K.P. Hand

Das Gold der Felder


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den Ellenbogen und ließ die Muskeln spielen. »Seht Ihr, Capitaine? Langsam werden sie kräftig.«

      Brix kämpfte mit einem belustigten Schmunzeln und zog eine Augenbraue recht arrogant nach oben. »Jetzt müsste der Sergent nur noch damit umgehen können …«

      Gérard sah ihn schockiert an. Brix lachte vergnügt. Knurrend stieß Gérard ihm die Schulter gegen die Brust, woraufhin der Capitaine dunkel kichernd auf den Rücken rollte. Doch er schlang dabei die Arme um Gérard, zog ihn mit sich und versuchte, ihn ruhig zu stellen, während Gérard sich mit aller Kraft gegen ihn wehrte, austrat und mit den Ellenbogen auf dessen Rippen zielte. Sie lachten und kämpften wie kleine Jungen.

      Es war seltsam. Das Rangeln erinnerte Gérard auf schmerzliche Weise an seinen Vater, der vor Jahren in den Krieg gegen die Habsburger gezogen und nie zurückgekommen war. Niemand wusste, was mit ihm geschah, er blieb wie viele andere Soldaten verschollen. Seitdem lebten Gérard und seine Mutter allein.

      Brix gewann natürlich die Oberhand. Er hatte die Arme und Beine um Gérard geschlungen und hielt ihn fest, so unbeweglich wie eine Statue aus hartem Stein.

      Seufzend ergab sich Gérard, doch der Laut klang ganz und gar nicht frustriert, sondern vielmehr entspannt und … glücklich. Er legte den Hinterkopf an Brix` Schulter und starrte gen Himmel.

      »Glaubt Ihr, sie schicken Euch irgendwann wieder in den Krieg?«, fragte er Brix nach einer Weile.

      Brix seufzte. »Wenn ich Glück hab.«

      »Wieso wollt Ihr so unbedingt kämpfen?«

      »Wieso willst du es?«

      Darüber dachte Gérard wieder einen momentlang nach, ehe er hilflos gestand: »Vielleicht um mir selbst zu beweisen, dass ich es kann.« Um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, damit dieser stolz auf ihn war.

      Brix nickte langsam und stimmte leise zu: »Genau wie ich.«

      Im Rücken spürte Gérard Brix` muskulösen Bauch und Brust, während die warme Hand des Capitaine sich auf seinen Bauch legte und ihn festhielt. Gérard glaubte zu spüren, wie sie ihn sanft streichelte. Sein Steißbein wurde plötzlich von etwas Hartem angestupst. Unwillkürlich presste er die Beine gegen Brix` Schenkel, die ihn umschlossen, und rieb sich zögernd an ihnen.

      Ihm wurde augenblicklich seltsam warm, überall auf und in seinem Körper. Er schloss die Augen und leckte sich fahrig über die Lippen. Sein Atem bebte.

      »Zeit, zu gehen«, beschloss Brix jäh und warf Gérard von sich runter.

      Von jetzt auf gleich war er wieder der autoritäre Capitaine.

      ***

      Am Nachmittag war Gérard darauf aus, Brix zu beweisen, dass er die neue Stärke in seinen Armen durchaus zu nutzen wusste. Das Duell war längst nicht mehr so einseitig wie zu Anfang und das brachte sie beide zum Lächeln.

      »Gut«, lobte Brix ihn immer wieder. Doch er hing jedes Mal eine strenge Bemerkung hinten ran, wie zum Beispiel: »Aber achte auf deine linke Flanke. Sie ist deine Schwachstelle.«

      Das war wahr, denn Gérard hielt sein kurzes Schwert ja in der rechten Hand, und ohne einen Schild fiel es ihm schwer, seine ungedeckte Seite zu schützen. Und genau jene griff Brix immer wieder an, wenn Gérard nicht damit rechnete. Blaue Flecke und leichte Schnittwunden übersäten bald Gérards linke Körperseite, von der Schulter und über die Rippen bis zum Arm.

      Der Capitaine war stets gnadenlos. Und allmählich bekam Gérard das Gefühl, dass seine durchaus leicht vorhandene Quällust während der Lehrstunden aus seiner Langeweile geboren worden war. Brix war es immerhin gewohnt, in großen Schlachten zu kämpfen.

      Wie viele Monate oder gar Jahre hatte er wohl keinen echten Kampf mehr ausgetragen, weil er genesen musste?

      Zu viele, offensichtlich. Er war ein Mann im besten Alter, und saß hier herum wie ein aus dem Dienst entlassener Veteran, der seinen Ruhestand genießen sollte. Wie ein Gaul, das für den Abdecker zu wertvoll war.

      Gérard beschwerte sich mittlerweile auch nicht mehr, was zum Teil an den vielen Tagesanbrüchen lag, die sie gemeinsam am Bach verbrachten. Er genoss es geradezu, mit Brix zu kämpfen, er wusste ja, dass er nichts allzu Schlimmes zu befürchten hatte.

      Und er lernte, wenn auch für Brix` Geschmack zu langsam.

      Mit wuchtigen Schlägen trieb Gérard Brix über den Übungsplatz. Der Capitaine wich gewohnt leichtfüßig zurück, während er die Hiebe abblockte, jedoch stand zum ersten Mal echte Konzentration auf seinem schönen Gesicht. Seine Stirn schwitzte und seine dunklen Strähnen, die sich aus seinem unordentlichen Zopf gelöst hatten, klebten auf seiner Haut fest; er sah nie anziehender aus.

      Schließlich parierte er Gérards von oben nach unten geführten Schlag, blieb stehen, indem er den rechten Fuß nach hinten ausstellte und die Ferse in den Boden stemmte. Er zog Gérard an sich heran, bis sich ihre Körper trafen, und drückte sein Gewicht auf seine Waffe.

      Sie befanden sich in einem Patt. Keiner kam mehr vorwärts.

      Ihre Gesichter begegneten sich zwischen ihren gekreuzten Klingen, Schweiß glänzte auf ihren Oberlippen, ihre Nasenflügel bebten, weil sie beide angestrengt atmeten.

      Brix schmunzelte schief: »Das war hervorragend, Sergent!«

      »Danke, Capitaine.« Gérard äffte Brix anmaßenden Tonfall nach, dann grinste er breit.

      Der Capitaine verengte auf eine Art die Augen, als wüsste er nicht, ob er Gérard rügen oder ihm in die Wange kneifen sollte.

      Gérard starrte ihm auf die Lippen, die ihm plötzlich so nahe waren, dass er sie beinahe schon an seinem Mund spüren konnte.

      Oder handelte sich dabei nur um Brix` warmen Atem?

      »Capitaine!«

      Die fremde Stimme ließ sie umgehend auseinanderfahren, beide gleichermaßen erschrocken, als hätten sie etwas Unerhörtes getan. Dabei konnte niemand außer ihnen ahnen, wie aufgeladen die Luft um sie herum gewesen war, fast so wie vor einem stürmischen Gewitter.

      Nein, das hatten nur sie gespürt.

      »Ja?« Der Capitaine sah dem Fremden mit gerunzelter Stirn entgegen. Es war ein Meldegänger der Armee, er kam mit neuen Anweisungen, und natürlich um Brix` eigene Berichte mitzunehmen.

      Der Capitaine verschwand und Gérard blieb wie üblich allein zurück. Allein mit einer geballten Feuerfaust im Magen, die ihm die Eingeweide verbrannte.

      ***

      Es geschah am Morgen drei Tagesanbrüche nach jenem Nachmittag.

      Gérard hatte Brix seitdem kaum mehr gesehen. Die Armee schickte Lieferungen, die organisiert werden mussten, einige Soldaten wurden abgezogen, andere wurden geschickt. Es gab vieles zu ordnen, und Brix und Gérard hatten viel zu tun.

      Aber davon abgesehen, kam Brix auch nach diesem Nachmittag nicht mehr zum Bach runter und verhielt sich bei den Lehrstunden wieder sehr distanziert, als hätte Gérard ihm irgendetwas angetan, dass ihn wütend auf ihn gemacht hätte.

      Brix schien unglücklich zu sein, doch Gérard konnte sich nicht erklären, warum. Dennoch ging er bei jedem Sonnenaufgang runter zum Bach, watete durch das eiskalte Wasser und legte sich dann in die Wiese am Ufer. Er lauschte dem Surren der Bienen, die ihn umkreisten wie eine Blüte, die zur Bestäubung bereit war. Die Schatten der Bäume wanderten über seine schlanken Muskeln, während der Morgen gemächlich dahinglitt. Er blickte so lange in den wolkenlosen Himmel und kaute nachdenklich auf seiner Wange, bis die Sonne am höchsten Punkt stand und er sich lieber spät als nie seinen Pflichten widmete.

      Und die ganze Zeit über wurde das sehnsüchtige Brennen in seinem Inneren stärker und stärker, beinahe unerträglich auszuhalten. Seit Brix ihn berührt hatte, war es sogar noch schlimmer geworden. Er wusste jetzt, wie wundervoll prickelnd es sich anfühlte, und brauchte unbedingt mehr davon.

      Doch Brix` abweisende Art ließ Gérard zurückschrecken.