Horst Neisser

Centratur I


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kannte nämlich den Bauern von seinen Streifzügen durch das Heimland, auf denen er häufig bei ihm eingekehrt war.

      „Der Dreieichenbauer kennt mich“, flüsterte er seinem Begleiter warnend zu. „Hoffentlich geht das gut!"

      „Und mich kennt der Offizier, der dort mitten auf dem Hof steht. Das kann ja heiter werden“, antwortete Horsa leise.

      Sie waren inzwischen so weit herangekommen, dass sie das Treiben auf dem Gehöft überblicken konnten. Dort herrschte ein wildes Durcheinander. Soldaten liefen scheinbar ziellos über den Hof, andere ritten wie im Irrsinn um die Häuser. Vieh wurde herumgeführt, aus den Ställen blökten Kühe, die gemolken werden wollten, Hühner flatterten aufgescheucht durch die Gegend, Ziegen mit prall gefüllten, entzündeten Eutern grasten am Wegrain, und in der Mitte dieses Tohuwabohus stand ein kleiner, dicker Erit in Uniform, fuchtelte mit den Armen und brüllte ununterbrochen Befehle.

      „Das ist Major Graulocke“, flüsterte Horsa. „Er ist dumm und ein Idiot, und solange ich zurückdenken kann, haben alle über ihn gelacht. Er war so blöd, dass er nicht einmal merkte, dass sie über ihn lachten und hat belustigt mitgemacht. Als mein Vater abreiste, hat er alle guten Leute mitgenommen und diesem Trottel in Ermangelung eines besseren Mannes das westliche Heimland unterstellt. Graulocke war häufig bei uns zu Hause. Wenn er mich sieht, ist alles aus."

      „Er darf dich eben nicht sehen“, antwortete Mog ebenso leise.

      Dann rannte er plötzlich los, überholte ihre Eskorte, eilte auf den Major zu und warf sich vor ihm zu Boden.

      „Herr General“, rief er so laut er konnte, „Herr General, endlich treffe ich jemanden, dem ich die ganze Wahrheit sagen kann."

      Graulocke war schon älter, und seine Uniform war im Gegensatz zu der seiner Soldaten korrekt und gepflegt. Auf der linken Brust trug er Orden, die ihm der Markgraf, wer weiß wofür, verliehen hatte. Verwundert sah er diesen Bauerntölpel an, der vor ihm im Staub lag.

      „Was willst du? Steh auf!" herrschte er ihn an.

      „Herr, ich habe ein Geheimnis, das ich nur Euch anvertrauen darf“, brüllte Mog aus ganzer Kehle.

      „Was sollte das für ein Geheimnis sein? Rede!"

      „Ich habe den Markgrafen getroffen."

      Mit einem Schlag war Stille auf dem Hof. Das Durcheinanderrennen hatte aufgehört, alle waren stehen geblieben und sahen auf den alten Mog in seinen abgetragenen Kleidern.

      Das Gesicht des Majors war bleich, als er fragte: "Wo hast du ihn getroffen?"

      „Nicht weit von hier, Herr General. Er sagte, ich solle mich zur Oststraße durchschlagen und mich nicht sehen lassen. Dort sollen Truppen sein, die ihm noch treu ergeben sind. Was bin ich froh, dass ich Euch gefunden habe und meinen Auftrag ausführen kann."

      Der Soldat war bemüht mit ruhiger Stimme zu sprechen, aber das Zittern in ihr war nicht zu überhören: „Es ist gut, du bist ein braver Bursche. Nun musst du uns nur noch erklären, wo er ist, damit wir ihm zu Hilfe eilen können."

      „Er wartet südlich vom Wimmerweiler in der Nähe der Straße nach Dorstadt. Dort ist im Schatten eines großen Felsens eine Quelle. Ihr könnt ihn gar nicht verfehlen."

      „Hat er seine Leute bei sich?"

      „Nein, er ist ganz allein."

      Mog hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, da rief der Major auch schon: „Alles sammeln und aufsitzen! Volle Bewaffnung!" Zu Mog sagte er: „Du hast uns einen großen Dienst erwiesen. Das will ich dir entlohnen. Du bleibst hier, bis ich wieder da bin! Hast du mich verstanden?"

      Der alte Erit nickte und wenige Minuten später war der Bauernhof von Soldaten leergefegt. Niemand hatte Horsa beachtet, der nun strahlend auf seinen Begleiter zu trat.

      „Das hast du gut gemacht, Mog“, sagte er. „Ich wusste gar nicht, dass du so gut lügen kannst."

      Der lächelte verschmitzt. „Ich habe nur ein klein wenig die Unwahrheit gesagt. Lediglich der Aufenthaltsort des Markgrafen stimmte nicht."

      „Aber Mog, du hast meinen Vater doch schon lange nicht mehr gesehen!"

      „Habe ich von deinem Vater gesprochen? Ich sagte, ich hätte den Markgrafen getroffen, und das ist die Wahrheit. Schließlich bist du jetzt der neue Regent des Heimlandes. Dein Vater hat die Herrschaft an dich weitergegeben."

      Betroffen schwieg Horsa. Die Bauern vom Dreieichenhof und ihre Knechte waren inzwischen aus den Winkeln, in denen sie sich versteckt hatten, hervorgekommen. Einige eilten in den Stall, um endlich das Vieh zu melken, zu füttern und zu tränken. Der Dreieichenbauer kam auf die Fremden zu.

      „Dich kenn' ich doch“, sagte er, „du bist doch der Mog, der so manches Glas Milch bei mir getrunken hat. Ich bin verdammt froh, dass diese Bande endlich vom Hof ist."

      „Sie werden wiederkommen“, sagte Horsa. „Dann müsst ihr mit eurem Vieh weg sein, wenn euch euer Leben lieb ist."

      „Das geht doch nicht. Was soll aus dem Hof werden?"

      „Wichtig ist, dass du und deine Leute am Leben bleiben. Häuser kann man wiederaufbauen."

      „Aber warum sollten sie uns etwas antun? Wir sind unschuldig. Ich weiß nicht einmal, um was es geht."

      Die Bäuerin war auch herangekommen und hatte zugehört.

      „Die beiden haben recht“, sagte sie. „Es war schon schlimm genug, wie sich die Bande bisher aufgeführt hat. Ich habe um mein Leben und die Unschuld meiner Mägde gezittert. Wenn sie zurückkommt, muss man mit dem Schlimmsten rechnen."

      „Aber dieser Hof ist schon seit Jahrhunderten im Besitz meiner Familie. Wir hängen daran. Schon meine Vorfahren haben all ihre Arbeit und Mühe in ihn gesteckt. Ich kann doch nicht einfach alles im Stich lassen!"

      „Die Verhältnisse werden nicht immer so bleiben“, tröstete Horsa. „Dann könnt ihr wiederkommen und alles in Ordnung bringen. Die Bürger des Heimlands und auch der Markgraf werden euch dabei helfen."

      „Wohin sollen wir gehen?" jammerte der Bauer.

      „Zuerst einmal nach Osten und dann über die Rentnitz nach Süden zum Fuß der Windspitzberge. Wenn ihr am Gerstenhof vorbeikommt, erzählt, was euch zugestoßen ist. Ich könnte mir vorstellen, dass man euch dort hilft. Doch nun macht voran. Die Soldaten bleiben nicht ewig weg, und ihr müsst noch das Notwendigste packen."

      Nachdem die Entscheidung gefallen war, hatten es alle sehr eilig. Niemand kümmerte sich mehr um Mog und Horsa, die sich schleunigst auf den Weg machten. Gegen Mittag hatten sie den Azbach erreicht. Sie bogen vom Weg ab und näherten sich vorsichtig über die Felder der Brücke. Geduckt hinter Büschen hielten sie Ausschau nach Wachen. Aber weit und breit war niemand zu sehen. Die Brücke war völlig leer. Wie ausgestorben lag sie da. Die Erits fassten sich ein Herz und überquerten sie so rasch sie konnten. Auf der anderen Seite eilten sie quer über Wiesen und Felder nach Nordwesten. Unterwegs waren sie oft stehen geblieben, um nach Verfolgern Ausschau zu halten. Einmal hatte Horsa gemeint, eine große Rauchwolke zu sehen, dort wo der Dreieichenhof lag. Aber er hatte Mog nichts davon gesagt.

      Die Nacht verbrachten sie in ihre Mäntel gehüllt in einem kleinen Wald. Am nächsten Tag galt es noch die Oststraße zu überqueren. Doch nicht einmal Flüchtlinge oder Händler waren auf ihr unterwegs. Mühlendorf umgingen sie östlich und Heckendorf im Süden. Auf einem Baumstamm balancierten sie über den Nordbach. Dann erklommen sie den Hügel zu Gutruh und waren endlich am frühen Abend zu Hause.

      Aufbruch

      Die beiden Männer schliefen nach all den Strapazen weit in den nächsten Tag hinein. Ev hatten sie natürlich von ihren Abenteuern zwar berichtet und sie mit diesen Nachrichten gehörig erschreckt. Sicher, es schmeichelte ihr, dass eine so bedeutende Persönlichkeit wie der Sohn des Markgrafen, der nun sogar selbst Graf sein sollte, unter ihrem Dach weilte. Aber sie hätte auf diese Ehre gerne verzichtet, wenn dafür ihr Leben seinen gewohnten Gang behalten hätte.