Michael Schwingenschlögl

Märchenstunde


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von Siien und Anra, ich verhafte Euch auf Befehl des neuen Kaisers! Euch wird geplanter Kaisermord und Hochverrat vorgeworfen! Ihr habt kein Recht auf einen Anwalt, denn so etwas gibt es in unserem Zeitalter noch nicht, noch habt Ihr keine anderen Rechte. Nur der Kaiser selbst kann über Euer Schicksal entscheiden. Dies wird er am fünften Tage des Siebenmonds tun.

      Los, sperrt den dreckigen Verräter und sein folgsames Gesindel bis dahin ins kaiserliche Verließ!“

      Huch, das hat aber gesessen!

      Am fünften Siebenmond war es dann so weit. Mittlerweile war Quintus der neue Kaiser und die ganze Kaiserstadt sehnte sich der öffentlichen Hinrichtung von Trym und seinen Männern entgegen. „Endlich spritzt wieder einmal ordentlich das Blut am Diamantenplatz! Heureka!“, rief der Pöbel schon einige Tage zuvor.

      Aber es kam ganz anders als erwartet. Quintus wurde seiner Rolle als geistesgestörter und unberechenbarer Herrscher, wieder einmal gerecht. Am Morgen ihres Schicksalstages öffneten die Wachen die Gefängnistür der Gefangenen. Eine dicke schrullige Gestalt hob ihren Kopf und krächzte in rauchiger Stimme: „Planänderung! Kaiser Quintus will seine wertvolle Zeit nicht mit so Maden wie euch vergeuden und stattdessen saufen und ein paar Krähen fressen. Ich weiß schon, dass ihr alle von ihm eine ergreifende Ansprache erwartet habt, wie: ‚Trym, Ihr wart der beste Krieger meines Vaters und jetzt fällt Ihr mir in den Rücken…blablablabla.‘ Aber ich muss Euch enttäuschen, Trym, Freiherr von Siien und Anra. Diesen Titel trägt Ihr übrigens auch nicht mehr, Ihr seid entmachtet! Ebenfalls erwartet ihr alle jetzt sicherlich die Todesstrafe, aber auch hier muss ich euch alle erneut enttäuschen. Der Kaiser ist der Ansicht, dass ihr mit eurem erbärmlichen Dasein schon genug gestraft seid. Ihr werdet verbannt! Auf Lebzeiten dürft ihr das Großkaiserreich Ithrien nicht mehr betreten. Außerdem wird euer kleiner Töpferverein, oder was die schwarzen Falken auch immer waren, verboten. Jeder, der ab dem heutigen Tage mit diesem Symbol gesichtet wird, wird hingerichtet. Ihr werdet nun alle in eine Kutsche gebracht, die euch in den nächsten Tagen an die Grenzen des Reichs bringen wird. Dort werden euch die Fesseln abgenommen und ihr könnt gehen, jedoch nie wieder in dieses Land. Sonst seid ihr nämlich wirklich tot und eure Familien werden vom Kaiser höchstpersönlich gerädert.

      Wachen! Bringt diesen Abschaum in die Kutsche, mir wird schon bei ihrem Anblick schlecht, diese elendigen Maden.“

      Damit rechnete jetzt keiner, oder? Ich bin jedenfalls sehr überrascht.

      Trym und seinen Männern erging es ähnlich.

      Nach unzähligen Tagen kam die Kutsche mit den Gefangenen ganz im Süden des ehemaligen Elfenreichs Yalfyr an. Sie fuhren noch ein Stück über die Grenze und als Ithrien schon einige Meilen hinter ihnen lag, luden sie die schwarzen Falken ab und entledigten sie ihrer Fesseln.

      „Gehet nun und kommt nie wieder!“

      Vor ihnen lag nun die karge Öde, eine Kaltsteppe, ein Niemandsland, das so karg und öd war, dass nicht einmal Quirin daran Interesse hatte. Und hinter dieser trostlosen und flachen Landschaft, ganz am Ende des Horizonts, ragten schon die ersten Gipfel des namenlosen Gebirges in den roten Abendhimmel. Ein rätselhafter und mystischer Ort von dem es viele Legenden gab, aber niemand wusste etwas Genaueres darüber, denn es gab niemanden auf dieser Welt, der das namenlose Gebirge jemals davor betreten hatte.

      Dieser gigantische Gebirgszug war eine senkrechte und eisige Welt, faszinierend und angsteinflößend zugleich.

      Ein kleiner Geographieexkurs. Auch hier gibt es wieder keine Prüfung, heute ist wohl euer Glückstag!

      Das namenlose Gebirge war das größte und höchste Gebirge auf diesem Planeten. Seine Dimension war unbeschreiblich und die Höhen der Berge kaum schätzbar. Von der kargen Öde aus, erstreckte es sich hunderte von Meilen gen Süden bis zu den Landen des Südens und die Ost-West Dehnung war fast doppelt so lange.

      Landschaftlich erinnerte es stark an den Karakorum in unserer Welt, nur war es um ein Vielfaches größer und die Berge waren dort mit Sicherheit noch höher. Die Täler wirkten wie kahle Wüsten aus Stein, Eis und Staub und die Gipfel aus schwarzem Stein, ewigen Eis und Schnee schienen den Himmel erst in der Unendlichkeit zu berühren. Einsam, entlegen, kalt, trostlos, bizarr, totenstill, gottverlassen und von unfassbarer Größe, mehr wusste kaum jemand von diesem Ort. Viele Lebewesen fürchteten die namenlosen Berge, einzig ein paar Wanderer und Reisende zog der Entdeckungsdrang zu diesem Gebirge hin, aber keiner wagte es je, das Gebirge zu betreten. Schon beim Anblick der gigantischen Felshänge und schroffen Bergspitzen erstarrte jeder vor Demut. Man hatte das Gefühl, dass die Berge einem erdrücken und ersticken würden. Wie angewurzelt stand man da, nichts konnte man mehr bewegen, keinen Finger und keine Zehe. Der Atem stockte und das Herz stand still. Man kam sich winzig klein vor, so klein, dass man die Augen schließen musste. Hier wurde einem klar, dass der Mensch ein nicht erwähnenswerter Punkt in der endlosen Dimension der brachialen Natur war. Das Gefühl, das man alleine beim Betrachten bekam, konnte man mit keinen Worten in irgendeiner Sprache beschreiben. Von dieser majestätischen Schönheit der Berge völlig emotional ergriffen und dem sanften aber bitterkalten Wind im Gesicht, entschloss sich jeder Entdecker zur Umkehr. Manch einer brach in Tränen aus, so überwältigt war er von dieser Naturgewalt. Die höchsten Berge der Welt hinterließen bei jedem Betrachter einen imposanten und bleibenden Eindruck. Selbst Jahre danach träumte man jede Nacht von diesem Bild.

      Die große ithriesche Entdeckerin und Pionierin Klara von Thalenburg beschrieb das namenlose Gebirge in ihrem Werk aus dem Jahre 2, im Zeitalter des Sturms, folgendermaßen: „Fünf Jahre ist es nun her, dass ich die Berge zum ersten Mal erspähte. Fünf Jahre sind vergangen und noch immer rauben mir die Bilder den Schlaf. Manchmal wache ich auf und ich fühle mich wie damals. Ich kann es noch immer spüren. Ich spüre, wie der alleinige Anblick des kolossalen Walls meine Seele unterjocht, wie die gigantischen Wände mich erdrücken, wie die klirrendkalte Ausstrahlung der Gipfel mein Blut gefrieren lässt. Ich kann nicht atmen, ich kann mich nicht bewegen, ich habe Angst, große Angst. Dabei stand ich nur an deren Füßen, wie muss das Bild erst im Herzen der Berge sein? Wie weit reichen diese Berge? Wie hoch strecken sie sich empor? Für diese Größen gibt es keine Maße. Seit fünf Jahren verfolgt und plagt mich das Gebirge, jeden Tag und jede Nacht. Und trotz all der Furcht und Demut, zieht mich der Drang erneut hin. Ich muss diese brachiale Gewalt, diese Urform der Natur, erneut sehen, ich muss, ich kann nicht anders, all meine Gedanken sind auf diese Berge gerichtet. Nur betreten kann ich sie nicht, kein Lebewesen wird diesen namenlosen Ort jemals betreten können. Das Gebirge ist ein Bollwerk, dass allein durch sein Antlitz niemanden in sich hineinlässt. Ich bin stark gezeichnet, ich zittere, ich muss es noch einmal sehen.“

      Trym und seinen Mannen muss es ähnlich ergangen sein, aber sie wagten das Undenkbare und betraten das namenlose Gebirge.

      Ein verwaister Hirtenjunge, der sich einst in der kargen Öde verirrte, erzählte mir bei einem gemütlichen Plausch, dass er die schwarzen Falken damals beim Betreten des Gebirges erblickte. Im dämmrigen Abendlicht sah er, wie die Männer in den unendlichen Schatten der Berge für alle Zeiten verschwanden.

      Die Jahre zogen dahin und als Trym in Ithrien längst vergessen und mittlerweile vermutlich schon lange tot war, gingen wieder neue mysteriöse Geschichten über das namenlose Gebirge umher. Ein namenloser König habe sich dort niedergelassen. Ein König, der laut den Legenden, mit einem Schlag die Königreiche des Südens auslöschte. Angeblich besiegte er sogar Khyrius, den Göttervogel, mit bloßen Händen und nahm ihn gefangen. Dämonen aus einer alten Zeit würden dort in den Bergen hausen und dem rätselhaften König dienen. Der König sei mächtiger, als es Quirin jemals war. Viel mächtiger, er wolle die ganze Welt verschlingen.

      „Ammenmärchen! Schauergeschichten! Alles nur Märchen, damit die Kinder Angst bekommen. Niemand lebt in diesen Bergen, nicht einmal ein Drache!“, so hieß es.

      Von neuen Kaisern und neuen Freunden

      Aber Mal genug davon, wie ging es eigentlich Quintus?

      Schlecht ging es ihm, denn nur drei Jahre nachdem er den Ebenholzthron in der Kaiserfeste bestieg, wurde er ermordetet. Im Schlaf erdolcht, der arme Kerl. Das war vermutlich besser so, denn Ithrien ging es unter ihm überraschenderweise elendig. Die Elfen und Zwerge wurden