Ina van Lind

Die versteckte Welt


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wie Kohle, die linke, vordere Pfote und die Schwanzspitze ebenso. Und Schoko, der kniehohe Labradormischling mit kakaobraunem Fell und einem hellen Fleck auf der Brust.

      Aber auch ohne die beiden Fellträger war Oma Luise die Beste.

      Kaum hatte Mama die Haustüre hinter sich zugezogen, spazierte schon Nele in Rikes Zimmer, blieb vor dem Nachttischchen stehen und blätterte im Farbenbuch.

      „Kann ich mir das hier mal ausleihen? Ich könnte es gut für Kunst gebrauchen. Da machen wir nämlich zurzeit …“

      „Nein“, knurrte Rike und Nele verstummte augenblicklich.

      Kapitel 3: Das Margeritenmädchen

      Rike stand am Fenster. In dem alten, winterlich kahlen Kirschbaum im Garten konnte sie einen Raben ausmachen, der unentwegt zu ihr herübersah. Zumindest erweckte er den Anschein, genau das zu tun. Ein Rabe als Spion. Blödsinn! Sah sie nun schon am helllichten Tag Gespenster?

      Eine Stunde später, nach einem Riesenschnitzel mit Pommes Frites, lag Rike faul auf dem Sofa, doch Papa machte dem ganzen einen Strich durch die Rechnung. „Wer solch fette Fritten isst, bald mehr an Bauch und Hintern misst. Darum machen wir jetzt einen Spaziergang und der wird ziemlich lang.“

      Rike verkniff sich ein Grinsen, versuchte aber trotzdem mit fadenscheinigen Ausreden ein Daheimbleiben zu erreichen. Doch Papa ließ sich nicht erweichen. Auch Mama musste mit, obwohl sie sich noch viel heftiger als Rike dagegen wehrte.

      „Halt, wartet auf mich, ich hole nur noch schnell meinen Rucksack!“, rief Nele. Ohne ihren Überlebensrucksack, wie Papa ihn nannte, ging Nele nicht aus dem Haus. In ihm transportierte sie ausnahmslos lebenswichtige Sachen, wie ein altes Universal-Klapptaschenmesser, das sie von Opa hatte, einen Block und Buntstifte, eine Taschenlampe, Kekse, eine Schnur, eine Trillerpfeife, ein Fernglas, Haargummis, Taschentücher …, nun ja, eben alles, was in einen Überlebensrucksack hineingehörte.

      Der Kinderwanderweg war an diesem grauen Novembertag einsam und verlassen. Trotzdem stritten sich Rike und Nele an den Mitmach-Stationen darum, wer als Erste dran war.

      „Das nächste Mal darf aber dann ich“, nörgelte Rike.

      „Seht mal, da vorne ist jemand!“, rief Nele.

      „Na und.“

      „Aber guckt mal wie die aussieht!“

      Eine Frau stand etwa hundert Meter von ihnen entfernt.

      „Uih, ist denn schon wieder Fasching?“, lästerte Papa. Mama stieß ihn unauffällig in die Seite. „Also Klaus, bitte!“

      Nun starrte auch Rike die Frau an.

      „Die sieht aber seltsam aus, oder?“, nuschelte Nele.

      „Wie eine, eine …“ Rike suchte nach dem richtigen Wort.

      „Wie eine Braut, die ihre eigene Hochzeit verpasst hat.“

      Mama hatte recht. Die Frau passte überhaupt nicht an diesen Ort. Sie trug ein weißes Kleid, das bis zum Boden reichte und darüber einen langen, weißen Umhang. Sie wirkte mädchenhaft, unglaublich zierlich. So dünn, als wollte sie tunlichst vermeiden, einen Schatten zu werfen. Lange, hellblonde Locken umspielten ihr schmales, blasses Gesicht. Rike fielen die Blumen in ihrem Haar auf. Ein Kranz aus Margeriten. Die Frau sah wunderschön und furchtbar traurig zugleich aus.

      „Warum ist sie an einem so kalten Tag wie heute in dieser komischen Verkleidung hier?“, flüsterte Nele.

      Papa, der eigentlich immer einen flotten Spruch auf Lager hatte, gab keinen Ton mehr von sich. Er starrte die Frau an, runzelte die Stirn und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.

      „Kennst du sie, Klaus?“, erkundigte sich Mama. Papa schüttelte den Kopf.

      „Nein. Natürlich nicht. Aber sie erinnert mich irgendwie an früher. Mein Vater hat mir oft vorm Einschlafen Geschichten erzählt. Eine davon handelte von Bellina Fiorella, einem Mädchen, das aussah wie eine Margeritenblume. Und genau so, wie diese Frau hier, habe ich sie mir immer vorgestellt. Eigenartig, oder?“

      In diesem Moment schlenderte die lebende Version einer Margeritenblume weiter und besah sich flüchtig die kleinen Kästen an der nächsten Station. Obwohl alle Vier die Frau mit Blicken verfolgten, hatte anscheinend nur Rike bemerkt, dass sie in den ersten Kasten auf der linken Seite etwas hineingelegt hatte, denn als sie dort ankamen, stöberte Nele in dem Behälter rechts. Rike fasste in den linken hinein und brachte eine Halskette mit einem Pentagramm als Anhänger hervor.

      „Was hast du da?“ Nele sah neidisch zu Rike.

      „Es gehört mir. Ich habe es gefunden.“

      „Wieso gehört das dir? Das soll wahrscheinlich in dem Kasten da bleiben.“ Neles Stimme überschlug sich fast vor Wut.

      „Lasst mal sehen!“, sagte Papa und nahm die Kette mit dem Anhänger an sich. „Ach du meine Güte! Deswegen streitet ihr euch? Wisst ihr, was das wert ist?“

      Rike und Nele schüttelten den Kopf.

      „Nichts. Absolut nichts. Das ist billigster Blechschmuck. Es lohnt sich nicht einmal, darüber zu sprechen, geschweige denn deswegen zu streiten. Der Anhänger liegt anscheinend nur in dem Kasten, damit man die Form ertasten kann. Leg ihn zurück, Rike. Und dann ist Schluss mit dem Quatsch!“

      Rike sah unschlüssig zu dem Anhänger hin.

      „Haben wir uns verstanden?“ Papas Tonfall wurde schärfer.

      Rike verzog das Gesicht zu einer Grimasse und ging zu dem Kasten, aus dem sie die Halskette gefischt hatte. Als sie die Hand hineinsteckte, ließ sie die Kette in ihren Jackenärmel gleiten. Sie konnte es sich zwar nicht erklären, aber sie verspürte dieses untrügliche Gefühl im Bauch, dass sie diese Kette nicht zufällig gefunden hatte und deswegen auch behalten sollte.

      Stumm machten sie sich auf den Heimweg. Nachdem es windig und kalt geworden war, nahmen sie eine Abkürzung. Der Weg war steinig, mit vielen Wurzeln und abgesägten Baumstämmen und sie mussten aufpassen, nicht zu stolpern. Die Wälder ringsum hatten durch die letzten Herbststürme einiges einstecken müssen. Mehrere Laubbäume hingen kreuz und quer zur Seite und viele Äste waren geknickt.

      Rike und Nele jagten sich gegenseitig. Das gefallene Laub knirschte in der Kälte wie zerbrochenes Glas unter den Schuhsohlen, als sie darüber stoben. Rike bemerkte, dass die Halskette im Begriff war, aus dem Jackenärmel zu rutschen und steckte sie schnell in ihre Jackentasche. Unglücklicherweise spähte genau in diesem Moment Nele zu ihr herüber. Rike wusste nicht, ob Nele es gesehen hatte und rannte deswegen schnell weiter, um sie abzulenken.

      „Los Nele! Lass uns auf dem Baumstamm hier balancieren!“ Schon stand Rike oben und Nele erklomm die andere Seite.

      Als sie sich in der Mitte gegenüberstanden, gab keine der beiden nach. Rike trotzte. „Also bitte, was soll das denn? Du wirst doch wohl deiner großen Schwester den Vortritt geben!“

      In Neles Augen blitzte etwas auf, was Rike für einen Moment ablenkte und Nele nutzte natürlich sofort die Gelegenheit und gab Rike einen heftigen Schubs, der sie taumeln ließ. Rike sprang ab, kam aber dummerweise auf dem Rand eines Steinbrockens auf und knickte um.

      „Aaah, Mist! Autsch!“ Rike rieb sich den Knöchel und versuchte, sich hochzustemmen.

      „Lass mal sehen!“ Papa kniete sich hin und tastete vorsichtig Rikes Bein ab. „Gebrochen scheint es zumindest nicht zu sein. Wahrscheinlich ist es eine satte Zerrung am Sprunggelenk. Das tut zwar auch verdammt weh, aber es wird sicher bald wieder besser!“

      Mama und Papa hakten sich bei Rike unter und schleppten sie im Schneckentempo nach Hause. Nele schien es die Sprache verschlagen zu haben. Mit gesenktem Kopf schlurfte sie neben ihnen her.

      Zuhause wurde Rike auf das Sofa im Wohnzimmer gepackt.

      Nele dagegen kauerte missmutig