Redewendungen niederschreiben, wenn er ein öffentlicher
Redner ist – und ich habe schon oft gehört, daß manche das
auch tun, bevor sie sie vortragen.
Na ja! Als dieser Entschluß bei mir feststand, erhob sich die
Frage des Titels. Wie hämmerte ich dieses heiße Eisen zu einer
brauchbaren Form? Auf folgende Weise: Die schwierigste
brauchbaren Form? Auf folgende Weise: Die schwierigste
Erklärung, die ich ihr jemals zu geben versucht hatte, war die
gewesen, wie ich zu dem Namen Doktor kam und doch keiner
war. Schließlich hatte ich das Gefühl gehabt, daß ich es ihr trotz
der größten Mühe nicht richtig hatte beibringen können. Ich
baute aber auf ihre Fortschritte in den zwei Jahren und hoffte, sie
würde es verstehen, wenn sie es von meiner eigenen Hand
niedergeschrieben lesen würde. Darauf kam ich auf den
Gedanken, sie mit einem Scherz auf die Probe zu stellen und
darauf zu achten, wie sie ihn aufnahm, wonach ich mir dann
schon ein Urteil bilden könnte, ob sie es verstanden hatte oder
nicht. Ich hatte das Mißverständnis, das zwischen uns bestand,
zuerst entdeckt, als sie mich bat, ihr ein Rezept auszustellen;
denn sie hatte geglaubt, ich wäre ein medizinischer Doktor.
Deshalb dachte ich: »Wenn ich jetzt dieses Buch meine
›Rezepte‹ betitle, und wenn sie den Gedanken erfaßt, daß meine
Rezepte einzig und allein für ihr Vergnügen und ihren Nutzen
gedacht sind – um sie auf angenehme Weise lachen oder auf
angenehme Weise weinen zu machen –, so wird das ein
köstlicher Beweis für uns beide sein, daß wir die Schwierigkeit
überwunden haben.« Mein Plan hatte den glänzendsten Erfolg.
Denn als sie das Buch sah, das ich hatte herstellen lassen – das
gedruckte und gebundene Buch, das auf ihrem Pult im Karren
lag –, und den Titel sah. »Doktor Marigolds Rezepte«, blickte
sie mich eine Sekunde lang erstaunt an, schlug dann schnell die
Blätter um, brach in der reizendsten Weise in Lachen aus, fühlte
Blätter um, brach in der reizendsten Weise in Lachen aus, fühlte
ihren Puls und schüttelte den Kopf, blätterte dann die Seiten um
mit einer Miene, als läse sie sie mit der größten Aufmerksamkeit,
küßte das Buch mit dem Blick zu mir und drückte es mit den
beiden Händen an ihre Brust. In meinem ganzen Leben habe ich
mich nicht mehr gefreut!
20
Aber ich will den Ereignissen nicht vorgreifen. (Ich entnehme
diesen Ausdruck einer Partie Romane, die ich für sie gekauft
hatte. Ich habe nie einen davon aufgeschlagen – und ich habe
viele aufgeschlagen –, ohne daß der Verfasser nicht irgendwo
schrieb: »Ich will den Ereignissen nicht vorgreifen.« Da das so ist,
wundert es mich nur, weshalb er dann doch vorgriff, oder wer es
von ihm verlangte.) Ich will also den Ereignissen nicht vorgreifen.
Dieses Buch nahm meine ganze freie Zeit in Anspruch. Es war
kein Kinderspiel, die anderen Artikel in der gemischten Partie
zusammenzubekommen, aber als es zu meinem eigenen Artikel
kam! Du lieber Himmel! Ich hätte nie geglaubt, wieviel man
wieder auszustreichen hatte, wie sehr man sich Mühe geben
mußte und welche Summe von Geduld dazu nötig war. Es ist
geradeso wie auf dem Trittbrett: das Publikum hat keine Ahnung,
was alles dazu gehört.
Schließlich war es fertig, und die zwei Jahre waren, wie die
ganzen anderen Jahre vorher, dahingegangen, und wer weiß,
wohin sie alle gekommen sind? Der neue Wagen war fertig –
wohin sie alle gekommen sind? Der neue Wagen war fertig –
gelb angestrichen mit roten Streifen und Messingbeschlägen –,
der alte Gaul war davorgespannt, ein neuer, und ein Junge für
den Verkaufskarren eingestellt, und ich machte mich recht sauber
zurecht, um sie abzuholen. Das Wetter war kalt und klar, die
Wagenkamine rauchten, die Wagen selbst waren auf einem
Stück Brachland in Wandsworth privat aufgestellt, wo man sie
von der Südwest-Eisenbahn aus sehen kann, wenn sie nicht auf
der Tour sind. (Ihr müßt zum Fenster rechter Hand hinaussehen,
wenn ihr von London wegfahrt.)
»Marigold«, sagte der Gentleman, indem er mir herzlich die
Hand drückte, »ich freue mich sehr, Euch zu sehen.«
»Und doch zweifle ich, Sir«, sagte ich, »ob Sie sich halb so
freuen können, mich zu sehen, wie ich mich freue, Sie zu sehen.«
»Die Zeit schien so lang zu sein – nicht wahr, Marigold?«
Ach will das nicht sagen, Sir, in Anbetracht ihrer wirklichen
Länge;doch ...«
»Welche Überraschung, mein guter Freund!«
Oh, und was für eine Überraschung! So erwachsen, so hübsch,
so verständig, so ausdrucksvoll! In diesem Augenblick wußte
ich, daß sie wirklich meinem Kind gleichen mußte, denn sonst
hätte ich sie niemals zu erkennen vermocht, wie sie so still an der
Tür stand.
Tür stand.
»Ihr seid bewegt«, sagte der Gentleman.
»Ich fühle, Sir«, sagte ich, »daß ich bloß ein rauher Bursche in
einer Weste mit Ärmeln bin.«
»Und ich fühle«, erwiderte der Gentleman, »daß Ihr es wart, der
sie aus Elend und Niedrigkeit emporhob und ihr die Möglichkeit
gab, mit ihren Mitmenschen in Beziehung zu treten. Aber
weshalb unterhalten wir beide uns hier allein, wo wir doch so gut
mit ihr sprechen können? Redet sie in Eurer Art an.«
»Ich bin so ein rauher Bursche in einer Weste mit Ärmeln, Sir«,
sagte ich, »und sie ist ein so anmutiges Mädchen und steht so still
an der Tür!«
»Versucht einmal, ob sie auf das alte Zeichen antwortet«, sagte
der Gentleman.
Sie hatten es mit Absicht so unter sich ausgemacht, um mir eine
Freude zu bereiten!
Denn als ich ihr das alte Zeichen machte, stürzte sie zu meinen
Füßen hin und 21
streckte, auf den Knien liegend, die Hände zu