H. DERHANK

Der Zwilling


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die Frau meins ist, nichts, aber auch gar nichts ist meins, und: Was ist mit mir geschehen nach oder bei diesem Unfall?

      Die Mausfrau mit der großen Brille verzerrt sich selbst wie ein Cartoon in einem Kinderbuch, gleich beißt sie mich und deshalb will ich zurückweichen, den Körper wechseln, was natürlich nicht geht, man kann sich nicht einmal wegträumen oder wegschlafen, und zugleich - so wenig Meinigkeit auch von diesem Monstrum von Körper ausgeht -, zugleich simuliert er doch simultan deine Empfindungen und Gedanken. Oder simuliert er nur das, was die Frau ihm abverlangt? Ist es das? Nur das? Der Körper lächelt oder so ähnlich (das hatten wir schon), was sie irritiert, dein hässliches Lächeln ist nicht das Gebotene, also fragst du noch einmal, diesmal gebrochener, zugleich nicht wirklich Übleres mehr erwartend als die Fremdheit dieser Stimme in dir: »War ich tot?«

      »Ja«, sagt Frau Doktor, du weißt nicht einmal ihren Namen, oder hatte sie sich vorgestellt?

      »Herr Petrović, Sie wissen, warum Sie hier sind ...?«

      DU sammelst Spucke, was geht (und eklig ist, es ist nicht deine Spucke, nicht DEINE!), du sammelst Worte (selbst bei denen bist du dir nicht sicher, ob es deine sind - aber von wo sonst könnten sie her sein?): »Ich hatte einen Unfall ...« (Fragezeichen? Ausrufezeichen? Punkt? PUNKT?!)

      »Nein, Herr Petrović, ich meinte, WARUM Sie TROTZDEM hier sind, trotz Unfall ...?«

      »Wa ... rum?« (diese deine nicht deine Stimme ist sehr männlich ...)

      »Warum Sie - trotzdem Sie tot ... waren ... warum Sie TROTZDEM hier sind?«

      »Ich bin bei der Gesellschaft ...« (gesprochen ohne nachzudenken).

      »Ja, Sie sind bei der Gesellschaft - sind da versichert, die Gesellschaft kümmert sich darum, dass Sie nicht tot sind, nicht tot bleiben, sie wird dafür sorgen, dass Sie zurückkommen, dass Sie dank der Reinkarnation wieder ein normales Leben führen werden, IHR normales Leben, als wäre nichts geschehen, das versuche ich die ganze Zeit, Ihnen klarzumachen!«

      Du schließt die Augen unter den Brillengläsern.

      »Herr Petrović, wir müssen ein paar Tests machen.«

      Augen bleiben zu. Du nickst. Genickbruch.

      »Herr Petrović, bitte öffnen Sie die Augen!«

      Du blinzelst, Mauskopf scharf, Mauskopf unscharf ...

      »Erinnern Sie sich an Ihre Frau?«

      Du nickst.

      »Sagen Sie mir ihren Namen!«

      Namen? Welchen Namen? Ich habe keine Frau. Nie gehabt. (Doch woher der Ring?) Franka ist falsch, denn Franka ist nicht meine Frau. Ich muss lügen, ich kann nicht lügen, nicht einmal das.

      »Sie ist schön ...«, sagst du, nichtssagend, aber an diese Fremde denkend, die mit der Hand in deiner, und Frau Mauskopf nickt, schaut hoch, lächelt (zu ihr?), dann wieder zu dir, zustimmend: »Ja, das ist sie, können Sie sich an ihren Namen erinnern?«

      Du strengst deine Augen an, deinen Kopf, kein Name, woher ein Name?, du schüttelst den Kopf des Mannes dieser gefragten Frau.

      »Sylvie ...?«, fragt die Ärztin, »... vielleicht?«

      Sie sieht wieder auf, dahin, wo - Sylvie - sein müsste.

      Du lässt deinen Mannkopf leise sagen: »Sylvie ...«

      »Sie erinnern sich?«

      Du nickst. Lügst.

      Lügst nicht. Ich erinnere mich doch, verteidigst du dich vor dir selber, vor wem selber, vor dem Mann, der du jetzt bist?

      »Und Ihr Beruf, Herr Petrović? Was arbeiten Sie? Erinnern Sie sich ... nennen Sie mir Ihren Beruf!«

      Du denkst an Häuser, du weißt ja deinen Beruf, aber dass du oder etwas Unbewusstes in dir den Mann verräterisch »Architekt« sagen lässt, lässt dich erschrecken.

      Sie runzelt bilderbuchmäßig ihre Mäusestirn, schaut in ihre Unterlagen, Papierbogen oder Tablett-Display, dann sieht sie dich wieder an. Sie untergräbt ihren eigenen Test, als wolle sie die Sache beschleunigen, abhaken, und sagt: »Sie meinen 'Zimmermann'?«

      Du nickst viel zu eifrig, diesmal tut der Nacken (Nicken kommt von Nacken!) wirklich weh! Bin ich etwa ein Zimmerer, mit meinen zwei linken Händen? Der Gedanke ist so komisch, dass du lachen musst, richtig hässlich lachen, sodass es überall wehtut, die ganze kaputte Brust zerreißt ein zweites Mal.

      Die Ärztin scheint das falsch zu verstehen, deutet dein Lachen als die Wiederkehr einer Erinnerung, die du nie gehabt hast. Du willst sehen, ob dieser andere Körper die passenden zwei rechten Hände zu deinen verlorenen zwei linken hat, du hebst sie an, die Hände, die gar nicht geschwollen sind, doch, die linke ist blau angelaufen, aber du erkennst sofort die Injektionswunde, blau, rot, rote Punktwunden, und am Ringfinger der rechten Hand tatsächlich ein Ring, ansonsten sind das die reinsten Pranken, nein, ich übertreibe, es sind kräftige Hände, ja, aber nicht grobschlächtig, Hände mit Gefühl - und es sind gefesselte Hände. Sie haben deine Ellenbogen mit einer Mullbindenschlaufe am Bettgestell angebunden, du kannst sie kaum anheben, gerade so, dass du zwar die Unterarme bewegen und deine Hände ansehen, die Arme aber nicht erheben kannst, als müsse man das Personal vor deinen Schlägen schützen - oder dich vor dir selbst, oder auch nur davor, dich am neuen Kopf zu kratzen. Die Geste, die Art und Weise, wie du diese Hände vor dein Gesicht hältst (was trotz der Binden gerade noch geht), wie du sie betrachtest, die verrät dich, die hat dich schon verraten, das sind nicht deine, das sind eindeutig Tischlerhände, obwohl kein einziger Finger fehlt, trotzdem, in einem kurzen Moment des Klarsehens erkennst du ein paar Stellen, das könnten vernarbte Splitter sein, Holz, mit dieser Hände Arbeit, und ein goldener Ehering, und jetzt?

      Die Hände fallen über dir zusammen wie ein Turm.

      Ich in der Mundhöhle

      Böser Traum?

      Beim nächsten Erwachen öffnest du statt der Augen die Lippen. Du hast dich in die Mundhöhle zurückgezogen und beobachtest von dort heraus einen Pfleger und eine Schwester, die an dem, der dich umschließt, herummachen. Du siehst zu, wie sie den undefinierbaren Sud für die Magensonde wechseln, die in Leons Nase steckt. Und du kannst den Plastikschlauch, der hinter Zunge und Zäpfchen in diesen Körper hineinführt, förmlich sehen.

      Als sie fertig sind, schauen die beiden dich an, dich bzw. irgendetwas, das sich außerhalb des Mundes befindet. Du bleibst versteckt unter der Oberfläche, von dem du nicht einmal wissen willst, wie sie eigentlich aussieht. Wie du aussiehst. Dein neues Gesicht, dessen fremde Formen du - als sie gegangen sind - dann doch heimlich mit den ebenso fremden Fingern abtastest. Was sich taub anfühlt, zahnarzttaub, eingeschlafen taub, und weil die Arme immer noch angebunden sind, kommst du nur bis zu den Augenbrauen und nicht weiter, nicht bis zur Stirn, von der du nur ahnst, dass sie jetzt hoch ist. Die Augenbrauen sind viel feiner, als die buschigen, die ich früher hatte. Mädchenbrauen. Ich will's gar nicht wissen.

      Du bleibst in der Mundhöhle. Von wo aus du Leute beobachtest, die immer wieder kommen und an dem Mann Dinge auswechseln, auch untenrum, wo alles weit weg und taub ist, du vermutest, dass der Mann Windeln tragen muss, ganz sicher muss er, auch wenn du dich nicht erinnern kannst, je geschissen zu haben. Oder wie sie dich ansprechen. Du hockst in der Höhle, hinter der Zunge, einem Krokodil von Zunge, das sich nicht rührt, während du zwischen spitzen Zähnen hindurchschaust wie ein verängstigter Höhlenmensch.

      Irgendwann erscheint Frau Doktor Mausgesicht, zusammen mit anderen Männern und Frauen, alle in Kitteln, mit Klemmbrettern im Arm und Stethoskopen um den Hals, aber das mit den Klemmbrettern und Stethos­kopen erfindest du dir hinzu, du kannst sie ja kaum sehen mit dem nur haarbreit geöffneten Mund, und sie reden in ihrer Fachsprache über den, in dem du hockst, und über die Maschine, an der er angeschlossen ist, an der sein Kopf angeschlossen ist, und eine ältere Ärztin fragt nach dem Reinkarnator, und wieso der noch impulsiere? Sie redet so, als schliefest du oder lägest im Koma, oder wärst ungebildet genug, um kein Wort zu verstehen,