Horst Neisser

Centratur I


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den Blick ab. Aramar machte dem Duell schließlich ein Ende und warf eine Münze auf das Tuch, das vor diesem seltsamen Menschen lag. Dann nahm er seinen Begleiter am Arm, und sie gingen weiter. Hinter sich vernahmen sie ein Murmeln, das sie als Dankeswort auslegten.

      Fremde Händler hatten in den Straßen Stände aufgeschlagen und boten Tuche, Werkzeuge und Waffen aus aller Welt feil. Besonders Zwerge taten sich mit Waren aus dem fernen Osten hervor. Es waren nützliche Dinge von eigenartiger Schönheit, aber auch wundersames Spielzeug, wie es nur Zwerge herzustellen vermögen. Niemand der Einheimischen kümmerte sich noch um all das fremde Volk. Es gehörte zum Alltag und wurde schon lange nicht mehr beachtet.

      „Hier hat sich viel verändert", bemerkte Aramar. „Ihr Erits seid doch ein wandlungsfähiges Völkchen. Ist das überhaupt noch das Heimland, das ich kenne?"

      Sie kehrten zu Almira und ihrem Mann zurück um sich zu verabschieden. Dann bestiegen Mog und Aramar ihre Pferde und ritten nach Süden.

      Das Schloss des Markgrafen war ein imponierender Herrschersitz. Eine weiße Mauer schützte vor Fremden und Neugierigen und versperrte den Blick auf das Privatleben der Grafenfamilie. Das Schloss lag am Rand eines Plateaus, das mit alten Eichen bewachsen war.

      Die Familie des Markgrafen hatte sich für ihren Stammsitz bewusst einen abgelegenen Fleck im Heimland ausgesucht. Die Hochebene war nicht nur eine der schönsten Gegenden im ganzen Land, man war auch dort auch so weit entfernt, dass man auf Hochhag nach eigenem Gutdünken leben konnte und sich nicht den Gepflogenheiten des Heimlands anpassen musste.

      Hochhag war Anziehungspunkt für zahlreiches Volk, das aus allen Himmelsrichtungen zusammenkam: Antragsteller, Neugierige, Gäste aus fremden Ländern, Verwaltungsleute und natürlich Soldaten. In der Regel wurden Besucher nicht vorgelassen. Man fertigte sie in den Kasernen, Verwaltungsgebäuden oder in den Repräsentationsräumen des Schlosses ab, und nur selten bekam einer ein Mitglied der Familie zu Gesicht.

      Diese selbst gewählte Abschirmung brachte auch Nachteile mit sich. Sie ersparte nämlich nicht nur Ärger, sie brachte den Familienmitgliedern auch entsetzliche Langeweile. Wie sehnten sie sich manchmal nach den einfachen Freuden des Volkes, von denen sie ausgeschlossen waren. Für die Frauen war es besonders schwer. Sie wurden behütet und bewacht. Beklagten sie sich und jammerten über ihre männerlose Welt, probten sie gar den Aufstand und verlangten endlich, Erits ‚von unten’ kennen zu lernen, dann hörten sie: „Wollt ihr etwa, dass hier ein gut aussehender Strauchdieb oder etwas noch Schlimmeres einzieht?"

      So hatte bisher keine der Markgrafentöchter einen akzeptablen Mann in ihrer Abgeschiedenheit kennen gelernt. Sie blieben ledig und vornehm und hofften weiter auf die große Liebe und eine gute Partie. Ihre Kontakte mit dem anderen Geschlecht beschränkten sich auf kleine Liebeleien mit den Offizieren der Wache. Männer hätte es schon gegeben. Schließlich lebten in Sichtweite ständig drei Dutzend Soldaten. Aber ihnen war jeglicher Kontakt mit der herrschaftlichen Familie verboten. Nur der Hauptmann der Garde machte eine Ausnahme. Er durfte, so oft er wollte, das große Tor in der weißen Mauer durchschreiten und hatte Zugang zu allen Gebäuden und Umgang mit der ganzen Familie. Er nahm sogar an den festlichen Diners des Markgrafen teil. Von seinen Offizieren durften einige Auserwählte mehrmals im Jahr zur Erbauung der Frauen im Schloss ihre Aufwartung machen.

      Als die beiden Reitern aus Heckendorf das Plateau erreichten, war alles ruhig und friedlich. Die Soldatenunterkünfte schienen wie ausgestorben, niemand war zu sehen. Aramar ging, sein Pferd hinter sich führend, auf das weiß gestrichene Tor des Schlosses zu und klopfte mit seinem Stock energisch dagegen. Mog war unwohl in seiner Haut. Man konnte doch nicht einfach bei der Familie des Markgrafen hereinschneien! Was sollten diese vornehmen Leute nur denken?

      Ein Erit öffnete auf Aramars wiederholtes Pochen eine schmale Pforte im Tor. Der Zauberer lachte schallend, als er ihn sah. Der Diener, ein solcher musste es wohl sein, sah zu komisch aus. Mit steifer Würde trug er eine rote Jacke mit goldenen Knöpfen. In seinem blasierten Gesicht verzog sich keine Miene, als er nach ihrem Begehr fragte.

      Auf Aramars Erklärung, er wolle die Gräfin sprechen, kam sofort die Frage, ob die Fremden denn auch angemeldet seien.

      Als diese verneinten, hieß es: „Dann wird man Euch nicht empfangen können.“

      „Da bin ich anderer Meinung.“

      „Die Herrschaften wollen nicht gestört sein. Übrigens“, der Diener sah die Besucher langsam und demonstrativ von oben bis unten an, „sollte man bemüht sein, sein äußeres Erscheinungsbild den Vorstellungen der Herrscherfamilie anzupassen, wenn man empfangen werden will."

      „Ich verstehe!" Aramar lächelte. „Mein alter, grauer Mantel, der mir so viele treue Dienste geleistet hat, ist nicht gut und die verwaschenen Hosen von Mog sind nicht fein genug. Nun, wenn du dir die Augen zuhältst, dann siehst du unsere Kleider nicht und dein Schönheitssinn wird nicht beleidigt. Nun mach aber Platz! Ich bin es nicht gewohnt, vor der Tür zu stehen!"

      Die letzten Worte waren barsch und duldeten keinen Widerspruch. Er schob den Erit zur Seite und trat ein. Mit rotem Kopf und feuchten Händen folgte ihm Mog. Hinter ihnen hallten Rufe wie: „Aber das geht doch nicht! Ich werde die Wache rufen..."

      Die Mauer umschloss einen geräumigen Park, in dessen Mitte das eigentliche Schloss lag. Es war prächtig und hatte große Türen und Fenster. Die Fensterläden waren blau mit roten Streifen. Auf dem freien Platz vor dem Haupteingang plätscherte ein Springbrunnen. Ohne zu zögern schritt Aramar auf diesen Eingang zu und öffnete die mit Kupfer beschlagene Tür. Sie traten ein. Schattiges Halbdunkel umgab sie.

      „Bewin", rief in diesem Moment eine schrille Stimme, „wo bleibst du denn? Ich habe schon drei Mal nach dir gerufen."

      „Ich komme sofort!"

      Aramar ahmte die gezierte Stimme des Dieners täuschend ähnlich nach. Sie betraten das Zimmer, aus dem die Frauenstimme gekommen war. Die füllige Eritfrau schrie empört auf, als sie die Eindringlinge hinter sich bemerkte.

      „Was wollt Ihr hier? Macht, dass ihr hinauskommt! Bewin, wie kommen diese Leute herein?"

      Aramar ließ sie zetern und sagte schließlich ruhig: „Wir sind Freunde Eures Mannes."

      Daraufhin wurden sie verächtlich gemustert, und die Frau sagte schnippisch: „Mit so etwas wie Euch gibt sich mein Gemahl nicht ab. Ihr vergesst scheinbar, dass er der Markgraf ist, und ich bin die Markgräfin."

      Sie machte eine Pause, damit ihre Worte wirken konnten und zischte dann: „Und nun verschwindet! Aber ein bisschen plötzlich!"

      Jetzt schaltete sich Mog ein.

      „Frau Gräfin", sagte er respektvoll, „Ihr kennt mich als einen alten Gefährten Eures Herrn Gemahl, und das ist Aramar, der Zauberer. Ihr habt sicher schon von ihm gehört. Wir sind von weit hergereist, um Euch unsere Aufwartung zu machen und uns nach dem Herrn Markgrafen zu erkundigen. Auch haben wir wichtige Dinge mit Euch, Frau Gräfin, zu besprechen."

      Aber die Frau hatte gar nicht zugehört und fauchte sie weiter an.

      Nun verlor Aramar die Geduld.

      „Wo ist Pet?" fragte er hastig. „Habt Ihr Nachricht von ihm? Wann wird er zurückkommen? Wer begleitet ihn? Wer führt hier im Heimland die Aufsicht?"

      Die Markgräfin antwortete nicht, sondern sah die ungebetenen Besucher nur mit großen Augen an. Deren mangelnder Respekt hatte ihr die Sprache verschlagen. Endlich, wie wenn eine Sturmflut einen Damm durchbricht, fand sie ihre Stimme wieder und stieß einen gellenden, nicht enden wollenden Schrei aus. Im ganzen Haus hörte man Türen schlagen. Von überall eilten Bedienstete herbei.

      „Es hat keinen Zweck", sagte der Zauberer. „Es ist besser wir gehen."

      Ohne sich um die zusammengeströmten Erits zu kümmern, traten die Besucher wieder hinaus in den Sonnenschein und verließen ruhig den Schlossbereich. Mog war verwirrt und Aramar wütend.

      „Wegen dieses Frauenzimmers und ihren eingebildeten Dienern haben wir drei wertvolle Tage verloren“, knurrte er. „Ich hätte Pet bei der Wahl seiner Ehefrau wirklich