luft. Mit dem Rausch, den die dort immer haben, würde ich auch so einiges sehen, das kannst du mir glauben.“, Ragnar hielt die Geschichten der anderen nur für heiße Luft.

      Thorger machte einen großen Schluck Bier aus seinem Krug und meldete sich zu Wort: „Du musst einmal weiter als bis zu deinem Ochsen blicken, Ragnar. Dann hättest du schon längst bemerkt, dass da draußen etwas nicht in Ordnung ist. Der Winter steht schon vor der Tür, ein Monat früher als sonst und die Gestalten in den Wäldern werden immer mehr! Drüben beim grünen Weiher soll sich sogar eine Hexe rumtreiben. Vielleicht sollten wir dem Waldschrat heuer das Winteropfer schon ein paar Wochen früher bringen.“

      Ragnar klopfte mit der linken Faust auf den Tisch, dass die Krüge nur so wackelten: „Ach, das hat doch mit dem Waldschrat nichts tun! Der bekommt sein Winteropfer zur Sonnenwende, so wie immer. Das würde euch Wirrköpfen so passen, wenn wir da einfach unsere alten Bräuche ändern, nur weil ein paar Spinner den Wachholderbrand nicht vertragen und sich Gruselgeschichten ausdenken.“

      Da stieg jetzt auch der stille Gunther in den spannenden Diskurs ein: „Jaja, meine Hilde wurde von einem Waldteufel verhext, die ist jetzt ganz verrückt im Kopf! Und dass sich in der alten Nordwacht ein schwarzer Magier herumtreibt, das glaube ich sofort!“

      Ragnar wurde laut: „Deine Hilde war schon immer eine verrückte Schreckschraube, jeder im Dorf weiß das! Und was soll das mit der Nordwacht? Habe ich