Kate Rapp

Keine Heilige


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bekanntlich helfen. Und sie musste die Patientinnen motivieren, auch wenn sie selber gerade nur destruktive Gedanken hegte. Aber das sollte die Paar-Therapie ja ändern.

      „Ich werde Sie von ein paar dieser Kabel befreien.“

      Sie stöpselte die junge Frau von ihren Infusionsschläuchen ab und überließ sie mit einem kurzen Nicken wieder Diana Ashleys unerschütterlicher Fürsorge. Sie hatte noch soviel zu tun, bevor Dr. M ihre Visite machte!

      „Was machst du denn für ein Gesicht?“, fragte Hank, als sie sich zwischendurch schnell einen Tee holen wollte. Er saß über ein paar Krankenblättern, die er wieder auf den neusten Stand bringen musste.

      „Habe gerade die Romantik zu Grabe getragen.“

      „Und keine Überlebenden?“

      „Oh, doch! Pragmatismus und Verantwortungs-bewusstsein, würde ich sagen.“

      „Könnte schlimmer sein, wenn du mich fragst.“

      Auf seinem spitzbübischen Frettchengesicht tauchte das warme Lächeln auf, das nur für spezielle Situationen reserviert war. Ein Lächeln, das wirklich von Herzen kam und ihn zeigte, wie er wirklich war: seinen netten, freundlichen, mitfühlenden Kern. Nicht diesen affektierten Sprüche-Klopfer.

      „Probleme?“

      „Nicht mit Mrs. Oliver, nein. Die habe ich vorhin abgesaugt.“

      „Und die schöne Unbekannte?“

      „Ist eine Kämpferin. Im Gegensatz zu mir.“

      „Jess, was ist los?“

      „Das Übliche. Ach, was weiß ich.“ Sie klang abweisender, als beabsichtigt.

      Hank legte den Kopf schief und sah sie mit einem Cockerspaniel-Blick an.

      „Eheprobleme“, sagte Jess und wurde rot.

      „Eheprobleme?“ In Hanks Augen blitzte es belustigt auf. Er selbst war Single, soweit Jess wusste. Aber er blieb ernst, mitfühlend.

      „Andy macht sich rar und das nervt mich mehr, als dass es mich beunruhigt, was auch kein gutes Zeichen ist, schätze ich. Wir leben so nebeneinander her und manchmal frage ich mich, warum wir überhaupt noch zusammen sind.“

      „Vincent?“

      „Ja, offensichtlich ist das der einzige Grund. Und deshalb habe ich uns bei so einer Paartherapie angemeldet. Aber ich habe, ehrlich gesagt, absolut keinen Bock!“

      „Wenigstens tust du etwas. Wenn es dann trotzdem in die Hose geht, hast du es immerhin versucht.“

      „Genau.“ Jess grinste schief. „Aber deshalb muss ich heute pünktlich gehen. Andy holt mich um halb zwei Uhr ab.“

      „Du willst mich allein dem journalistischen Mob überlassen?“ Hank fand zu seiner theatralischen Form zurück und warf anklagend die Hände in die Luft. „Sie werden mich mit ihren Fragen zerfetzen!“

      „Denk an die einstweilige Verfügung. Und außerdem kommen Imogen und Asha bestimmt pünktlich, um dich abzulösen.“

      „Du hast gut reden. Du hast ja noch keinen von denen im Abstellraum gefunden. Ich dachte, er wollte mich überfallen! Mir die Kamera über den Schädel hauen und fliehen. “

      Jess musste grinsen. Hank hatte das Kreuz eines Turners (machte er nicht Ringeturnen oder Reck oder irgend so etwas Olympisches in seiner Freizeit?) und sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Journalist ihn überwältigen würde.

      „Kriegst du vor Schreck jetzt auch noch Amnesie?“

      Er drohte ihr mit dem Finger.

      „Vorsicht. Damit scherzt man nicht.“

      „Du hast Recht. Ich werde mich mal wieder ganz ernsthaft um unser Fräulein Unbekannt kümmern.“

      Später, nach dem sie die Mittagessen aus den Zimmern abgeräumt hatten, startete Hank eine Charmeoffensive.

      „Saugst du Mrs. Oliver noch mal kurz ab, bevor du gehst? Bitte!“

      Seine Stimme klang melodisch und weich, ein wahrer Ohrenschmaus. Wie machte der Schmeichler das nur?

      „Andy kommt gleich“, sagte Jess und musste lachen, als sie seinen traurigen Streifenhörnchenblick sah.

      „Ach bitte, dauert doch nur fünf Minuten. Niemand ist so pünktlich.“

      „Du kennst Andy nicht.“

      „Dann werde ich ihn eben kennen lernen. Also, was ist. Tust du mir den Gefallen?“

      „Warum immer ich? Du weißt, wie sehr ich das Absaugen hasse.“

      „Ich doch auch!“

      „Es ist so brutal.“

      „Eben. Und wenn du sie abgesaugt hast, ist ihre Sauerstoffsättigung viel länger viel besser.“

      „Das sagst du nur, um dich zu drücken.“

      „Das sage ich, weil es stimmt.“

      Natürlich ließ sie sich überreden. Und als sie ins Stationszimmer kam, fünf Minuten später als verabredet, saß Andy vor einer Tasse Tee und lachte.

      „Du hast mir gar nicht erzählt, dass es auch männliche Krankenschwestern auf deiner Station gibt.“

      „Krankenpfleger!“, verbesserte ihn Hank, „Wie oft muss ich dir das noch sagen?“ Er zwinkerte Jess zu. „Ziemlich langsame Lernkurve dafür, dass er studiert hat.“

      Andy schien gar nicht beleidigt zu sein. Er lachte.

      „Männer auf einer gynäkologischen Station? Ist das überhaupt erlaubt?“

      „Wir sind einfühlsamer, als wir aussehen“, sagte Hank und grinste.

      Jess fühlte sich bemüßigt, ihm beizuspringen.

      „Alle lieben Hank.“

      „Ist das so?“ Andy musterte ihn. Hank wurde rot.

      „Wir müssen los“, drängte Jess. „Komm schon.“

      „Du siehst, wer die Hosen anhat, Hank?“

      „Jetzt haut schon ab. Sonst heißt es noch, ich hätte eure Ehe ruiniert.“

      Andy stutzte.

      „Hat mich gefreut.“

      „Mich erst“, sagte Hank und winkte ihnen nach.

      Die Stationstür fiel hinter ihnen zu.

      „Du hast es ihm gesagt?“, fragte Andy kühl.

      „Er ist ein Freund. Er hat gesehen, dass ich Probleme hatte. Und ich musste ihm sagen, warum ich heute pünktlich raus muss.“

      Jess befürchtete, ihr Mann würde gleich explodieren. Er konnte sehr empfindlich sein, wenn es um sein Privatleben ging.

      „Scheint ganz okay zu sein, der Typ“, meinte er jedoch gelassen und Jess atmete erleichtert auf. Was hätte es für ein Licht auf sie geworfen, wenn sie schon streitend bei der Paartherapeutin angekommen wären?

      Hoffnungsloser Fall, wahrscheinlich.

      Und peinlich wäre es auch gewesen.

      9

      Es war ja nicht so, dass Diana blind gewesen wäre.

      Sie konnte sogar noch sehr gut sehen (obgleich sie zum Lesen seit einigen Jahren eine Lesebrille brauchte). Sie erkannte, dass dieses Mädchen nicht im Geringsten so aussah, wie Emily. Und dennoch musste sie unentwegt an sie denken, seit die Unbekannte in ihr Zimmer geschoben worden war.

      Es waren nicht die Äußerlichkeiten (sie hatte schwarzes Haar, Emily war blond